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Grabesstille in Syrien

Von Michael Schmölzer

Politik
Friedhof in Douma, einem Vorort von Damaskus.
© reuters / Sanadiki

Trümmer, Hunger, Hoffnungslosigkeit: Nach zehn Jahren Krieg und 400.000 Toten ist der Konflikt festgefahren.


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Militärisch ist die Lage eingefroren, vorbei die Zeit der großen Offensiven. Politisch herrscht eine lähmende Pattsituation, die Zivilbevölkerung leidet. In Syrien herrscht Grabesstille. Nach zehn Jahren Krieg hat sich Diktator Bashar al-Assad mit Hilfe Russlands und des Iran weitgehend durchgesetzt. Seine Soldaten beherrschen zwei Drittel des Staatsgebietes, kaum eine Region wurde von den Kämpfen verschont, das Land liegt in Trümmern.

Letztes Rückzugsgebiet der Anti-Assad-Milizen, die einst erbittert gegen die Armee kämpften, ist die Gegend rund um die Stadt Idlib im Nordwesten. In dem fast hermetisch abgeriegelten Gebiet haben radikalislamistische Rebellen das Sagen, der Einfluss gemäßigter Kräfte ist gering. Assads Truppen stehen Gewehr bei Fuß, um die letzte Rebellen-Hochburg zu stürmen.

Doch dazu kommt es nicht, zumindest vorläufig. Die Türkei hat in Idlib militärische Stützpunkte mit 15.000 Mann, Russland, das mit Ankara am Verhandlungstisch sitzt und wichtigster Verbündeter der syrischen Regierung ist, hält Assad zurück.

Türkischer Korridor

Der Diktator in Damaskus ist nur beschränkt handlungsfähig, das Schicksal seines Landes wird auch künftig von außen, vor allem in Moskau, entschieden. Russland kontrolliert den Luftraum über Idlib, Kampfjets und Kriegsschiffe greifen immer wieder zivile Ziele wie Spitäler, Schulen und Märkte an.

In Idlib fristen über drei Millionen Menschen, viele davon Flüchtlinge, unter katastrophalen Bedingungen ihr Leben. In der Türkei befinden sich bereits 3,5 Millionen Syrer. Ankara befürchtet einen weiteren Ansturm auf sein Territorium, sollte die letzte Rebellenbastion in die Hände Assads fallen.

Im Norden haben sich türkische Soldaten und arabische Verbündete in einem "Sicherheitskorridor" festgesetzt. Ankara fürchtet auch ein Erstarken der kurdischen YPG an der Südgrenze. Die Türkei ist auf eigenem Territorium seit Jahrzehnten in einen blutigen Konflikt mit der PKK verstrickt und will eine weitere Destabilisierung verhindern. Die kurdischen Selbstverwaltungskräfte in Syrien gelten hier als Terroristen.

Weiter südlich kontrollieren die Demokratischen Kräfte Syriens, SDF, rund ein Viertel des Landes. Dabei handelt es sich um Milizen der kurdischen YPG, arabisch-muslimischen und arabisch-christlichen Einheiten, die dort den IS vertrieben haben. Die Terrormiliz selbst ist nicht komplett besiegt, sie verübt an der Grenze zum Irak regelmäßig Anschläge.

Die USA haben sich als Gegner Assads weitgehend aus der Konfliktregion zurückgezogen und spielen keine bestimmende Rolle mehr. Einen Stützpunkt gibt es in Tanf, von dort aus werden Rebellen militärisch beraten und die Lage beobachtet.

80 Prozent leben in Armut

Die verschiedenen Kräfte teilen sich die Kontrolle über ein Land, das am Boden liegt. Geschätzt wird, dass in den letzten zehn Jahren 400.000 Menschen ihr Leben verloren haben. 5,6 Millionen sind ins Ausland geflohen, 6,7 Millionen Vertriebene befinden sich noch in Syrien, sie sind auf 1.000 Lager aufgeteilt. Etwa 100.000 Gefangene wurden nach Informationen der oppositionsnahen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zu Tode gefoltert. Mehr als 80 Prozent leben in Armut.

Vor allem junge Menschen leiden unter den Folgen des Krieges. Fast jeder Zweite der 18- bis 25-Jährigen hat ein Familienmitglied oder einen Freund verloren, zwölf Prozent wurden im Krieg verletzt. Das Land von Blindgängern und Minen zu räumen, wird Generationen brauchen.

Russland will Ernte einfahren

Auf kurze Sicht haben die involvierten ausländischen Mächte - Russland, die Türkei, der Iran und die USA - alle Hände voll zu tun mit der Bewältigung der Corona-Krise. Entscheidende Vorstöße sind jetzt nicht zu erwarten. Die vagen Hoffnungen, dass Friedensgespräche zum Erfolg führen, haben sich in der Vergangenheit immer wieder zeschlagen. Die Chancen dafür stehen auch in naher Zukunft nicht gut.

Klar ist, dass Russland einen Teil der vielen Milliarden Euro, die der syrische Militäreinsatz gekostet hat, zurück will. Moskau versucht, die Europäer für den Wiederaufbau des Landes zu gewinnen. Doch wird sich der Westen kaum engagieren, solange Assad im Amt bleibt. Erwartet wird, dass der Diktator im Sommer zu Wahlen antritt, die aber weder frei noch fair sein werden. Russland kann dann mit einem vorgeblich demokratisch legitimierten Mann versuchen, die Kontrolle über das Land zu behalten und sein Militär abzuziehen. Teheran wird mit pro-iranischen Milizen in Syrien bleiben, um hier seinen Einfluss zu sichern. Und die Türkei hat alle Hände voll zu tun, um die Kurden in Schach zu halten.

Trotzdem lebt die Hoffnung, zumindest ein wenig: Die EU plant, mit einer Geberkonferenz am 29. und 30. März Geld für die Zivilbevölkerung und die Syrien-Flüchtlinge in der Region zu sammeln.