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Gratis-Öffis - Luxemburg als Vorbild?

Von Siobhán Geets und Michael Schmölzer

Politik
© Westend61/Getty

Als erstes Land der Welt führt das Großherzogtum das Gratis-Ticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel ein.


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Luxemburg/Wien. Wer in Luxemburg in der Früh mit dem Auto in die Stadt fährt, bewegt sich mitunter im Schritttempo. Die Staus ziehen sich oft kilometerlang über die zweispurigen Autobahnen. Für die 20 Kilometer von Esch an der Alzette, der zweitgrößten Stadt des Landes, nach Luxemburg Stadt muss man zur Stoßzeit rund eine Stunde einplanen. Mehr als 180.000 Menschen pendeln jeden Tag ins zweitkleinste EU-Land, Tendenz steigend. Sie kommen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland, aus dem strukturschwachen französischen Lothringen und der belgischen Wallonie. Mit dieser Masse an Pendlern ist Luxemburg schon lange überfordert.

Nun ließ das Großherzogtum mit der Meldung aufhorchen, seine öffentlichen Verkehrsmittel kostenfrei zu machen. Wer ab 1. März 2020 mit dem Bus, der Bahn oder der Straßenbahn fahren will, muss lediglich einen Ausweis herzeigen. Damit ist Luxemburg das erste Land der Welt mit Gratis-Öffis. Rund 41 Millionen Euro kostet das pro Jahr.

Soziale Maßnahme

Dass die Maßnahme zu mehr Passagieren im öffentlichen Verkehr führt, glaubt aber nicht einmal der dafür verantwortliche Infrastrukturminister. Es sei vielmehr eine soziale Maßnahme, so Francois Bausch im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Letztendlich könne nur eine Verbesserung des Angebots die Öffis attraktiver machen. Deshalb will der Grüne in der Legislaturperiode bis 2023 rund 2,2 Milliarden Euro in den Ausbau der Eisen- und Straßenbahnen stecken. "Der Gratis-Transport ist nur das soziale Sahnehäubchen auf dem Kuchen", sagt Bausch. Der Kuchen, das sind die Investitionen: Neben dem Schienenausbau soll der Hauptbahnhof in der Stadt vergrößert werden, 400 Millionen Euro werden in zusätzliche Züge und Material gesteckt.

Und die Pendler aus dem Ausland? Damit der Verkehr über die Ländergrenzen hinweg funktioniert, wird es Kooperationen mit den Nachbarländern brauchen. "Mit Deutschland haben wir vereinbart, die Weststrecke von Trier zur luxemburgischen Grenze für Personenzüge zu öffnen und die Zugkapazität zu steigern", sagt Bausch. Finanziert werde das vom deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz.

Im Sinne des multimodalen Verkehrs, also der Nutzung verschiedener Transportmittel, baut Luxemburg in den Grenzregionen Park-and-Ride-Anlagen. In Richtung Frankreich wird die Autobahn um zwei Spuren erweitert. "Die sind reserviert für Busse und Mitfahr-Autos, mindestens drei Leute müssen drinsitzen", sagt Bausch.

Dass es vor allem um Investitionen geht, weiß man auch in Wien. Könnte das Luxemburger Gratis-Modell vorbildhaft für Österreichs Bundeshauptstadt sein? "Wir haben bereits Vorbildfunktion", sagt Daniel Amann, Sprecher der Wiener Linien, zur "Wiener Zeitung". Im Zusammenhang mit dem Dieselskandal sei in Deutschland die Einführung von Gratis-Öffis diskutiert worden. "Es waren viele Vertreter von deutschen Städten und Verkehrsbetrieben bei uns und haben sich erkundigt, wie unser Modell funktioniert. Die Delegationen waren vom 365-Euro Modell, von Angebot und Preis beeindruckt, auch von den steigenden Nutzungszahlen."

Jahreskarte um 3800 Euro

Eine Jahreskarte für London koste 3800 Euro, zieht Amann einen extremen Vergleich. Aber: "Gratis heißt nicht immer gut. Ein Umsteigen auf öffentlichen Verkehr funktioniert sicher auch über den Preis, aber wenn der Bus aber nur alle halben Stunden kommt, dann ist der Effekt fraglich."

Luxemburg könnte von den Gratis-Öffis noch anders profitieren. Das Großherzogtum bemüht sich seit Jahren um Nation-Branding. Dazu gehört die Multikulti-Erzählung (fast 50 Prozent der Einwohner kommen aus dem Ausland), das weltoffene Großherzogtum, die vielen reichen Ausländer, die dort arbeiten. Mit dem neuen Vorstoß ist Luxemburg wieder in allen Medien - sogar der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders hat die Nachricht auf Twitter geteilt. Beobachter sprechen von einem Marketingtrick durch die Hintertür: Luxemburg soll nicht mehr mit Steueroasen assoziiert werden, sondern mit Gratis-Öffis - und demnächst auch mit Kiffen.

Der nächste Coup, die Legalisierung von Cannabis nach kanadischem Vorbild, soll noch in dieser Legislaturperiode folgen.