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Gratis-Öffis, Robo-Taxis, Zero-Emission-Zones

Von Andrea Möchel

Wirtschaft
© Illustration: Adobe Stock/panimoni

Klimawandel und Digitalisierung verändern unser Mobilitätsverhalten und bringen die Autoindustrie in Zugzwang.


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Düsseldorf/Wien. Ab März 2020 wird Luxemburg als erstes Land der Welt seine öffentlichen Verkehrsmittel zum Nulltarif anbieten. Und Schweden wird ab 2030 keine Neuanmeldungen für Diesel- und Benzinfahrzeuge mehr zulassen. Zwei Meldungen die eines deutlich zeigen: Europas Mobilität ist im Umbruch - mit gravierenden Auswirkungen auf die Autoindustrie.

"Chinas Aufstieg im Bereich der Elektromobilität und neue Geschäftsmodelle wie Carsharing und Robo-Taxis erfordern von den Autoherstellern heute ganz andere Fähigkeiten, als ‚nur‘ exzellente Fahrzeuge zu produzieren", ist Andreas Tschiesner, Leiter der europäischen Automobilberatung beim Unternehmensberater McKinsey, überzeugt. "Wenn die europäische Automobilindustrie ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben will, muss sie sich klar zur nachhaltigen Mobilität bekennen und die Kunden viel stärker als bisher in den Mittelpunkt stellen."

Autoindustrie gefährdet

Derzeit erwirtschaftet die Autoindustrie sieben Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts und beschäftigt direkt und indirekt mehr als 13 Millionen Menschen. Glaubt man der McKinsey-Studie "Race 2050 - A Vision for the European Automotive Industry", dann ist dieses "europäische Erfolgsmodell Automobilindustrie" in Gefahr.

Der Grund: Dank Klimawandel und Digitalisierung geht der Trend weg vom Individualverkehr hin zu mobilen Dienstleistungen. Gefahren wird immer öfter gemeinsam statt einsam. Die Unternehmensberatungsfirma BCG schätzt, dass die Autohersteller in Europa und Asien bereits 2021 allein durch Carsharing eine halbe Million Autos weniger verkaufen werden. Laut der McKinsey-Studie werden Shared Mobility und datenbasierte Dienstleistungen 2030 für ein Viertel der Industrieumsätze sorgen, derzeit sind es lediglich 0,2 Prozent.

Rasanter Systemwechsel

Dass wir gerade einen rasanten Systemwandel erleben, zeigen auch die Ergebnisse der Studie "Zukunft der Mobilität" der Österreichischen Energieagentur (AEA). Für die Untersuchung wurden 134 Experten zu Zukunftsthemen im Bereich Mobilität und Verkehr befragt. "Die Experten sind sich einig, dass neue, multimodale Verkehrsangebote unser Verkehrsverhalten verändern werden und der motorisierte Individualverkehr geringer werden wird", bringt es Peter Traupmann, AEA-Geschäftsführer auf den Punkt. "Wenn Mobilität zunehmend zu einer Dienstleistung wird, könnte der Besitz eines eigenen Pkw schnell an Bedeutung verlieren."

Drehscheiben dieser Entwicklung sind öffentliche Standorte mit unterschiedlichen Mobilitäts-Angeboten wie Leih-Fahrräder, Elektroscooter, Carsharing und öffentliche Verkehrsmittel. 74 Prozent der befragten Experten sehen das Konzept "Mobilität als Dienstleistung" bereits als Alternative zum Besitz eines eigenen Pkw. Eine Schlüsselrolle bei all diesen Weiterentwicklungen bisheriger Verkehrssysteme kommt den Informations- und Kommunikationstechnologien zu.

Autonomes Fahren

Vor allem ins Autonome Fahren - Stichwort Robo-Taxis - werden hohe Erwartungen gesetzt: "Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung könnten erstmals komfortablen Zugang zu individueller Mobilität bekommen - darunter Menschen mit Behinderung, Senioren und Teenager", glaubt Andreas Cornet, Co-Autor der McKinsey-Studie. Und: "Selbstfahrende Autos könnten durch nutzbar gemachte Zeit im Auto einen positiven Wertbeitrag von einer Milliarde Euro pro Tag haben." In Österreich werden selbstfahrende Fahrzeuge in zehn Jahren Realität sein - aber nicht flächendeckend. "Vollautomatisierte Fahrzeuge werden etwa an Industriestandorten, Flughäfen oder auf Autobahnen unterwegs sein. U-Bahnen und Eisenbahnen werden autonom fahren. Flächendeckendes selbständiges Fahren im privaten Bereich wird in diesem Zeitraum jedoch nicht erwartet", sagt AEA-Studienautorin Monika Wanjek.

Fehlende Infrastruktur

Um das europäische Ziel von rund einem Drittel weniger CO2-Ausstoß für Pkw und Nutzfahrzeuge bis 2030 zu erreichen, muss der jährliche Absatz von Elektroautos von derzeit rund 300.000 auf 6,2 Millionen wachsen. "Damit Kunden auf E-Autos umsteigen, müssen bis 2030 europaweit rund 3,6 Millionen öffentliche Ladestationen neu errichtet werden - heute gibt es erst knapp über 100.000", mahnt Andreas Cornet Investitionen in die Infrastruktur ein.

Österreichs Mobilitätsexperten sehen das ähnlich: Um die Verbreitung von E-Fahrzeugen mit Batterie zu steigern, sei vor allem eine ausreichende Lade-Infrastruktur entscheidend. Förderungen bei den Anschaffungskosten werden von den Befragten hingegen nur geringe Bedeutung beigemessen. Diese gehen mehrheitlich davon aus, dass im Personen- und Güterverkehr künftig verschiedene Energieträger zum Einsatz kommen. "Im Personenverkehr werden sich batteriebetriebene Pkw durchsetzen. Bei Transporten im gewerblichen Verkehr ab 3,5 Tonnen eher Fahrzeuge, die mit Brennstoffzellen oder Wasserstoff angetrieben werden", so Wanjek.

Von Brisanz ist - angesichts der steigenden Zahl von Dieselfahrverboten - eine weitere Prognose der AEA-Studie: Acht von zehn Experten sind demnach überzeugt, dass 2030 Gebiete, in denen überhaupt keine CO2-emittierenden Kraftfahrzeuge mehr erlaubt sein werden, sogenannte Zero-Emission-Zones, zum normalen Alltag in Europas Städten gehören werden. All das wird Arbeitsplätze kosten. 200.000 Jobs werden durch Automatisierung und den Umstieg auf die weniger arbeitsintensive E-Mobilität wegfallen, so die McKinsey-Studie. "Gleichzeitig entstehen in der Autoindustrie und in angrenzenden Branchen viele neue Arbeitsplätze in softwarebasierten Bereichen wie dem autonomen Fahren und datenbasierten Mobilitätsdienstleistungen", gibt Andreas Tschiesner aber gleich Entwarnung. "Dieser Wandel wird Schritt für Schritt erfolgen. Das gibt Europa die Chance, den Übergang mit den Sozialpartnern konstruktiv zu gestalten."