Lösung für Oktober angepeilt. | Nervosität bei den Staats- und Regierungschefs. | Neuverhandlung ausgeschlossen. | Brüssel. Der irische Premier David Cowen war in einer unangenehmen Situation: Kaum ein anderer Staats- und Regierungschef wollte den Reformvertrag von Lissabon beim EU-Gipfel so leicht aufgeben. Mit entgegenkommenden Aussagen musste sich Cowen aber zurückhalten. Schließlich hatten die Iren das EU-Werk erst vor einer Woche deutlich zurückgewiesen. Irische Vertragsgegner schlichen sogar in den Hallen des Europäischen Rats umher und bezichtigten den Regierungschef des "illegalen" Verhaltens, sollte er die weitere Ratifizierung nicht verhindern. | EU-Vertrag - Was passiert, wenn nichts passiert?
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Aus Rücksicht auf diese Lage gaben sich die meisten EU-Chefs zurückhaltend; eine Lösung dürfte immerhin beim nächsten Gipfeltreffen im Oktober angepeilt werden. Mehrere Regierungschefs forderten diesen Termin als Frist für die Festschreibung von Auswegmöglichkeiten. Unter der Hand hieß es aber, es könnte auch Dezember werden.
Der dänische Premier Anders Fogh Rasmussen ging indes so weit, ein Inkrafttreten des Reformvertrags bis April 2009 zu fordern - rechtzeitig vor den Europawahlen im Sommer. "Optimistisch und anspruchsvoll" sei das, gab er zu. Andererseits dürfe die EU nicht Irlands Geisel werden, meinte Belgiens Premier Yves Leterme in einem Interview.
Auftrieb für das Dokument gab unterdessen schon einmal die finale Ratifizierung des Vertrags in Großbritannien durch die Unterschrift der Queen am Donnerstagvormittag. Der vorhergehende nächtliche Kraftakt von Premier Gordon Brown im Oberhaus fand Beifall beim französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy: Brown habe "politischen Mut" bewiesen, sagte er. Auf Sarkozy, der in zwei Wochen den EU-Vorsitz übernimmt, liegt die Hoffnung, Lösungen zu finden. Denn dass der Lissabonner Vertrag neu verhandelt werde, sei ausgeschlossen, bestätigte der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer.
Streit um Maßnahmen gegen Rekordpreise
Uneins sind sich die EU-Staats- und Regierungschefs auch über die geeigneten Maßnahmen gegen die hohen Öl- und Nahrungsmittelpreise. Einerseits beharrt Sarkozy auf Mehrwertsteuersenkungen für Erdölprodukte, und Gusenbauer plädiert für eine Steuer auf Spekulationsgewinne. Italien hat bereits die Einführung einer "Robin-Hood-Steuer" auf die hohen Gewinne der Erdölkonzerne angekündigt.
Auf der anderen Seite warnt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Alleingängen. Anhänger des freien Marktes hinter Großbritannien beharren auf strikt kurzfristige Maßnahmen zur Erleichterung der Lage für die ärmste Bevölkerung. Mehr als ein Auftrag an die EU-Kommission, geeignete Lösungsmodelle bis Herbst zu analysieren, wurde als Ergebnis des Gipfels nicht erwartet.