Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil auf Visite im Flüchtlingscamp Jdita.
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Beirut. Aishe und ihre Familie nennen seit über zwei Jahren das Flüchtlingscamp Jdita ihr Zuhause. Sie sind aus Aleppo in die Zeltsiedlung geflüchtet. In ihrer Heimatstadt fallen Bomben, so erzählt Aishes Bruder am Telefon, doch wer oder was genau das Ziel der Bomben sein soll – keine Ahnung, sagt er. Der größte Teil der Familie ist im Libanon in Sicherheit, das zählt.
Aishes Zuhause Jdita ist 25 Kilometer von der libanesisch-syrischen Grenze entfernt, 45 Kilometer sind es bis in die libanesische Hauptstadt Beirut. Doch vom Prunk der Strandmeile Cornishe und Beiruts Nobelviertel "Solidaire" könnte Jdita nicht weiter entfernt sein. Die Zeltplanen schützen zwar notdürftig vor Regen und Wind, doch weder vor der beißenden Kälte der Winternächte noch der sengenden Hitze der Sommertage. Die Latrinen sind notdürftig, die Pfade durch die Zeltsiedlung sind unbefestigt, Wasser und Stromversorgung ein Provisorium. An einem solchen Ort kann man zur Not ein paar Wochen vegetieren, aber Monate und Jahre? Immerhin: Der Boden der Zelte ist zementiert – die Menschen hier haben gelernt, die Dinge positiv zu sehen. Seit 1815 Tagen ist Krieg in Syrien, am 15. März wird der Konflikt ins fünfte Jahr gekommen sein.
Mit Reis bestreut
Österreichs Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil ist nach Jdita gekommen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu verschaffen, am Camp-Eingang wird er mit Reis bestreut, eine Willkommensgeste. Die Bewohner des Camps drängen sich um den Minister aus Österreich, erzählen ihm, dass sie bei der ersten Gelegenheit zurück nach Syrien gehen wollen. Andere berichten, dass dort nichts mehr auf sie wartet und sie – wenn sie nur könnten – nach Europa gehen würden. Einige machen auf ihren Smartphones Bilder des Ministers und der mitgereisten Journalisten, die mit ihren Profi-Kameras Bilder der fotografierenden Flüchtlinge schießen. Doskozil geht durchs Camp, gefolgt vom Pulk der Delegation, geht in einzelne Zelte, stellt Fragen, hört zu.
Da ist ein ehemaliger Landespolizeidirektor und nunmehriger sozialdemokratischer Minister, der mit sich ringt – weil er als ehemaliger Polizeidirektor des Burgenlandes um die Nöte von Schutzsuchenden weiß, aber auch über die Verunsicherung und Ängste der österreichischen Bevölkerung. Es ist auf einer Gratwanderung zwischen Empathie und kühlen Kopf, zwischen Gerechtigkeit und Recht. "Wenn man ein Flüchtlingscamp besucht, dann bekommt man dort Eindrücke, die einem nahe gehen. Aber man muss Abstand gewinnen, wenn man die Situation einordnen will", wird Doskozil später, am Rande seines nächsten Termins bei UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon, Sigrid Kaag, sagen. Und der Verteidigungsminister wird darauf hinweisen, dass Österreich 227.000 Asylverfahren abzuwickeln hat, während andere EU-Länder sich schlicht nicht betroffen fühlen. "Und so bekommen wir immer mehr eine Situation, in der in Europa der Gesamtblick aufs Ganze verlorengeht und jeder nur mehr isoliert nationale Lösungen trifft", stellt Doskozil fest.
Kaag, eine niederländische Spitzendiplomatin, die seit Mitte der 90er Jahre im Dienst der Vereinten Nationen steht, fügt hinzu, dass Länder wie der Libanon – wo mittlerweile jeder fünfte Bewohner im Land ein Flüchtling aus Syrien ist – Fürsprache in der EU bitter nötig hätten. "Man muss den Europäern klarmachen, vor welchen Herausforderungen der Libanon steht: Jobs für die Arbeitsuchenden müssen geschaffen werden, Schulplätze für die Kinder. Stellen Sie sich vor, alle Bewohner meiner Heimat – der Niederlande – würden nach Frankreich flüchten müssen. Das sind die Relationen, von denen wir hier reden", sagt die 55jährige. Kaag spricht auch von finanzieller Hilfe, die bitter nötig sei und von der Hoffnung, dass bei der Syrien-Konferenz in Genf im März, aber auch im September bei der UN-Generalversammlung adäquate Lösungen besprochen werden: "Wenn der Patient schwer krank ist, kommt der Arzt auch nicht mit Aspirin, sondern mit starken Medikamenten."
Einer Hoffnung, die aus UNHCR-Kreisen immer wieder zu hören ist, nämlich Schutzsuchende gleich direkt aus dem Libanon und der Türkei nach Europa zu bringen, erteilte Doskozil aber am Rande seiner Gespräche eine Absage: "Man muss bedenken, welche Signalwirkung das hätte." Gleichzeitig fühle er sich aber bestärkt in seinem Drängen, die Hilfe vor Ort zu verstärken. "Ein Überschwappen des Konflikts von Syrien auf den Libanon hätte verheerende Folgen. Man darf die Augen vor einem Worst-Case-Szenario nicht verschließen und muss dementsprechend handeln und den Libanon stärken", erläutert Doskozil. Aber der Verteidigungsminister denkt auch weiter: "Schon jetzt muss man an eine Rückführung der Flüchtlinge nach Syrien denken, wenn dort die Voraussetzungen für eine Rückkehr geschaffen sind. Welche wirtschaftlichen und sozialen Anbindungen werden die Menschen vorfinden? Denn eine Rückkehr ist ja nur möglich, wenn klar ist, dass die Menschen in Syrien eine Zukunft haben."