Neu gegründete Bildungs-NGO "Jedes Kind" setzt sich für mehr Unterstützung im Grätzel ein.
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Wien. Es mache ihn nicht gerade mega-geduldig, sagt Daniel Landau, wenn er sieht, wie jedes Jahr unzählige Kinder ohne Abschluss aus dem Bildungssystem fallen, erklärt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Laut Zahlen des Instituts für Höhere Studien von 2010 haben alleine in Wien etwa 40.000 Menschen zwischen 15 und 24 Jahren höchstens einen Pflichtschulabschluss, 130.000 sind es in ganz Österreich. Diese hohe Zahl an Schülern, die am Bildungsweg verloren gehen, war einer seiner Beweggründe, gemeinsam mit weiteren Menschen aus der Zivilgesellschaft die nach Eigendefinition "erste politische" Bildungs-NGO "Jedes Kind" in Wien zu gründen. "Denn", so der Mathematik-Lehrer, "der Frust mit dem Bildungssystem ist groß, da muss man etwas machen". Mit dabei sind neben Landau auch die Journalistin Sibylle Hamann als Vorstandsmitglied sowie Barbara Stöckl und Cornelius Obonya als Botschafter der Nichtregierungsorganisation: "Wir sind ganz bunt aufgestellt, frei von einer politischen Farbenlehre, und wollen parteiübergreifend ein Stück dazu beizutragen, das Bildungssystem zu ändern", führt Landau aus.
Förderung entlang der Interessen
Das Ziel ist klar: keine Kinder am Bildungsweg zu verlieren. Die Gründe für den Ausstieg ohne Abschluss sind vielfältig: sei es aus sozialen oder sprachlichen Gründen, weil ihre Talente verkannt werden oder weil sie ihre Neugier einbüßen. Auch wenn man nicht für jedes Kind eine eigene Schule machen könne, so sei doch schon geholfen, wenn man die Denkweise ändere - weg von der Suche nach Fehlern und Defiziten hin zur Unterstützung der Stärken. Immerhin sei - wie verschiedene Bildungstests zeigen - das derzeitige System nicht sehr effizient und hinterlasse viele Schüler, die erst recht nicht sinnerfassend lesen oder einfache mathematische Gleichungen rechnen könnten.
"Der andere Ansatz ist, dass man sich zuerst die Stärken ansieht und mit dieser Bestätigung geht man dann gemeinsam zu den Feldern, die dem Kind noch nicht so liegen. Im Hinterkopf ist lernpsychologisch aber das Erfolgserlebnis gespeichert. Ich gehe nicht zuerst hin und suche ein Misserfolgserlebnis." Gleichzeitig betont Landau, dass "eine Freiheit der Zeit und eine hohe Eigenverantwortlichkeit der Kinder nicht bedeutet, dass es egal ist, was sie lernen, aber wir können die angelegte Neugier der Kinder besser nutzen".
Menschen aus dem Grätzel verstärkt einbeziehen
Ein wichtiges Anliegen der Bildungs-NGO "Jedes Kind" ist es auch, die Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen besser in die sie umgebenden Grätzel einzubinden. "Wir wissen, dass Schulen und auch Kindergärten dann besser funktionieren, wenn sich das ganze Dorf, der ganze Ort einbringt. In einem kleineren Ort wissen alle Menschen um Schule und Kindergarten herum, was sich da abspielt, bekommen mit, wenn da etwas schiefzulaufen droht, und greifen vielleicht auch unterstützend ein, weil sie Interesse haben, dass in ihrem Ort die Kinder wirklich optimal gefördert werden." Auch in Wien sei in solchen Fällen das Grätzel gefordert, meint Landau.
Menschen dazu zu ermuntern, sich um die Bildungseinrichtung - sei es ein Kindergarten oder eine Schule - in ihrer Umgebung zu kümmern, ist daher ein Ansatz für eine Aktion, die "Jedes Kind" demnächst starten möchte. Auch, weil sich seit der Bekanntgabe des Starts der Bildungs-NGO immer wieder Menschen bei ihnen gemeldet hätten, die gerne etwas in ihrem Umfeld tun möchten, um die Misere im Bildungssystem zu beheben, damit "die Gesellschaft morgen besser funktioniert". Es geht dabei vor allem um das Zur-Verfügung-Stellen von Zeit, aber teilweise auch um finanzielle Ressourcen.
Die "Lesepatenschaften", die von der Stadt Wien über den Stadtschulrat organisiert werden und bei denen Kinder mit Leseschwäche gezielt gefördert werden sollen, sieht Landau als gute Basis, die aber ausgebaut und ergänzt werden sollte. Interesse seitens der Bildungseinrichtungen sei vorhanden, derzeit werde überlegt, in welchem rechtlichen Rahmen die Menschen aktiv werden können. Er betont, dass diese Initiative aus der Zivilgesellschaft nicht auf Dauer die "Schwächen des Bildungssystems übertünchen" soll.