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Graue Sachlichkeit

Von Gerald Schmickl

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Die Sachbuch-Sendung "Kontext" (jeweils Freitag um 9.05 Uhr auf Österreich 1) gehört zu meinem Stammprogramm. Auch wenn sie in ihrem Aufbau ein wenig zur Statik neigt, ist sie doch ein ausgezeichneter Kompass, der mit kompetenten Beiträgen und informativen Autorengesprächen durchs unübersichtliche Gelände der Neuerscheinungen führt. Leider wird dem Büchermagazin hinten immer ein Viertelstündchen abgezwackt. Bis zum Jahreswechsel nistete das leicht angestaubte Radiogenre des Essays in diesem geschützten Plätzchen. Wenn nicht gerade Eugen Drewermann seinen Tugendkatalog ausbreitete oder Horst Petri den sozialen Niedergang beschwor, gab es mitunter auch einige spannende, buchstäblich folgenswerte Referate (etwa von Karl-Markus Gauss oder der Soziologin Marianne Gronemeyer). Aus diesem Biotop ist der Essay nach der so genannten kleinen Ö1-Programmreform nun endgültig vertrieben worden. An seiner Statt hat sich "Saldo - das Wirtschaftsmagazin" in dem 15-Minuten-Quartier eingemeindet.

An dieser - zumindest in den ersten bisherigen Folgen - äußerst bieder gestalteten Sendung kann man den atmosphärischen Wechsel, den die Wirtschaft in diesen Krisenjahren durchlebt, gut ablesen bzw. abhören. Vorbei die Zeiten, als Wirtschaft als Abenteuer galt, als kunterbunter Spielplatz junger Pioniere, die ihr Adrenalin mittels New Economy direkt in Geld- und Aktienströme lenkten. An der grauen Sachlichkeit, die "Saldo" durchweht, erkennt man die Rückkehr der alten Ökonomie der eisernen Sparer und Finanzbuchhalter. Die Sendung wirkt wie ein etwas länglich gewordener Mittagsjournal-Beitrag - und lässt verfrüht den Magen knurren. Dann lieber zuvor mit "Kontext" den Appetit auf Lektüre wecken - und sogleich befriedigen.