Die ÖVP ist der große Sieger der Graz-Wahl. Die KPÖ zeigte der SPÖ, wie sie ihre Klientel von der FPÖ fernhalten kann.
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Graz. Man nehme an, jemand habe den Ausgang der Graz-Wahl am Sonntag verpasst. Er müsste nur im Süden der Stadt auf die Geräuschkulisse achten. Die Bauarbeiten für das umstrittene Murkraftwerk starteten schon im Jänner - aber erst seit Montag heulen die Motorsägen auf und die ersten Bäume werden gefällt. Und das kommt nicht von ungefähr.
Schon die vorgezogenen Neuwahlen waren dem Murkraftwerk geschuldet, koppelte Vize-Bürgermeisterin Elke Kahr von der KPÖ die Zustimmung zum Stadtbudget 2017 doch an die Durchführung einer Volksbefragung zum Kraftwerk. Eine Bürgerinitiative, die 16.000 zu fällende Bäume und die Unwirtschaftlichkeit des Projekts anprangerte, hatte diese gefordert, war aber wegen rechtlicher Unzulänglichkeiten abgewiesen worden.
3500 Demonstrierende waren am Tag vor der Wahl noch in der Innenstadt aufmarschiert und hatten unter anderem auf der Hauptbrücke ein großes Transparent entrollt: "Wer die Demokratie biegt, fliegt." Es schien möglich, dass der seit 14 Jahren regierende Siegfried Nagl von der ÖVP über eines seiner Lieblingsprojekte stolpern würde, doch mit über vier Prozent verzeichnete der Bürgermeister den größten Zugewinn. Und die zweite Überraschung des Abends waren die Kommunisten, die klar zweite Kraft vor der FPÖ blieben.
Die Caritas von Graz
Graz bewies erneut, dass es politisch anders ist. In der Bildungsstadt geht es den meisten Menschen so gut, dass sie gerne den Status quo erhalten wollen. Die Grazer mögen ihren sympathischen, charismatischen Bürgermeister, er gilt als liberaler Konservativer und wirkt trotz seiner 53 Jahre nicht alt. Dass ihm auch einige Bürger nicht gut gesinnt sind, liegt daran, dass er einen Hang zum Bauwahn und Verboten hat - und eine große Schwäche: den Sozialbereich. Zwar posiert er bei der Eröffnung jedes Kindergartens und bekennt sich glaubhaft zu Diversität, aber Wohnbauprojekte für die oberen 10.000 sind ihm näher als Gemeindebauten. Und genau dort ist die Lücke, die von der KPÖ geschlossen wird.
Seit Ernest Kaltenegger in den 80er Jahren zum Wohnbaustadtrat wuchs, sind die Kommunisten in Graz so etwas wie eine Caritas für die untere Einkommensschicht. Die KPÖ-Mandatare leisten unter anderem finanzielle Soforthilfe - mit Geldern, die sie durch den Verzicht auf den Großteil ihre Politikerbezüge lukrieren. Diese Realpolitik wird seit dem Rücktritt Kalteneggers 2009 von Parteichefin Elke Kahr weitergelebt. Die schwachen Zugewinne der FPÖ in Graz - von 14 auf 16 Prozent - sind mehr Verdienst der KPÖ als der ÖVP. Die Kommunisten fischen im selben Teich der Arbeiter und ihre Politik ist damit sogar eine mögliche bundespolitische Antwort der SPÖ auf den Siegeszug der Freiheitlichen. Die Grazer Kommunisten sind inhaltlich jene linke Partei, die die Grazer SPÖ schon lange nicht mehr ist, und ihr Erfolg ist gleichbedeutend mit dem historischen Tief der Grazer SPÖ, die diesmal gar ihren letzten Stadtratsitz - Graz wird proportional regiert - an die KPÖ verlor. Der Verdacht liegt nahe, dass eine Grazer SPÖ mit KPÖ-ähnlichem Programm noch mehr Potenzial hätte, ging doch in Graz gerade unter konservativen Wählerschichten die Angst vor dem Kommunismus auf dem Bürgermeisterstuhl um. Aber auch die Grünen schwächelten. Sie konnten in ihrer Gründungsstadt weder das Murkraftwerk als Thema vor der KPÖ positionieren noch Alexander Van der Bellens Rückenwind nutzen. Dass die Neos nach ihrem Antreten statt den Piraten im Gemeinderat sitzen, war eine Randnotiz, ist für die pinke Bewegung aber von bundespolitischer Bedeutung.
Nagl kann vergeben
Koalitionsoptionen gibt es für Nagl kaum. Eine Zusammenarbeit mit der KPÖ schloss er vor der Wahl aus. Ein linkes Bündnis mit der KPÖ an der Spitze hat keine Mehrheit. "Es gibt zwei Möglichkeiten", sagte Nagl am Montag. "Entweder es kommt zu einer schwarz-blauen Regierung oder zu einer Dreierkonstellation mit SPÖ und Grünen." Aber wenige Tage vor der Wahl hatte er auch den Grünen Unehrlichkeit und Arbeitsblockade vorgeworfen. Bleibt also wohl nur die Variante mit dem bisherigen Verkehrsstadtrat Mario Eustacchio und der FPÖ. So weit wären die Parteien inhaltlich nicht auseinander, einzig das Thema Integration trennt. Vielleicht kommt es aber wieder ganz anders in Graz. Denn es gibt noch einen Grund, der Nagls Beliebtheit erklärt: Er zerkrachte sich mit vielen Parteien in den vergangenen 14 Jahren, aber wenn es um Arbeit für seine Stadt geht, kann er schnell vergeben.