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Grenz-Kämpfe

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Reportage: Die Kurden in Syrien haben eine Region im Norden des Landes für autonom erklärt. Die säkulare Verwaltung trifft dort auf erbitterten Widerstand von Islamisten.


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Kamischli. Es war eine gewaltige Explosion, die am 11. März das alte Al-Hadaya-Hotel im Zentrum der nordsyrischen Stadt Kamischli verwüstete. Die Vorderfront wurde aufgerissen, Autos meterweit durch die Luft geschleudert, eine riesige schwarze Rauchwolke quoll empor. Damit ist der Krieg nun auch direkt in die inoffizielle Hauptstadt der syrischen Kurden eingedrungen, allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz. "Man hat die Explosion überall gehört", sagt Bahar Tamo, eine junge Frau, die am westlichen Rand der 300.000-Einwohner-Stadt lebt. Zehn Menschen starben, sieben wurden zum Teil schwer verletzt, als Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Auto vor dem schwer gesicherten Hotel zur Explosion brachten. Zur Beerdigung am folgenden Tag kamen tausende Kurden auf den "Märtyrerfriedhof" in Kamischli, um von ihnen Abschied zu nehmen.

Der Anschlag auf das Al-Hadaya-Hotel zielte auf die Selbstverwaltung der kurdischen Gebiete, die sich Ende vergangenen Jahres für autonom erklärt hatten. Im Norden Syriens, an der Grenze zur Türkei, haben sich die drei Kantone Efrin, Kobane und Cisire zur Region Rojava zusammengeschlossen - und binden gleichzeitig andere ethnische Gruppen wie Armenier und Alawiten ein. Bis zu 30 Millionen Kurden leben in der Region, verstreut auf die Türkei, Syrien, Irak und Iran. Ob Rojava ein zukunftsfähiges Modell sein wird, muss sich erst zeigen, viel Erfolg wünschen die Nachbarstaaten - insbesondere die Türkei - nicht. Ebenso wenig die Islamisten: Die Attentäter vom 11. März töteten dabei ausschließlich Zivilisten.

Die politischen Verhältnisse in der Stadt sind kompliziert. Sama Bekdash, die neue Bürgermeisterin von Kamischli, hat den Anschlag auf das Hotel, das als Amtsgebäude dient, unverletzt überlebt. Sie arbeitet jetzt in einem anderen Haus, wie bisher zwölf Stunden am Tag, ohne Gehalt, ohne Budget, ohne Steuereinnahmen. Bekdash ist stolz, wie ihr Team mit äußerst bescheidenen Mitteln die Verwaltung der Großstadt organisiert. Die 27-jährige Betriebswirtin war vor einem Jahr von einer "Bürgerversammlung" ins Amt gewählt worden. Sie legt Wert auf die Feststellung, nicht Mitglied der Demokratischen Unionspartei (PYD) zu sein, die in den syrischen Kurdengebieten die Macht ausübt, seit sich das Regime von Bashar al-Assad im Sommer 2012 überraschend aus der Region zurückzog. Die PYD ist ein Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei.

"Ich will für die Bürger arbeiten, aber nicht als Vertreterin einer Partei", sagt die kleine Frau mit den blonden Strähnen im dunklen Haar. "Wir versuchen, alles dafür zu tun, dass unsere Leute hier normal leben können und nicht weggehen. Wir tun, was wir können, um das Leben so normal wie möglich zu gestalten." Vor Selbstmordanschlägen hatte Sama Bekdash sich bisher sicher gefühlt, die kurdische Polizei mache einen guten Job.

Tatsächlich ist die Lage in Kamischli besonders heikel, da weiterhin rund 4000 Soldaten der syrischen Armee in einer Kaserne im Stadtzentrum stationiert sind und das Regime noch ein Dutzend weiterer Gebäude in deren Umfeld kontrolliert. "Wir lassen sie ihnen, damit wir nicht bombardiert werden", sagt Asiya Abdullah, Co-Vorsitzende der PYD, "aber das Regime hat in allen kurdischen Gebieten seine Macht verloren." In Wahrheit herrscht eine Art Waffenstillstand. Das gegenseitige Verhältnis ist angespannt, immer wieder kommt es zu Schießereien.

Laut der kurdischen Polizei in Kamischli hat eine siebenköpfige Gruppe aus Ägypten, Tunesien, Syrien und Saudi-Arabien die Anschläge durchgeführt, vier Terroristen seien tot, drei verhaftet worden. In einem Bekennerschreiben feierten die Islamisten ihren "Sieg" gegen das "Hauptquartier der PKK-Apostaten" in Kamischli im Internet. Das Attentat ist die bislang letzte Steigerung des dschihadistisch-salafistischen Isis-Terrors gegen die Kurden in Syrien. Die Härte der Auseinandersetzung hat auch mit den ideologischen Gegensätzen zu tun, die schärfer kaum sein könnten. Während Isis ein globales Kalifat anstrebt, bauen Syriens Kurden trotz des Bürgerkriegs eine autonome, säkulare Verwaltung in den drei Kurdenenklaven an der türkischen Grenze auf.

Heftige Kämpfe zwischen den Dschihadisten und der Freien Syrischen Armee auf der einen und den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf der anderen Seite waren bereits im November 2012 ausgebrochen, als Angreifer die überwiegend kurdische Stadt Serekaniye an der türkischen Grenze attackierten. Sie wurden intensiver, nachdem die PYD im vergangenen Sommer erklärte, eine eigene Autonomieverwaltung in den kurdischen Gebieten errichten zu wollen. Doch konnte die YPG-Miliz die Islamisten mit einer großangelegten Offensive im Herbst aus rund 40 besetzten Dörfern vertreiben und die Frontlinie immer weiter nach Westen vorschieben, in der Hoffnung, die bislang territorial getrennten kurdischen Gebiete mit Hilfe befreundeter arabischer Stämme zu vereinigen. In der vergangenen Woche haben die Kämpfe noch einmal an Schärfe gewonnen, doch werden die Kurden inzwischen von Einheiten der aufständischen Freien Syrischen Armee unterstützt.

Islamistenterror soll die Kurden vertreiben

"Es geht Isis darum, Terror zu verbreiten, damit unsere Leute ins Ausland fliehen", sagt der Polizeichef von Kamischli, Ciwan Ibrahim. "Sie wollen die Leute davon überzeugen, dass es hier nicht sicher ist." Der eloquente, Mittvierziger hat sein Büro mit kurdischen Symbolen eingerichtet: einen Stuckadler, zwei große kurdische Fahnen, ein riesiges Foto der Stadt Kamischli, das mit blauem Neonlicht indirekt beleuchtet wird. Auf Ibrahims Schreibtisch liegen fünf Funkgeräte. Er sagt, dass die Polizei darauf achte, dass auch Araber und andere Minderheiten, die in Kamischli zusammen rund 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung stellen, in Sicherheit leben könnten. "Nach der Revolution kam es hier zu einem Sicherheitsvakuum, das wir füllen mussten, um nicht ins Chaos abzugleiten. Aber der Terrorismus ist ein großes Problem." Ciwan Ibrahim spricht darüber, wie die kurdische Polizei versucht, Mitglieder der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front, von Isis oder anderen Islamistenmilizen aufzuspüren, bevor sie sich in die Luft sprengen. Dazu würden auch zivile Fahnder eingesetzt, die ihre eigenen Mittel hätten, um die Terroristen aufzuspüren. "Wir stellen die Araber nicht unter Generalverdacht. Viele Araber kooperieren mit uns, denn sie wissen, dass nur wir hier Sicherheit und Ordnung garantieren können. Aber Isis will das ruinieren und missbraucht dafür den Islam. Wir vermuten, dass sie für Assad arbeiten." Laut dem Polizeichef komme es letztlich darauf an, die Zugänge zur Stadt so zu kontrollieren, dass kein Sprengstoff hinein gelangen könne.

Da die Kurden immer wieder mit den Dschihadisten über den Austausch von Gefangenen verhandeln, hat Ciwan Ibrahim auch einige ihrer Kommandanten kennengelernt. Einer ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: "Ein Deutscher, Ende 30, blond, mit einem mächtigen Bart. Er trägt den Kampfnamen Abu Khakha al-Almani, kommandiert bei Al-Nusra-Kämpfer in einer Region und ist ein enger Freund des Al-Nusra-Chefs Mohammed Al-Golani. Er hatte einen Übersetzer dabei, weil er kein Arabisch versteht." Ciwan Ibrahim fragte den Deutschen, warum er eigentlich nach Syrien gekommen sei. Ein Fremder in einem fremden Land, der gegen Menschen kämpft, mit denen er nichts zu tun habe? "Er sagte, er kam, um für Allah den Allmächtigen, für den Islam und gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Obwohl die meisten Kurden Muslime sind, sind wir in deren Augen Ungläubige." Die Terrorstrategie der Dschihadisten erhöht den Strom der Flüchtlinge aus den autonomen kurdischen Gebieten in die Türkei.

Assem Omar, ein 59-jähriger Kurde aus Kamischli, hat gerade zusammen mit seinem 22-jährigen Sohn Zana in einem siebenstündigen nächtlichen Fußmarsch über die grüne Grenze die Türkei erreicht. "Es ging nicht mehr", sagt Assem Omar. "Bei uns im Viertel sind Islamisten in kurdische Häuser eingedrungen und haben die Einwohner ermordet. Ich wollte Kamischli nie verlassen, aber jetzt ist es einfach zu gefährlich geworden."