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Grenze zu - Fragen offen

Von Jan Michael Marchart, Brigitte Pechar, Werner Reisinger und Petra Tempfer

Politik

Die Einigung der Regierung auf eine Obergrenze wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet.


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Wien. Die Einigung der Regierung auf eine "Obergrenze" (ÖVP) beziehungsweise einen "Richtwert" (SPÖ) bei der Aufnahme von Asylwerbern wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Der Ausdruck der ÖVP dürfte vor allem ein Foul am Koalitionspartner gewesen sein. Geeinigt hat man sich laut Punktuation auf die SPÖ-Version - den Richtwert - der wohl als Ziel gemeint war und nicht als Begrenzung. Die "Wiener Zeitung" hat sich den Fragen gewidmet, die die Regierung offen ließ.

1) Korreliert die Obergrenze mit der Verfassung?

Ob und wie die Regierung diese "Obergrenze" oder den "Richtwert" in der Praxis umsetzen möchte, bleibt völlig offen. Die Rechtmäßigkeit soll jedenfalls in zwei Gutachten geprüft werden. Der Asylanwalt Christian Schmaus sieht keine Umsetzungsmöglichkeit dafür. Österreich ist an die Grund- und Völkerrechte gebunden. Wenn ein Mensch einem realen Risiko ausgesetzt ist, ist das Land dazu verpflichtet, diesem Schutz zu gewähren. "Ich wüsste nicht, wie grund- und völkerrechtlich eine festgesetzte Obergrenze möglich wäre", so Schmaus. Auch der Europarechtler Walter Obwexer, der am Gutachten für die Regierung mitarbeiten soll, rät zu einer "Reserve", um jene Asylanträge behandeln zu können, die nach Völker-und Europarecht behandelt werden müssen, wie er am Donnerstag im Ö1-"Mittagsjournal" sagte. 

2) Wird Flüchtling Nummer 37.501 abgewiesen?

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hatte angekündigt, nach Erreichen der Obergrenze Asylanträge zwar anzunehmen, aber über Jahre nicht zu bearbeiten, wie es Schweden praktiziert - oder die Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückzuweisen. Das Recht auf Asyl lässt sich niemandem verwehren, so Schmaus. Schafft der Flüchtling es bis nach Österreich, muss dort das Verfahren durchgeführt werden.

Jetzt lässt sich natürlich dahingehend argumentieren, dass nach der Dublin-III-Vereinbarung Österreich keinen der anreisenden Flüchtlinge aufnehmen müsste. Schließlich besagt dieses Regelwerk, dass das Asylverfahren in dem EU-Land startet, in dem der Flüchtling ankommt. Das wäre Griechenland. Dort ist aber eine entsprechende Versorgung nicht möglich, weshalb auch keine Flüchtlinge dorthin zurückgeschickt werden können. Das betrifft auch Ungarn. Rechtsanwalt Helmut Blum glaubt aber, dass Österreich mehr Dublin-III-Rückführungen durchführen wird, wie es auch die Regierung andenkt. Etwa nach Slowenien, wenn der Flüchtling das Land auf seinem Weg passiert hat. Im Vorjahr wurden 1300 Überstellungen in Dublin-Länder durchgeführt. Hier möchte die Regierung beschleunigen. Sollte Österreich das Asyl-Verfahren an sich verwehren, kann der Flüchtling sein Recht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagen. Das ist aber ein langwieriges und teures Verfahren.

 3) Können Asylverfahren in die Länge gezogen werden?

"Die Genfer Flüchtlingskonvention schreibt zwar selbst keine bestimmte Höchst-Verfahrensdauer vor, aber eine willkürliche Verzögerung läuft darauf hinaus, Flüchtlingen ihre Rechte vorzuenthalten, und ist daher ein Verstoß", so die Einschätzung des Asylanwalts Clemens Lahner. Im Schnitt dauern die Verfahren laut Innenministerium sechs Monate. Laut Lahner ergibt sich die Dauer, weil hier die Dublin-Verfahren miteingerechnet sind und nur geprüft wird, ob ein anderes Land zuständig ist. "Inhaltliche Verfahren dauern im Schnitt wesentlich länger. Ansonsten gäbe es ja keine Säumnisbeschwerden."

4) Können die Grenzen dichtgemacht werden?

Laut Obwexer wäre es rechtswidrig, die Grenzen zur Gänze zu schließen - und zwar aufgrund des Schengener Abkommens. Dieses bietet jedoch die Möglichkeit, temporäre Kontrollen einzuführen, wie dies nun von der Regierung geplant wird. Laut einer Grobschätzung sei mit einem Verlust von 1,2 Milliarden Euro für die österreichische Gesamtwirtschaft zu rechnen, so Christian Mandol, Leiter der EU-Abteilung in der Wirtschaftskammer. Besonders betroffen wären davon die österreichischen Autozulieferer nach Deutschland, wovon viele Just-in-time-Lieferungen machen. Diese müssten eine längere Anfahrtszeit kalkulieren oder Auslieferungslager in Deutschland installieren. Beides wäre mit erheblichen Mehrkosten verbunden.

Massive Einbrüche erwarten auch die Touristiker durch den Wegfall von Tagesurlaubern vor allem aus Bayern. Und die Verkehrswirtschaft, sagt Mandol. Pro Wartestunde und Lkw an der Grenze müsse man mit 50 Euro Mehrkosten rechnen. Alleine die österreichischen Logistikunternehmen hätten durch Grenzkontrollen pro Tag mit 2,5 Millionen Euro Verlust zu rechnen, warnt die Wirtschaftskammer.

5) Wie viele Asylwerber sind im Verfahren?

Im Vorjahr wurden 90.000 Asylanträge gestellt, 60.000 davon müssen noch entschieden werden. Diese haben sich laut Innenministerium vor allem in der zweiten Jahreshälfte aufgebaut. Für 2016 werden bis zu 130.000 Anträge erwartet. Annähernd 40 Prozent der im Vorjahr in erster Instanz entschiedenen Anträge hatten einen positiven Asylbescheid zur Folge. Zu Beginn des Vorjahres kamen die meisten Antragsteller aus dem Kosovo, später aus Syrien. In den vergangenen zwei Monaten bildeten die Afghanen die größte Gruppe der Antragsteller.

6) Was passiert mit dem Familiennachzug?

Die für 2016 festgelegte Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen beziehe sich konkret auf gestellte Asylanträge - inklusive Familiennachzug, verkündete der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer nach dem Asylgipfel am Mittwoch. Stimmt nicht, heißt es aus der SPÖ-Zentrale: Hier seien aufgrund der Rechtssituation unterschiedliche Herangehensweisen möglich.

Dass nachziehende Familienmitglieder aufgrund einer etwaigen Obergrenze nicht mehr ins Land gelassen werden, ist aus Sicht von Bernhard Schneider, Bereichsleiter Rechts- und Migrationsangelegenheiten des Roten Kreuzes, klar verfassungswidrig. Das Recht auf Familienzusammenführung ist im Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben - diese steht im Verfassungsrang. Würden nachziehende Familienmitglieder also abgewiesen, käme das einem Verfassungsbruch gleich. Laut Schneider kämen auf dem Weg des Familiennachzugs ohnehin nur wenige Menschen ins Land - in den letzten Jahren nur zwischen 5 und 10 Prozent der Asylantragszahlen. 2015 waren es rund 4000 Personen.

7) Welche Ressourcen hat Österreich noch?

Die Ressourcen an Quartieren sind laut Innenministerium bereits erschöpft. Einige tausend Flüchtlinge seien noch immer in Notquartieren. Die einzige noch bleibende Lösung wäre, dass die Bundesländer ihre Quoten erfüllen. Derzeit hält sich nur Wien an dieses Ziel. Die Steiermark, Niederösterreich, Vorarlberg, Kärnten und Oberösterreich haben die vereinbarte Quote nahezu erfüllt. Das Burgenland, Salzburg und Tirol bilden die Schlusslichter. Aus personeller Sicht sollen heuer 1700 zusätzliche Exekutivbeamte kommen - die automatische Nachbesetzung sämtlicher Abgänge sei in diese Zahl nicht miteinberechnet, so das Ministerium.