Der scheidende EU-Agrarkommissar Franz Fischler ist überzeugt, dass die Europäische Union mit der möglichen Aufnahme der Türkei an ihre Grenzen gekommen ist. Der Tiroler glaubt - anders als manche EU-Mitglieder -, dass es derzeit nicht sinnvoll sei, darüber nachzudenken, ob Moldawien, die Ukraine oder Marokko auch noch Mitglieder werden können.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Union könne nur als politisches Gebilde Frieden sichern und den gemeinsamen Wohlstand mehren. Deshalb warnt Fischler alle Erweiterungsfanatiker: Schon mit der Türkei drifte Europa "an den Rand des Möglichen". Der Zusammenhalt werde auf die Probe gestellt.
Dasselbe gelte für die Balkanstaaten. Bevor diese aufgenommen würden, müssten sie sich erst weiter entwickeln. Denn: "Mit der Türkei erreicht die EU ihre Grenzen im Großen." Der Kommissar meint damit sowohl die geografischen, als auch die politischen. Nur Länder wie Norwegen, die Schweiz oder Island könne die Staatengemeinschaft noch ohne weitere Probleme verkraften.
Der EU-Agrarkommissar bestätigt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass der Türkei-Fortschrittsbericht samt Schlussfolgerungen seine Handschrift trägt. Mit dem Bericht wurde eine Trendwende für künftige Verhandlungen und Erweiterungsschritte gesetzt, ist Fischler überzeugt. "Wer sagt, dass Verhandlungen auf jeden Fall zu einer Mitgliedschaft führen müssen, der irrt." Die Gespräche mit den Türken würden das Niveau künftiger Verhandlungsrunden definieren. Der größte Risikofaktor, laut Fischler, ist die Ungewissheit wie die angekündigten Referenden in den Mitgliedstaaten ausgehen: Denn sollten die Verhandlungen positiv enden, weil Ankara große Anstrengungen abverlangt wurden, aber die Wähler in manchen Staaten gegen einen Beitritt votieren, dann würde das den islamischen Fundamentalisten in die Hände spielen. Deshalb sollte dieses Szenario schon im Vorhinein überdacht und in den Verhandlungsprozess eingearbeitet werden.
Die EU-Skepsis der Österreicher gibt Fischler zu denken. Das Bild von der EU als abgehobenem Diplomatenprojekt stimme nur bedingt. Das Problem ortet er in der ungenügenden Vermittlung der Entscheidungen und deren Bedeutung für die Bürger: "Die Kommunikation muss verbessert werden."