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Grenzen, die Jobs und Geld kosten

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Das Ende der gemeinsamen Strom-Zone mit Deutschland würde Österreich 300 Millionen Euro kosten - und Industrie-Jobs.


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Wien. In Europa ist derzeit nicht nur in der Flüchtlingsfrage eine kuriose Entwicklung zu sehen: Sobald Probleme auftauchen, wird versucht, Grenzen hochzuziehen. Dies gilt auch bei der Energieversorgung. Und während sich in der Flüchtlingsfrage so mancher Österreicher mit "dichten Grenzen" anfreunden würde, beim Strom wird es wohl anders sein. Denn die von Energie-Regulatoren ins Auge gefasste Ende des gemeinsamen Strommarktes mit Deutschland würde in Österreich den Strompreis für Haushalte und Industrie empfindlich in die Höhe schnellen lassen. Es würde die Stromkunden wenigstens 300 Millionen Euro kosten, so eine interne Berechnung der Verbundgesellschaft. Sollte dies kommen, würde Österreich den Klagsweg beschreiten, ist aus dem Wirtschaftsministerium zu hören.

Kurz zum Hintergrund der Geschichte, die auch dem Plan der EU-Kommission, eine Energieunion zu schaffen, zuwiderläuft: Deutschland produziert immer mehr Windstrom an der norddeutschen Küste, eine logische Folge der ausgerufenen Energiewende. Wenn dort der Wind ordentlich bläst, wird enorm viel Strom produziert. Der Ausbau des Leitungsnetzes nach Süddeutschland hielt dem aber nicht stand. Da sich Strom physikalisch den Weg des geringsten Widerstandes sucht, laufen diese enormen Mengen über Polen, Tschechien - und Österreich nach Süden.

Polen verteidigtseine Kohlekraftwerke

In Tschechien kam es deswegen schon zu einer gefährlichen Überlastung der Leitungen, es drohte ein Black-out. Die enormen Energiemengen sorgen auch für stark schwankende Preise. Das wiederum gefährdet in Polen die dort zur Stromgewinnung üppig betriebenen Kohlekraftwerke, sie sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Da Polen seinen Kohlebergbau schützen will, hat Warschau den EU-Stromregulator Acer angerufen. Der machte es sich leicht und verlegte den innerdeutschen Energie-Flaschenhals an die Grenze zu Österreich. Nun soll Österreich ein sogenanntes "Engpassmanagement" implementieren, was wegen der dann geringeren Strommenge zu Preissteigerung in Österreich führen würde.

Die Auswirkungen wären enorm. "Das wäre ein sehr negatives Signal für unsere kommenden Überlegungen", sagte Voestalpine-Sprecher Peter Felsbach. "Wir brauchen viel mehr Strom, so in der Größenordnung von 40 Donaukraftwerken."

Bei der Voestalpine geht es - wie in der Sonderausgabe zur OÖ-Wahl am Montag berichtet - in den kommenden Jahren um die Entscheidung, ob die Hochöfen in Linz und Donawitz bestehen bleiben. Dabei geht es um tausende Jobs. Eine der technologischen Möglichkeiten sind sogenannte "Elektroöfen". Dabei wird - simpel gesprochen - für die Eisen-Erzeugung Kohle durch Strom ersetzt. Ein konkurrenzfähiger Strompreis ist daher für die Voestalpine ein wichtiger Punkt in der strategischen Entscheidung. Ähnlich verhält es sich in der Papierindustrie.

Die Arbeiterkammer ist hochalarmiert, sowohl wegen der drohenden Arbeitsplatzverluste als auch wegen der drohenden Strompreiserhöhung. "Und es ist auch demokratiepolitisch bedenklich, wenn so wichtige Entscheidungen abseits der Öffentlichkeit von Agenturen wie Acer getroffen werden", sagte AK-Energieexperte Dominik Pezenka.

Und auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat der Spruch des Regulators vorige Woche in einige Spannung versetzt. Das Thema wird beim nächsten Energieministerrat in Brüssel besprochen, und auch die EU-Kommission ist alarmiert. Denn es läuft dem Plan von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuwider, der eine EU-Energieunion schaffen will, in dem der Strom frei von Nord und Süd (und wegen der Physik) auch umgekehrt fließen kann.

Derzeit ist der Energiemarkt der EU in einer ähnlichen Verfassung wie etwa die Währungsunion oder die gemeinsame Asylpolitik: Es herrscht Chaos. Die Energiewende in Deutschland hat zu enormen Subventionen der alternativen Energieformen geführt, es geht hier um mehr als 25 Milliarden Euro jährlich. Das führte zum Ausbau enormer Windkraft-Kapazitäten vor allem in der Nordsee.

Der damit notwendige Ausbau der Netze hinkt allerdings gewaltig hinterher. Dabei scheitert es weniger am Geld, auch wenn die Investitionssumme EU-weit im dreistelligen Milliardenbereich liegt. Es scheitert an den notwendigen Genehmigungen. Bayern etwa legt sich gegen neue Stromtrassen quer, die Deutschland eigentlich dringend benötigt.

Riesige Preisschwankungenauf dem Strommarkt

Nun soll das Problem quasi nach Österreich "exportiert" werden. "Die Trennung hätte keine großen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Österreich", meinte der Chef der deutschen Bundesnetzagentur, Jochen Homann. Österreich sieht das anders.

Denn schon jetzt passieren im europäischen Stromnetz etliche Kuriositäten, die der Öffentlichkeit nicht auffallen, solange "der Strom aus der Steckdose kommt". Beispiel: Wenn es in der Nordsee stürmt, muss die Verbundgesellschaft in Österreich Kraftwerke hochfahren, um dem hereinströmenden Strom etwas in der Gegenrichtung entgegensetzen zu können. Nur so bleiben die Netze physikalisch stabil.

Die aus dem Norden kommenden Strommengen sind mittlerweile so hoch, dass es an Wochenenden (wenn Industriebetriebe geschlossen sind) mittlerweile am Strommarkt zu negativen Preisen kommt. Die Verbund bekommt Geld, weil sie Strom abnimmt, mit dem sie die Pumpen der Speicherkraftwerke betreibt.

Die enormen Schwankungen führen dazu, dass sich der Strompreis an den Börsen in den vergangenen sechs Jahren mehr als halbiert hat. Vor allem die großen deutschen Energieversorger, die bis vor kurzem als unsinkbare Schiffe galten, setzt das schwer zu. Zusammen mit der Stilllegung der Atomkraftwerke stehen RWE, E.On und die Energiewerke der großen deutschen Städte schwer unter Druck. Der CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen hat gestern angeregt, der dort beheimateten RWE Staatshilfe zu gewähren, um Schlimmeres zu verhüten. Abhilfe könnte nur, so Voestalpine-Chef Wolfgang Eder, ein gemeinsamer europäischer Markt schaffen. Wenn da nur nicht nationale Grenzen wären. . .