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Grenzen für den Schnüffelstaat

Von Jürgen Oeder

Europaarchiv

Verfassungsgericht: Zugriff vorerst nur bei schweren Straftaten. | Beschluss ist Glied in langer Kette. | Karlsruhe. (afp) Mit seinem Eilbeschluss zur Vorratsdatenspeicherung von Telefondaten hat das deutsche Bundesverfassungsgericht dem Schnüffelstaat erneut enge Grenzen gezogen. Vorerst nur in Fällen schwerer Kriminalität darf der Staat gespeicherte Verbindungsdaten abrufen, heißt es in dem in Karlsruhe veröffentlichten Beschluss.


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Vor ihrer endgültigen Entscheidung zu dem umstrittenen Gesetz wollen die Richter aber offenbar das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten. Dieser wiederum hat über eine durchaus aussichtsreiche Nichtigkeitsklage Irlands gegen die Umsetzung der europäischen Vorgabe in nationales Recht zu entscheiden.

Die Bedenken, die Karlsruhe nun in der einstweiligen Anordnung vortrug, machen den Beschluss aber schon jetzt zu einem weiteren Glied einer inzwischen langen Kette von Entscheidungen zugunsten des Datenschutzes der Bürger. Die Verfassungshüter wiesen darauf hin, dass die Regierung bei Umsetzung über die "zwingenden Vorgaben" aus Brüssel ohne Not hinausgegangen sei. Die EU fordere den Zugriff auf die massenhaft gespeicherten Daten aus Festnetz- und Handyverbindungen allein bei "schweren Straftaten", nicht schon bei banaleren Delikten wie dem Herunterladen von Musik oder gar für Schnüffelaktionen der Geheimdienste, wie es das deutsche Gesetz erlaubt.

"Bergpredigt des

Datenschutzes"

Gut möglich also, dass Karlsruhe diese Ausweitung im späteren Urteil zur Vorratsdatenspeicherung unter Berufung auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kappen wird. Dieses scharfe Schwert der Datenschützer schmiedete Karlsruhe in seinem Volkszählungsurteil von 1983. Die Richter erkannten damals die Bedeutung persönlicher Daten in einer Informationsgesellschaft an und entwickelten das neue Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Datenschutzzentrum von Schleswig-Holstein bezeichnet dieses Urteil inzwischen gar als "Bergpredigt des Datenschutzes", weil damit die Überwachungsneigung des Staates vor allem seit den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA eingedämmt werden könne.

So setzte das Verfassungsgericht denn auch in den vergangenen Jahren in einer ganzen Serie von Entscheidungen den Befugnissen der Ermittler enge Grenzen. Auf Grundlage des neuen Grundrechts kippte Karlsruhe zunächst den großen Lauschangriff der Polizei. Das Gericht entschied, dass bei der heimlichen Wohnraumüberwachung der "Kernbereich privater Lebensgestaltung" absolut zu schützen sei.

Danach verboten die Richter dem Zollkriminalamt die präventive Telefon- und Briefüberwachung bei vermuteten Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Und erst im Februar setzten sie der von Innenminister Wolfgang Schäuble gewollten Online-Durchsuchung enge Grenzen.