Motto "Bildung ist unverkäuflich". | Verständnis bei deutschen Politikern. | Berlin/Wien. Schon im Juni dieses Jahres gingen in Deutschland 250.000 Menschen unter dem Motto "Bildungsstreik" auf die Straße, um gegen Studiengebühren und marktorientierte Bildung zu demonstrieren. Unter dem Einfluss der Studentenproteste in Österreich scheint die Bewegung im Nachbarland aber nun noch größere Dynamik zu entfalten. Hörsäle an mehr als 20 Universitäten sind seit Tagen besetzt. | Der große Tag der Studenten | Interview mit dem Politologen Anton Pelinka
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Am Dienstag gab es Demonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern in rund 50 Städten. Und auch in anderen Ländern wie in Italien und Frankreich gab es Kundgebungen, die die nationale Bildungspolitik aufs Korn nahmen.
In Österreich selbst, wo seit rund drei Wochen Hörsäle besetzt sind, gab es nur eine Großkundgebung vor der Wirtschaftskammer in Wien, aber zahlreiche kleinere Aktionen in den Universitätsstädten. So machten etwa die Besetzer der "Vorklinik"-Hörsäle der Universität Graz mit einer "ProfessorInnenversteigerung" in der Grazer Innenstadt ironisch auf den "Bildungsausverkauf" aufmerksam.
In der Schweiz forderte der Rektor der Universität Basel die Studenten zur Räumung der besetzten Aula auf und drohte mit dem Abdrehen von Tonanlage und Heizung. Er schlug ein Forum zur Diskussion ihrer Forderungen vor. Die Besetzung soll aber weitergehen. Am Mittwoch gab es Kundgebungen auch in Bern, Zürich und Genf.
Mehr Entgegenkommen gibt es in Deutschland. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) äußerte Verständnis für manche Anliegen. "Dazu gehört die Frage, wie schaffen wir, dass die Umsetzung des Bologna-Prozesses und die neuen Studienstrukturen wirklich gut gelingen." Die Studenten fordern die Abschaffung der Bachelor- und Masterstudiengänge in ihrer derzeitigen Form. Außerdem verlangen sie bessere Lernbedingungen, mehr Mitbestimmung und die Abschaffung der Studiengebühren, die es in manchen Bundesländern gibt und gegen die auch die SPD ist. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) solidarisierte sich mit den Demonstranten, deren Motto "Education is Not for Sale" ("Bildung ist unverkäuflich") lautet. Unterstützung kam auch von der Vorsitzenden des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), die eine Abordnung der protestierenden Studenten und Schüler zu einem Gespräch ins Parlament einlud. Sogar der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, appellierte an die Universitäten, die Probleme der Studenten ernst zu nehmen. Die Studenten wollen auch nach dem gestrigen Aktionstag weiter machen: Ab 30. November ist eine weitere Aktionswoche geplant.
In Italien, wo am Dienstag laut Organisatoren in 50 Städten demonstriert wurde, stand der Protest gegen die geplanten Einsparungen im Universitätsbereich im Mittelpunkt. Die Universitätsreform sieht unter anderem deutlich weniger Professoren und strenge Auflagen für Hochschulen mit Budgetdefiziten vor. 700 Millionen Euro sollen solche Maßnahmen im kommenden Jahr dem Staatssäckel bringen.
In Frankreich richtet sich der Protest gleichfalls gegen vorgesehene Reformen, allerdings vor allem im Schulbereich. Vertreter von knapp 3000 Schulen protestierten in 26 Städten.
Auch außerhalb Europas kommt es zu Protesten. Im westafrikanischen Sierra Leone wurde gegen Studiengebühren demonstriert. Gleichfalls um Studiengebühren geht es an der renommierten Universität von Kalifornien in Berkeley. Dort hofft man allerdings nicht auf deren Abschaffung. Vielmehr wird der Verwaltungsrat der Uni aufgefordert, die Pläne, die Gebühren um 32 Prozent zu erhöhen, wieder fallen zu lassen. Andernfalls droht ab Mittwoch Streik.
Was die Studenten stört
Dass man in manche Lehrveranstaltungen überhaupt nicht hineinkommt, finden die meisten Studierenden am störendsten im Studienalltag. 61 Prozent nannten in einer Umfrage des Instituts für Jugendkulturforschung zur aktuellen Protestbewegung diesen Punkt. Weiters werden überfüllte Hörsäle (56 Prozent) und schlechte Betreuungsverhältnisse (56 Prozent) als besonders störend empfunden, an vielen Deutschen an den Unis stoßen sich dagegen nur 18 Prozent. Insgesamt befürworten 73 Prozent der Befragten die Protestaktionen, 27 Prozent sind dagegen.
Die Jugendforscher haben in einer für Studierende an österreichischen Universitäten repräsentativen Online-Umfrage unter 500 Studenten die Protestbefürworter aus einer Liste von Forderungen nach den fünf wichtigsten gefragt. Dabei wurde "Bildung statt Ausbildung" mit 66 Prozent am häufigsten genannt, noch vor "ausreichend Lehrveranstaltungen mit gutem Betreuungsverhältnis" (63 Prozent) und "Universitäten sollen vom Staat so viel Geld bekommen, dass sie nicht auf Mittel aus der Wirtschaft angewiesen sind" (52 Prozent), "keine Verschulung der Studienpläne" (46 Prozent) und "keine Zugangsbeschränkungen für Uni-Studien" (34 Prozent). "Niemand soll Studiengebühren zahlen müssen" nannten 28 Prozent.
Befragt, was sie als Wissenschaftsminister als allererstes an den Unis ändern würden, sagten 27 Prozent, sie würden mehr Geld für die Unis zur Verfügung stellen, 23 Prozent nannten regulierende Konzepte zum Thema Hochschulzugang. Nur jeweils drei Prozent würden eine Reform des Bologna-Prozesses bzw. eine Demokratisierung der Unis angehen.