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Grenzgang am Rande des Bankrotts

Von Christoph Rella

Europaarchiv

Kreditwürdigkeit liegt mittlerweile auf Ramsch-Niveau. | Milliardenkredit des IWF wackelt. | Kiew/Wien. Mitte Februar hatte Finanzminister Viktor Pynsenyk genug: Er könne die Budgetplanung "nicht mehr mit seinen politischen Grundsätzen vereinbaren" - und trat deshalb ab. Ende des Vorjahres hatte die Ukraine nämlich ihr Budgetgesetz abgesegnet - und zwar auf der Basis höchst unrealistischer Annahmen: So war etwa für das Bruttoinlandsprodukt 2009 ein Wachstum von 0,4 Prozent prognostiziert, die Inflationsrate sollte bei nur 9,5 Prozent liegen.


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Tatsächlich befindet sich die Ukraine aber in einer Rezession - "der tiefsten in Osteuropa überhaupt", wie Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche bestätigt. Die Wirtschaftsleistung werde 2009 um fünf Prozent zurückgehen, rechnet die Weltbank. Analysten der Deutschen Bank erwarten gar ein Schrumpfen um acht Prozent.

Und auch die Inflationsrate ist weitaus höher anzusiedeln, als im Budget veranschlagt. Weltbank und Analysten des ukrainischen Institutes IER Kiew gehen von einer Teuerungsrate von bis zu 17,5 Prozent aus. Gründe genug also für Pynsenyk, den Hut zu nehmen.

Zwischenzeitig ist die Wirtschaftslage noch brisanter geworden: Eben erst hat die Ratingagentur Standard & Poor´s die langfristige Kreditwürdigkeit des Landes auf Ramsch-Niveau (Rating CCC+) herabgestuft.

IWF: Neu verhandeln?

Die Ukraine könne ihre Schulden dennoch bedienen, versucht Präsident Viktor Juschtschenko Sorgen über einen Staatsbankrott zu zerstreuen. Er forderte jedoch Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zum wiederholten Male auf, die Staatsausgaben zu kürzen. Nur so könne das Land die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen.

Dieser hatte der Ukraine im November einen Kredit in Höhe von knapp 13 Milliarden Euro zugesagt, im Gegenzug musste sich Kiew verpflichten, ein ausgeglichenes Budget vorzulegen. Eingehalten wurde die Vereinbarung allerdings nicht - weshalb der IWF Anfang des Monats die Überweisung der zweiten Tranche verschoben hat.

Den Gesetzgeber kümmerte bisher auch wenig, dass der IWF die Aufhebung der Devisensteuer und Rücknahme von Aufschlägen auf Importzölle als Bedingung genannt hatte. Kiew sind freilich die Hände gebunden, zumal die Auflagen eher kontraproduktiv als hilfreich scheinen. Gut möglich, dass sich die IWF-Mission noch im April mit der ukrainischen Regierung zusammensetzen und neuerlich über den Kredit verhandeln wird.

Stahlexport bricht ein

Die Ukraine, die auf den Export von Stahl und Rüstungsgütern spezialisiert ist, kämpft überdies mit einem hohen Leistungsbilanzdefizit. Dieses wird allerdings heuer, wie auch der IWF anerkennt, sinken. Der Grund: Zwar werden wegen der stark sinkenden Nachfrage nach Stahl die Güterexporte 2009 um 21,9 Milliarden Dollar schrumpfen. Das Importvolumen sinkt aber noch viel stärker, nämlich um 26,4 Milliarden Dollar. Das hat einen simplen Grund: Die Ukrainer können sich immer weniger leisten, weil die Landeswährung Hrywnja gegenüber dem Euro dramatisch an Wert verloren hat - seit September 2008 rund ein Drittel.

Auf der Habenseite verbuchen kann das Land, dass die Staatsverschuldung mit elf Prozent immer noch außerordentlich gering ist. Analysten schätzen jedoch, dass die Ukraine einschließlich ihrer Banken und Firmen im Ausland in diesem Jahr Schulden im Volumen von umgerechnet rund 23 Milliarden Euro begleichen muss.

Vor Hilfe aus Russland

Der Weg, Kapital über Staatsanleihen aufzubringen, ist versperrt: Zu zerrüttet ist das Vertrauen an den Finanzmärkten, wie die desaströsen Ratings zeigen.

Dass die Nationalbank Anleihen "in nennenswertem Umfang" aufgekauft hat, trägt ebenfalls nicht zur Vertrauensbildung bei. Es nährt die Sorge, dass sich die Geldentwertung noch beschleunigt. Astrov warnt: "Ich sehe weiterhin die reale Gefahr einer Hyperinflation." Er rechnet, dass die Ukraine frühestens 2010 wieder auf Wachstumskurs umschwenkt.

Julia Timoschenko verhandelt indes mit Russland über einen Stützungskredit in Höhe von 3,9 Milliarden Euro. Ein riskantes Unterfangen, denn ohne Gegenleistung wird der Deal nicht zustandekommen. Und das, was Moskau will - die Kontrolle über die Gaspipelines, die Häfen auf der Krim oder die Anerkennung des Russischen als offizielle Sprache -, wird Timoschenko nicht anbieten können.