Zäune werden Flüchtlinge nicht aufhalten, sagt der stellvertretende Frontex-Chef Berndt Körner im Interview mit der "Wiener Zeitung".
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"Wiener Zeitung": Die EU übt Druck auf Athen aus, die EU-Außengrenze besser zu überwachen. Mit seinen zahlreichen Inseln hat Griechenland tausende Kilometer Außengrenze. Wie ist es überhaupt möglich, diese zu sichern?
Berndt Körner: Die blauen Grenzen sind am schwierigsten zu sichern. Von Inseln, die bewohnt sind, bis zu unbewohnten Felsen - das sind alles Anlaufstellen, da kann man sehr schwer eine Liniensicherung einführen. Man muss den gesamten Raum betrachten. Es ist wichtig, Menschen davon abzuhalten, überhaupt den Weg ins offene Meer zu beschreiten, wo diese tragischen Unfälle passieren.
Was geschieht mit den Flüchtlingen, die Frontex in der Ägäis aufgreift?
Die EU-Verordnung über die Überwachung der EU-Außengrenzen schreibt uns vor, die Migranten in den nächsten Hafen nach Griechenland zu bringen. Dort werden sie den Behörden übergeben und nach nationalen Regeln registriert und befragt. Es wird festgestellt, ob Recht auf Schutz besteht, dann geht es Richtung Asylverfahren. Wenn kein Antrag gestellt wird und die Person nicht schutzwürdig ist, dann bekommt sie kein Aufenthaltsrecht und muss das Land verlassen.
Die Registrierung erfolgt in Hotspots, das will aber nicht recht funktionieren. Wie kann man das ändern?
Bei den Hotspots handelt es sich um ein Gesamtsystem: Das geht vom Empfang über Sicherheitskontrollen, Kontrolle in den Datenbanken, Registrierung von Fingerabdrücken und Erstbefragung bis zur Beratung. Entsprechend wird entschieden, ob es Schutz vor Verfolgung geben muss oder eine freiwillige Rückkehr möglich ist. Dass Migranten erstbefragt werden, funktioniert schon. Das System ist in vier von fünf Hotspots implementiert, auf Kos gibt es noch internen Widerstand. Wir kooperieren mit dem Europäischen Polizeiamt Europol, der Einheit für justizielle Zusammenarbeit der EU Eurojust und dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (Easo), damit bei kriminalpolizeilichen Hintergründen sofort reagiert werden kann. Ergibt sich bei einer Befragung etwa, dass ein kriminelles Netzwerk im Hintergrund steht, wird das sofort an Europol weitergeleitet, damit sie ermitteln können. Wenn jemandem kein Aufenthaltsrecht zukommt, muss er wieder nach Hause. Wenn jemand einen Antrag auf Schutz gestellt hat, soll dieser mit der Umsiedelung von einem EU-Staat bearbeitet werden. Bei diesem Thema scheiden sich momentan jedoch die Geister.
Der Merkel-Plan, also die Idee, Flüchtlinge bereits in der Türkei zu registrieren und dann in die EU zu holen, würde die Schlepperei wohl am nachhaltigsten bekämpfen.
Ich kann den konkreten Plan nicht kommentieren, sondern nur darauf hinweisen, dass die Seegrenzen zu den kritischsten überhaupt gehören. Wenn da etwas schiefgeht, wird es sehr oft sehr tragisch, auch die eingesetzten Kräfte kommen an ihre emotionalen Belastungsgrenzen. Wenn Wege gefunden werden, dass Anträge auf Schutz früher gestellt werden, wenn das Exponiert-Sein auf hoher See vermieden werden kann, wird es auch weniger Todesfälle geben. Schafft man legale Wege der Migration, etwa zu Arbeits- und Ausbildungszwecken, dann hätte das wahrscheinlich auch Auswirkungen auf die Anzahl von Asylanträgen. Das ist allerdings nicht von uns zu befinden, wir haben uns an unser Mandat zu halten, und das ist derzeit die Operation in der Ägäis.
Dafür hat Griechenland die EU aufgefordert, 2000 Frontex-Beamte und 100 Boote zu schicken. Wie verläuft Ihre Zusammenarbeit mit Athen?
Die Zusammenarbeit ist immer wieder angespannt, das ist normal. Sie ist aber konstruktiv, wir haben Leute vor Ort stationiert, in einem Verbindungsbüro in Piräus. Sie stehen in Kontakt mit ihren griechischen Kollegen, die unter enormem Druck stehen. Aus persönlicher Sicht sind sie oft nicht zu beneiden. Ich war vor zwei Wochen in Griechenland und habe meinen griechischen Counterpart gebeten, Gefechte nicht in der Öffentlichkeit auszutragen. Verlangt der eine mehr, als der andere leisten kann, und richtet man sich dann über die Öffentlichkeit Dinge aus, bringt das dem Anliegen nichts. Wir sind aktuell mit 775 Grenzkontrollbeamten vor Ort und haben versucht, unsere Profile zu erweitern, damit wir noch mehr schicken können.
Mit Ausnahme der vergangenen Tage geht der Flüchtlingsstrom aus der Türkei nach Europa unvermindert weiter. Seit Jahresbeginn sind mindestens 75.000 Menschen über das Meer nach Griechenland gekommen, im gesamten Jänner und Februar des Vorjahres waren es lediglich 4567 gewesen. Dabei hat Ankara zugesichert, seine Kontrollen an der Küste zu verschärfen, um Schlepper zu bekämpfen.
Es ist schwer zu beurteilen, welche Gründe es dafür gibt. Fakt ist: Ja, die Zahlen kann ich bestätigen. Im Vergleich zum Jänner 2015 gibt es eine extreme Steigerung, in Relation zu Dezember 2015 haben wir einen Rückgang.
Das kann am eben begonnenen Nato-Einsatz, aber auch an der Jahreszeit liegen.
Selbstverständlich. Es ist noch zu wenig Zeit vergangen, um eine valide Aussage treffen zu können. Fakt ist, dass die Kontakte zur Türkei zunehmen: Es gibt den EU-Aktionsplan für die Türkei, es gibt einen Verbindungsbeamten, der zusammen mit meinem Chef Gespräche mit den türkischen Kollegen führen wird. Wir versuchen hier, im sogenannten Grenzvorbereich, alles zu tun, und hoffen, dass die Entwicklung der vergangenen Tage anhalten wird.
Ihr Chef, Frontex-Direktor Fabrice Leggeri, hat der Türkei vorgeworfen, illegal eingereiste Flüchtlinge nicht - wie in bilateralen Abkommen festgelegt - zurückzunehmen und auch im Kampf gegen Schlepper nicht durchzugreifen. Ist die Türkei unkooperativ?
Was das Rücknahmeabkommen angeht, ginge es sicher besser. Im EU-Türkei-Rücknahmeabkommen gibt es die Drittstaatklausel. Die Türkei hat seinerzeit festgelegt, dass diese erst eintritt, wenn entsprechende Anschlussrücknahmeabkommen abgeschlossen werden. Da ist viel zu tun, von türkischer wie von EU-Seite, das liegt aber nicht in unserem Aufgabenbereich. Es gibt eine bilaterale Rücknahmevereinbarung zwischen Griechenland und der Türkei. Die Umsetzung leidet daran, dass die Türkei manchmal nicht im erwarteten Ausmaß zurücknimmt, sowohl größenmäßig als auch in zeitlicher Hinsicht. Hier müssen Gespräche geführt werden, bei denen wir uns als Vermittler anbieten wollen.
Die Visegrad-Staaten und Österreich wollen Mazedonien bei der Abriegelung seiner Grenze zu Griechenland helfen, um die sogenannte Balkan-Route zu schließen und das "Durchwinken" zu beenden. Welche Auswirkungen erwarten Sie davon?
Staaten haben das Recht, temporäre Kontrollen einzuführen. Gleichzeitig sind wir im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet, Anträge anzunehmen, wenn Personen Schutz vor Verfolgung suchen. Das gilt für sämtliche Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben. Entscheidet sich das Nicht-EU-Land Mazedonien für eine hermetische Abriegelung der Grenze, wird möglicherweise den Strom durch Mazedonien brechen, doch es gibt viele Routen in die EU. Wer meint, Migration nur durch grenzpolizeiliche Maßnahmen beseitigen zu können, wird immer irgendwo ein Loch haben, das er zumachen muss. Und auch die Gründe der Migration sind dadurch nicht zu beseitigen, denn grenzpolizeiliche Maßnahmen lösen weder die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien noch den Hunger im Subsahara-Raum. Es bedarf eines großes europäischen Ansatzes. Kontrolle ist möglich, aber keine Lösung, das Problem wird sich dadurch nur verlagern.
Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will Spielfeld als Modell für zwölf weitere Grenzübergänge anwenden. Was bringen Grenzzäune?
Wir sind von diesem Migrationsstrom - 2015 waren es 1,8 Millionen illegale Grenzübertritte in die EU - alle überrascht worden. Es müssen jetzt Mittel gefunden werden, um diesen Strom bewältigen und koordinieren zu können. Die sogenannten Grenzzäune sollen sicherstellen, dass Menschen den Registrierungsinstanzen zugeführt werden können, damit am Ende eine Entscheidung über den Asylanspruch gefällt wird. Das Grenzmanagement sehe ich auch in diesem Zusammenhang, das kann Österreich helfen. Die Aspekte, die international zu lösen sind, sind andere. Das ist grenzpolizeilich nicht in den Griff zu kriegen.
Was haben der Ausbau von Frontex und der Nato-Überwachungseinsatz bei der Bekämpfung der Schlepperbanden gebracht?
Wir haben mit Jahreswechsel zusätzliches Budget von insgesamt rund 240 Millionen Euro und mehr Personal bekommen. An der Struktur von Frontex, am Mandat hat sich aber nichts verändert.
Dabei war das doch ursprünglich geplant?
Es gibt einen Vorschlag der EU-Kommission, der derzeit in Brüssel beraten wird. Es soll ein Akkord erzielt werden und ein anderes Mandat in Kraft treten. Wir haben uns vergangene Woche mit dem niederländischen Ratsvorsitz unterhalten, der in dieser Frage so weit wie möglich vorankommen möchte. Es besteht die Hoffnung, das Paket bis zum Ende der niederländischen Präsidentschaft fertigzustellen, sodass die neue Tätigkeit von Frontex mit dem neuen Mandat im Herbst beginnt. Das wäre allerdings absolutes Express-Tempo. Das zusätzliche Mandat für Frontex würde auch zusätzliches Personal und Budget bedeuten.
Die NGO "Pro Asyl" kritisiert den Einsatz vor der türkischen Küste als "Bruch der Menschenrechte von Flüchtlingen" und "Aushebelung des Asylrechts".
Das ist einer der Punkte, die wir sehr sensibel und genau beachten werden müssen beim Nato-Einsatz. Wir, also Frontex, sind innerhalb unseres Mandats und damit innerhalb des griechischen Hoheitsgebiets unterwegs.
Flüchtlinge ohne Asylverfahren in die Türkei zurückzuschicken ist also ausgeschlossen?
Pushbacks (das Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten, Anm.) sind ein absolutes No-Go, darauf legen wir großen Wert. Wie die Nato-Operation hier vorgeht, die vom griechischen Hoheitsgewässer bis zur türkischen Seite mit unserem Mandat zusammenspielt, muss ganz genau besprochen werden, damit alle Punkte geklärt sind.
Zur Person
Berndt Körner ist seit 1. Jänner stellvertretender Exekutivdirektor der
EU-Grenzschutzagentur Frontex. Der Österreicher studierte Jus an der Uni
Graz und arbeitete 15 Jahre lang für das Innenministerium, unter
anderem als Leiter der Abteilung Fremdenpolizei und Grenzkontrolle. Von
2010 bis 2013 war er Experte für Schengen-Evaluationen im
Generalsekretariat des Rates, danach war er in der EU-geführten
Polizeimission "Pameca IV" in Albanien im Einsatz.