Nova Gorica/Gorizia - Noch liegen Nova Gorica und Gorizia in getrennten Welten. Doch wenn Slowenien im Mai 2004 der EU beitritt, soll alles ganz anders werden: Dann "werden wir nicht mehr am äußersten Rand Italiens und Europas leben, sondern das Zentrum eines neuen Europa sein", sagt Vittorio Brancati, Bürgermeister des italienischen Teils der Stadt, die Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Slowenien und Italien aufgeteilt wurde. Seit 1947 trennte der Eiserne Vorhang Vorgärten und Nebenstraßen, teilte dem damaligen Jugoslawien den einen, Italien den anderen Teil der Stadt zu. Wie in Nova Gorica und Gorizia hoffen in ganz Europa die Bewohner geteilter Orte auf die EU-Erweiterung, um wieder zusammenzuwachsen.
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Die meisten Grenzziehungen mitten durch eine Gemeinde erfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg. So wurden zahlreiche Ortschaften entlang der deutsch-polnischen Grenze geteilt, weil Polen das vormals deutsche Schlesien erhielt, nachdem die Sowjetunion Ostpolen eingeheimst hatte. Auch durch Görlitz an der Neisse läuft seither die Grenze - auf polnischer Seite heißt das Renaissance-Städtchen Zgorzelec. Hier wie dort weckt der Beitritt Polens im Jahr 2004 große Hoffnungen: "Die EU-Erweiterung ist die einzige Überlebenschance für unsere Region", sagt der deutsche Bürgermeister Ulf Grossmann. Sein polnischer Kollege in Zgorzelec beschreibt die Lage noch drastischer: Wenn die Städte ihre Chance jetzt nicht nutzten, würden sie "zum hinterletzten Winkel Europas", warnt Miroslaw Fiedorowicz.
Langwierige Kontrollen
Denn auch wenn das Leben seit dem Fall des Eisernen Vorhangs leichter geworden ist, müssen Grenzgänger immer noch langwierige Kontrollen über sich ergehen lassen. Und so stehen in Görlitz 10.000 Wohnungen in restaurierten Gebäuden aus dem 16. Jahrhundert leer, während in Zgorzelec Wohnungsnot herrscht.
In Nova Gorica und Gorizia arbeiten die Behörden schon enger zusammen. So gibt es mittlerweile eine Buslinie zwischen den beiden Teilen der Stadt. "Der Wegfall der Grenze wird noch mehr Verkehr ermöglichen und vielleicht kommen die Italiener dann nicht nur wegen unserer Casinos nach Nova Gorica", sagt dessen Bürgermeister Mirko Brulc. Zwar fürchten einige Italiener, dass slowenische Arbeitskräfte dann in Scharen über die Grenze kommen werden, doch Bürgermeister Brancato zeigt sich unbesorgt. Anders ist das für die knapp tausend slowenischen und italienischen Grenzbeamten - die werden ihre Jobs mit Sicherheit verlieren. Trotz hoher Erwartungen - eine Wiedervereinigung wie die Berlins wird es nach Einschätzung der beiden Bürgermeister nicht geben. "Wir werden zweisprachig leben und kulturelle Verbindungen stärken, aber eine vollständige Wiedervereinigung wird es nicht geben", sagt der Slowene Brulc. Zwar gebe es keine Alternative zu gemeinsamen öffentlichen Einrichtungen und gemeinsamer Stadtplanung, doch "eine vereinigte Stadt bedeutet nicht auch eine vereinigte Verwaltung."
So ehrgeizige Projekte hat die Stadt Valga/Valka an der Grenze zwischen Estland und Lettland noch nicht. Ihr Zusammenleben wird durch die gegenwärtige Gesetzgebung in ihren Ländern derart erschwert, dass sie für die Zeit nach 2004 zunächst einmal nur auf eine gemeinsame Schule hoffen. Valga/Valka gehören zu den europäischen Ortschaften, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg geteilt wurden. Viele andere Städte wurden auch beim Zerfall des Habsburger-Reiches 1918 durchtrennt: so der Ort Cesky Tesin oder Cieszin zwischen Tschechien und Polen, Komarno beziehungsweise Komarom an der Grenze zwischen Ungarn und der Slowakei, sowie Gmünd und Ceske Velenice zwischen Österreich und Tschechien.
All diese Orte hoffen zwar nicht auf eine formelle Wiedervereinigung, aber doch auf eine neue Dynamik. Das gilt vor allem für die deutschen Orte an der Grenze zu Polen, die durch Abwanderung praktisch entvölkert wurden.