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Mit einem Austritt Griechenlands könnte die EU ein für alle Mal klarstellen, dass sie nicht erpressbar ist.
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Die Juristen sind an der Front. Was passiert, wenn Griechenland die (ohnehin verbesserten) Bedingungen der Institutionen alias Troika nicht annimmt und bankrottgeht? Laut Vertrag kann kein Mitgliedsland aus der Eurozone austreten oder hinausgetreten werden. Nur wenn ein Land (aufgrund eines eigenen Antrags) aus der Europäischen Union ausscheidet, dann muss es auch aus der Eurozone austreten.
In der Praxis ist der Prozess einfacher. Wenn die Europäische Zentralbank ihre Liquiditätshilfen für die griechischen Banken stoppt, wozu sie wohl nach einem Konkurs des Landes verpflichtet wäre, bliebe Griechenland nichts anderes übrig, als die Banken und die Wirtschaft des Landes mit der Ausgabe von staatlichen Schuldscheinen bei gleichzeitiger Einführung von Kapitalverkehrskontrollen am Leben zu erhalten und damit eine eigene (am Anfang Parallel-)Währung zu schaffen. Die Kraft des Faktischen würde juristische Barrieren für einen Austritt aus der Eurozone wegräumen.
Zwei Entscheidungen könnten diese Entwicklung noch im letzten Augenblick stoppen. Entweder Griechenland akzeptiert doch noch die Bedingungen (was unwahrscheinlich ist), oder die Institutionen gewähren eine weitere Frist und verwässern die Bedingungen. Zweiterer leider nicht auszuschließende Fall fände kurzfristig breiten Beifall: "Die Vernunft hat obsiegt, Europa hat spät doch noch Handlungsfähigkeit bewiesen, ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang ist verhindert worden."
Tatsächlich wäre jedoch dadurch auf längere Sicht das europäische Integrationsprojekt in seiner Existenz zutiefst gefährdet.
Die Europäische Union beziehungsweise die Eurozone hätten erstens wieder einmal selbst auferlegte Regeln gebrochen. Das wäre mit der aktuellen Krise vielleicht noch argumentierbar.
Sie hätten damit zweitens aber ihr zentrales wirtschaftspolitisches Konzept, dass nur eine über Strukturreformen wiedergewonnene Wettbewerbsfähigkeit die bestehenden Probleme nachhaltig lösen könne, über Bord geworfen und den Internationalen Währungsfonds als Partner für zukünftige Krisen verloren.
Sie hätten damit implizit auch die Schleusen für fiskalpolitische Largesse und verstärkte Notenbankfinanzierung der öffentlichen Haushalte mit allen Gefahren neuer Finanzkrisen und rascher Inflationsbeschleunigung geöffnet.
Ein weiteres Nachgeben der Institutionen in der Causa Griechenland wäre viertens ein Feuerbeschleuniger für alle nationalistischen und europakritischen Parteien in den EU-Ländern, die am Beispiel Griechenlands zeigen könnten, dass sich die Stärkung extremer Kräfte und nationaler Widerstand lohnen.
Last but not least würde ein weiterer Kompromiss die Zukunft der EU und der Eurozone auch deshalb in Frage stellen, weil diese nur so lange funktionieren können, als die weitgehend souveränen Mitgliedsländer kompromissbereit sind und das Gemeinsame über Einzelinteressen stellen, das heißt ihre Rechte und ihre Verhandlungsmacht nicht exzessiv ausnutzen. Mit einem Austritt Griechenlands könnte die EU ein für alle Mal klarstellen, dass sie nicht erpressbar ist.