An Griechenlands möglichem Euro-Austritt scheiden sich die Geister.
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Brüssel/Athen. Ende Juni läuft das Hilfsprogramm der Geberländer für Griechenland aus, dann wäre mit Staatsbankrott und einem automatischen Ausstieg aus der Eurozone zur rechnen. Die Zeit drängt, doch Gläubiger und Athen können sich auf ein Reformprogramm, das die Griechen umsetzen müssen, um an neues Geld zu kommen, nicht einigen. Die Positionen sind teilweise sogar völlig konträr, eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Heute wird die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit Griechenlands Premier Alexis Tsipras am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels zusammentreffen und erneut eine Entscheidung suchen. Tsipras warnt vor einem Scheitern der Verhandlungen, das "wäre der Anfang vom Ende der Eurozone", sagt er. Renommierte Ökonomen wie etwa der Deutsche Hans-Werner Sinn sehen das ganz anders. Hier die Hauptargumente pro und contra "Grexit". Pro
Die Eurozone wäre nach einem endgültigen Ausstieg Griechenlands mit einem Schlag stabiler und überlebensfähiger. Schon der Beitritt Athens zur gemeinsamen Währung war ökonomisch nicht gerechtfertigt. Jetzt lehnt Athen notwendige Reformen ab, neue Hilfszahlungen werden benötigt werden. Griechenland ist längst ein Fass ohne Boden, das Milliarden ohne Aussicht auf Besserung verschlingt. Die Gefahr, dass ein "Grexit" - wie von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Alexis Tsipras behauptet - auf die gesamte Eurozone übergreifen würde, besteht nicht. Griechenland gilt in den anderen Euro-Staaten als Sonderfall, es ist kaum anzunehmen, dass die spanischen, italienischen und portugiesischen Sparer nach dem "Grexit" zur Bank laufen und in Panik ihr Erspartes abheben. Europas Bankensektor ist nach den letzten EU-Reformen stabiler denn je (Stichwort: Bankenunion). Die Börsen würden sicher zunächst geschockt reagieren, sich aber schnell wieder erholen, sobald klar ist, dass keine Gefahr droht. Für Griechenland - und das predigt niemand Geringerer als der deutsche ifo-Chef Hans-Werner Sinn - wäre eine Rückkehr zur Drachme eine enorme Chance. Schon nach ein bis drei Jahren würde sich Blatt wenden, ist er überzeugt, die Arbeitslosigkeit ginge zurück. Die griechische Wirtschaft könnte bei einer drastischen Abwertung der Drachme konkurrenzlos billige Produkte auf den europäischen Markt werfen und Touristen wie Investoren anlocken. Dazu kommt, dass Europa in der Anfangsphase bereit wäre, zu helfen. Wenn sich Griechenland nach der Staatspleite mit den Gläubigern einigt, dass ein Teil der Schulden erlassen wird, könnte es nach einer Übergangszeit wieder Licht am Ende des Tunnels geben. Sicher wäre enorm viel Geld unwiederbringlich verloren. Aber das ist der Preis, den die Gläubiger - in erster Linie sind das die restlichen EU-Staaten, allen voran Deutschland - für eine grobe Fehleinschätzung zahlen müssten: Griechenland hätte eben nie an Bord geholt werden dürfen. Contra
Der Grexit wäre der Anfang vom Ende eines geeinten Europas. Deshalb hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel recht, wenn sie von der Alternativlosigkeit einer Rettung Griechenlands spricht. Denn wenn Griechenland ausscheidet, wäre der Ausstieg aus der Eurozone als praktikables Instrument, wie auf Krisen reagiert werden kann, etabliert. Eine Währungsunion, aus der jeder einfach aussteigen kann, kann nicht von Bestand sein, wie die "Süddeutsche Zeitung" treffend analysiert. Bricht künftig eine Finanzkrise aus, werden Anleger, Unternehmer und Politiker spekulieren, welcher Staat als nächster aus der Gemeinschaftswährung aussteigt. Es gäbe keine Währungsunion mehr, sondern nur noch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit teilweise fixen Wechselkursen - eine Situation also, wie sie in den Jahren vor der Einführung des Euro bestanden hat. Damit wäre aber eine höchst instabile Gesamtlage geschaffen. Der Euro-Ausstieg Griechenlands und die Einführung einer eigenen Währung - ob sie nun Drachme heißt oder nicht - wäre verheerend. Nicht nur, dass alle Münzautomaten und Softwaresystem umgerüstet werden müssten. Es ist nicht damit zu rechnen, dass der Euro-Austritt mit einem Schlag erfolgt. Und solange Unsicherheit herrscht, ein "Grexit" nicht auszuschließen ist, wird es kaum Investitionen in die griechische Wirtschaft geben und die Griechen werden nicht aufhören, ihr Geld abzuziehen. Schon jetzt bluten die Banken aus - sie hängen am Tropf der EZB, die immer neues Geld nachschießt. Bezahlt wird das von den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, eigentlich zahlt jeder von uns. Und nach einem "Grexit" wären die mehr als 300 Milliarden Euro, die die Gläubiger in einen Rettung Griechenlands gesteckt haben, weg. Griechenland muss gerettet werden, wenn nötig auch vor sich selbst. Möglich, dass der Tourismus von der Einführung der Drachme profitiert. Doch vor allem würde in Griechenland das große Chaos ausbrechen. Es käme zu einer enormen Rezession, einer weiteren Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Ein Horror für Griechenland und Europa. Das wird auch von Finanzminister Gianis Varoufakis und Premier Alexis Tsipras so gesehen. Banken würden kollabieren, das Geld würde weiter abfließen. Dann könnte die Syriza-Regierung ihre Wahlversprechen erst recht nicht wahr machen: Sozialleistungen für Arme, Pensionen, mit denen man zumindest überleben kann und halbwegs gerechte Löhne wären in weiter Ferne.