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Die Forderungen engagierter Kritiker der bisherigen europäischen Wirtschaftspolitik nach einem radikalen Kurswechsel sind leiser geworden. Ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone wird immer wahrscheinlicher.
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Ob nun die vom EU-Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff verbreitete Geschichte stimmt oder nicht, wonach Griechenland wieder einen - vornehm ausgedrückt - sehr allgemein gehaltenen Entwurf eines Reformprogramms auf Tablets und in griechischer Sprache vorgelegt habe, tut nichts zur Sache. Offenbar haben zig Stunden Gespräche im Kreis der Finanzminister und bilateral mit Spitzenvertretern der Troika nur wenig bewirkt, ebenso wie das fünfstündige Beisammensein Angela Merkels und Alexis Tsipras’. Die Forderungen engagierter Kritiker der bisherigen europäischen Wirtschaftspolitik nach einem radikalen Kurswechsel sind leiser geworden. Ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone im Rahmen eines "Grexits" oder "Greccidents" wird immer wahrscheinlicher. Und es gibt gute Gründe für die Annahme, dass ein solches Ereignis entgegen vielfachen Befürchtungen nicht wie Sprengstoff, sondern eher wie Zement für die Eurozone und deren verbleibende 18 Mitgliedsländer wirken würde.
Erstens hat das weitgehend unverständliche Verhalten der griechischen Regierung schon heute dazu geführt, die Front der übrigen Euroländer zusammenzuschweißen. Viele dieser Länder haben harte Anpassungsprogramme auf sich genommen, die nun endlich positive Wirkungen zeigen, und sie wollen keine zusätzlichen Lasten für ein Land auf sich nehmen, das das gemeinsam beschlossene Regelwerk mit Füßen tritt.
Zweitens haben die Regionalwahlen in Frankreich und Spanien gezeigt, dass die extremen und europafeindlichen Parteien zwar stark sind, aber Befürchtungen über erdrutschartige Umbrüche im Wählerverhalten überzogen waren.
Das könnte drittens mittelfristig die Widerstände gegen dringend notwendige weitere Integrationsschritte innerhalb der Eurozone abbauen und damit die Resilienz der Wirtschafts- und Währungsunion gegen externe Turbulenzen stärken. Viertens würden die unvermeidlichen chaotischen Zustände, die ein "Grexit" mit sich brächte, nachhaltig abschreckend wirken und den Zulauf zu EU-kritischen Parteien in den Euroländern erheblich dämpfen.
Fünftens hielten sich die Reaktionen der Finanzmärkte in Grenzen, da ein solches Ereignis längst in die Erwartungen der Akteure einbezogen und auf den Märkten eingepreist wurde.
Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Ausscheiden Griechenlands kurzfristig ohne Erschütterungen in der Eurozone und Belastungen für öffentliche Budgets und einzelnen Finanzinstitutionen über die Bühne ginge. Diese wären aber beherrschbar und ein akzeptabler Preis für die langfristige Absicherung der europäischen Währung. Und es bedeutet auch nicht, dass beim Design und der Umsetzung der länderspezifischen Anpassungsprogramme nicht Fehler gemacht wurden, insbesondere bei der ungenügenden Abfederung sozialer Notstände. Daraus sind entsprechende Lehren für die Zukunft zu ziehen - gemeinsam und im Rahmen der europäischen Entscheidungsprozesse.