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Griechen kennen keine Gnade mit Parteien der Mitte

Von Michael Schmölzer

Politik

Merkel-Kurs abgelehnt: Analysten befürchten "große Krise" in Europa.


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Wien/Athen. Die politische Mitte Griechenlands hat am Sonntag eine schwere Niederlage erlitten - in weit höherem Ausmaß noch als vorhergesagt. Die sozialistische Pasok, bei den Wahlen 2009 mit 44 Prozent die stärkste Partei, rutschte nach vorläufigen Hochrechnungen auf Platz drei ab und kam auf rund 15 Prozent. Die stärkste Partei, die konservative Nea Dimokratia, als großen Wahlsieger zu bezeichnen, wäre überzogen: Sie kam auf etwas über 20 Prozent der Stimmen - weit weniger als die prognostizierten 25. Die Mehrheit der beiden Parteien, die das internationale verordnete Sparprogramm unterstützen, ist dennoch knapp gesichert.

Erfolg für Linksbündnis

Stark in den Vordergrund geschoben hat sich das Linksbündnis Syriza: eine Fraktion, bestehend aus Trotzkisten, Maoisten, Autonomen und Gewerkschaftern, die zwar die EU nicht ablehnt, alle mit den Gläubigern getroffenen Vereinbarungen aber annullieren möchte. Syriza-Parteichef Alexis Tsipras ist damit der große Sieger des Wahlgangs, er geißelt regelmäßig die "Barbarei der Sparprogramme". Höchst erfolgreich sind auch die Kommunisten (KKE). Die Marxisten, die den orthodoxen Pfad nie verlassen haben, kommen auf rund 8 Prozent. Die rechtsextreme und xenophobe Partei "Goldene Morgenröte" konnte von der großen Verunsicherung, die in Griechenland herrscht, profitieren und wird mit bis zu 6 Prozent im Parlament vertreten sein.

Mit dem Votum ist das traditionelle politische System Griechenlands über den Haufen geworfen worden. Bei den Wahlen vor drei Jahren erreichten die beiden Großparteien ND und Pasok gemeinsam noch knapp vier Fünftel der Stimmen. Davon kann jetzt nicht mehr die Rede sein. Vor allem die Sozialisten sind abgestraft worden und beinahe zur Kleinpartei geschrumpft.

Ein Alptraum-Szenario der internationalen Geldgeber Griechenlands ist durch das Wahlergebnis ein Stück realer geworden: Es ist nicht sicher, ob die beiden Parteien, die bisher hinter dem von EU und IMF verlangten Sparprogramm stehen, dieses angesichts der Wahlschlappe weiter voll unterstützen werden. Sollte Athen die Sparzusagen nicht mehr einhalten,, droht die Hilfe aus dem Ausland zu versiegen. Die Folge wäre dann die mit viel Mühe abgewendete Staatspleite.

Möglich jedenfalls, dass nach der ökonomischen Dauer-Krise jetzt eine dauerhaft politische folgt. Die Nea Dimokratia fuhr zuletzt einen extremen Zick-Zack-Kurs. In der Endphase des Wahlkampfes schloss Antonis Samaras eine Koalition mit der Pasok mit großer Entschiedenheit aus. Noch bevor am Sonntag das offizielle Wahlergebnis feststand, hieß es plötzlich aus der ND, dass man jetzt doch zu einer Zusammenarbeit mit den Sozialisten bereit sei. Dazu kommt, dass ND und Pasok traditionell tief verfeindet sind. Einer Koalition, selbst wenn sie zustande kommen sollte, wäre inmitten eines sich stetig radikalisierenden politischen Umfelds keine lange Überlebensdauer beschieden, so Experten. Eine Koalitionsregierung ist in Griechenland - anders als etwa in Österreich - zudem die Ausnahme.

Letztlich war aber schon vor der Wahl davon ausgegangen worden, dass Wahlsieger Samaras zu einer Koalition mit der Pasok verdammt sein würde. Dass eine solche Zwangsehe nicht zu vermeiden ist, weiß auch Sozialisten-Chef Evangelos Venizelos. Er hat noch am Wahlabend eine Regierung der nationalen Einheit vorgeschlagen. Damit will auch er eine Koalition versuchen. Venizelos gab außerdem zu, dass seine Partei eine schmerzhafte Niederlage erlitten habe. Die Krise sei aber noch da. "Griechenland muss in der Eurozone bleiben", forderte der Pasok-Chef.

Sein Kontrahent und möglicher Partner in der neuen Regierung, Samaras, spielt im griechischen Parlament seit geraumer Zeit die Rolle des Oppositionellen - auch, wenn er die Regierung unterstützt -, um nicht mit Korruption und Misswirtschaft, an der seine Partei einen erheblichen Anteil hat, in Verbindung gebracht zu werden. Der Chef der Sieger-Partei, also Samaras, hat jetzt drei Tage Zeit, eine Koalition zu schmieden. Sollte er scheitern, ist die zweitstärkste Partei an der Reihe. Wenn die ND nicht mit der Pasok einig wird, wäre das unter Umständen das Linksbündnis Syriza - das aber mit großer Wahrscheinlichkeit keine Mehrheit auf die Beine stellen kann. Denn die Linke in Griechenland ist zerstritten.

Auch Wahlsieger Samaras steht längst nicht voll hinter dem Sparprogramm - was international mit Sorge aufgenommen wird. Hier müssten "Änderungen" vorgenommen werden, so der ND-Chef zuletzt zur deutschen "Bild"-Zeitung. Die Grundsätze und die Ziele des Programms stelle er zwar nicht in Frage, so Samaras, es müsse aber Modifikationen geben, damit Griechenland seine Ziele erreichen könne.

Massive Bedenken

Der Konservative Samaras genießt bei den Griechen gewisse Sympathien, weil er als Oppositionschef lange hartnäckig gegen das Sparprogramm kämpfte, das der sozialistische Ex-Premier Giorgos Papandreou durchsetzen wollte. Samaras hielt, selbst als sich Griechenland immer stärker in die Schuldenfalle manövrierte, unbeirrbar an Steuersenkungen fest, die Krisenpolitik der EU bezeichnete er stets als falsch. Selbst Papandreous umstrittenen Vorstoß, das Volk in einem Referendum über das Rettungspaket entscheiden zu lassen, lehnte er Ende 2011 ab. Im Wahlkampf griff er das Ausländer-Thema auf und versprach, die griechischen Städte von den illegalen Einwanderern "zurückzuerobern".

Internationale Experten zeigten sich in ersten Reaktionen über das griechische Wahlergebnis besorgt. Othon Anastasakis, Direktor für Südosteuropäische Studien in Oxford, meinte, dass Griechenland nun in eine Phase extremer politischer Instabilität trete. "Wir wissen nicht, ob es eine Koalition geben wird und wie lange diese überleben könnte. Ich glaube nicht, dass sie sich lange halten wird", so der Professor. Sein Fazit: "Die Griechen schicken eine sehr starke Botschaft in die Welt: Genug mit dem Sparen." Für den Finanzanalysten Riccardo Designori ist klar: "Das war eine Anti-Merkel-Wahl." "Überall in Europa haben die Menschen genug von den harten Sparbeschlüssen, die die deutschen Politiker durchgesetzt haben. Das könnte die Wende sein", so der Analyst.

Steen Jokobsen, Chefvolkswirt der Saxo-Bank in Kopenhagen, hält die Wahlresultate in Frankreich und in Griechenland für "beunruhigend": "Die Wähler in ganz Europa fangen an, folgende Botschaft zu senden: Wir sind nicht bereit für Reformen.‘ Wir stehen vor einer großen Krise in Europa, wirtschaftlich wie sozial gesehen", so Jakobsen.

Auch in Brüssel dürfte es am Sonntag lange Gesichter gegeben haben, auch wenn es vorerst keine offiziellen Statements gab. Die Angst ist groß, dass die noch einzulösenden Sparversprechen über Bord geworfen werden.