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Veto gegen Russland-Sanktionen, Privatisierungs-Stopp, keine neuen Kredite: Tsipras schlägt Pflöcke ein.
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Athen. Der neue griechische Premier Alexis Tsipras und seine regierende Syriza verlieren keine Zeit. Erst zwei Tage im Amt will der Linkspolitiker seinen Landsleuten und dem Rest Europas zeigen, dass in Griechenland ab sofort ein anderer Wind weht. Den Männern rund um den neuen Premier - allein der Verteidigungsminister gehört dem rechten Koalitionspartner Anel an - geht es darum, möglichst schnell die Pflöcke einzuschlagen.
Die mit der EU und dem IWF vereinbarte Privatisierung des Hafens Piräus wurde gestoppt, das Gleiche gilt für den Energieversorger PPC, auch die Eisenbahnen werden nicht verkauft. Tausende gekündigte Staatsbedienstete sollen wieder einen Job bekommen, außerdem wird die Erhöhung von Löhnen und Pensionen angepeilt. Arbeitsminister Panagiotis Skourletis kündigt an, dass der Mindestlohn von 586 auf 751 Euro angehoben wird. Der für Soziales zuständige Vizeminister Dimitris Stratoulis teilte mit, dass für Pensionen unter 700 Euro wieder Weihnachtsgeld, als ein 13. Gehalt eingeführt wird.
Als erstes will die neue Regierung die ärgste Not lindern und Nahrungsmittel bereitstellen. Kindern sollen nicht mehr ohne Frühstück in die Schule gehen müssen, die öffentlichen Suppenküchen der Vergangenheit angehören.
Syriza erhöht Druck auf EU
Der Stopp der Privatisierungen trifft den deutschen Flughafenbetreiber Fraport. Dieser will für 1,2 Milliarden Euro 14 Flughäfen in Griechenland übernehmen. Das ist jetzt zumindest infrage gestellt. Der Deal sollte im Herbst unter Dach und Fach sein, Piräus zu 67 Prozent verkauft werden. Neben der chinesischen Cosco Gruppe waren für den Hafen noch vier andere Anbieter in der engeren Auswahl.
Syriza erhöht gleichzeitig den Druck auf die EU. So hat Tsipras angekündigt, beim heutigen EU-Sondertreffen ein Veto gegen weitere Russland-Sanktionen einzulegen (siehe Seite 4 unten). Griechenland habe der gemeinsamen EU-Erklärung nicht zugestimmt, erklärte Tsipras‘ Büro, mein sei umgangen worden. Die Verhängung neuer Strafmaßnahmen erfordert die Zustimmung aller 28 EU-Mitgliedstaaten. Das Signal an die EU ist klar: Griechenland kann sich künftig in wichtigen politischen Bereichen querlegen, wenn es von Brüssel in Sachen Schuldenschnitt kein Entgegenkommen gibt.
"Premier auf Abruf"
Für den renommierten griechischen Politologen Dimitris Keridis ist die große Eile, mit der Tsipras zu Werke geht, nur zu verständlich: Er gibt Tsipras "maximal sechs Monate", dann wäre er auch schon wieder am Ende. "Zum einen hat Syriza interne Schwierigkeiten und nicht die volle Mehrheit im Parlament, zum zweiten hat sie mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen einen instabilen und unberechenbaren Koalitionspartner und zum dritten ist der Druck von außen auf die Regierung in Athen enorm", so Keridis. Den neuen griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis sieht Keridis kritisch: "Er denkt, er kann mit der EU ein Spiel spielen. Er ist kein Verhandler, kein Zuhörer", sagt der Politologe.
Die Rolle des bedächtigen Zuhörers und Verhandlers wird freilich Vize-Premier Giannis Dragasakis übernehmen. Er gilt als überlegt und höflich, er wird sich nur zuerst eher im Hintergrund halten.
"Vier -Jahres-Plan"
Tsipras kündigte unterdessen einen "Vier-Jahres-Plan" an, der zu einem ausgeglichenen Budget führen soll. "Wir haben realistische Vorschläge für die Schulden und die Investitionen", so der Premier. Der neue griechische Finanzminister Giannis Varoufakis schlägt unterdessen einen neuen europäischen "New Deal" vor. Der klassische "New Deal" ist ein Konzept Roosevelts, mit dem der US-Präsident auf die schwere Wirtschaftskrise nach dem Börsencrash 1929 reagierte. Es sah massive staatliche Investitionen, eine Regulierung der Finanzmärkte und neue Sozialleistungen für die Arbeitslosen vor. Varoufakis überraschte viele in Europa mit der Aussage, dass die Geldgeber Griechenland wohl "zu viel Geld" geliehen hätten. Die Aufnahme immer neuer Kredite sei ein aussichtsloses Unterfangen, "dieses Schneeballsystem muss aufhören". Das Problem der griechischen Schulden müsse künftig neu geregelt werden. Wie, das wird wohl Gegenstand intensiver Verhandlungen mit der EU in den künftigen Monaten sein. Die Griechen würden künftig jedenfalls "nur das ausgeben, was sie verdienen". Mit einer Gesellschaft, die Luxusartikel konsumiere, sei es "vorbei", so der neue Finanzminister.
Das Syriza-Konzept ist bereits weitgehend bekannt: Die Rückzahlung der griechischen Schulden soll verbunden werden mit einem Plan für Wachstum. Das Sparprogramm soll enden, zudem soll die Rückzahlung der Kredite auf bis zu 70 Jahre verlängert werden. Zudem, so zumindest die Ankündigung, wird die Arbeit der verhassten internationalen Finanzkontrollore in Griechenland eingeschränkt. Tsipras zeigte sich vor seiner ersten Kabinettssitzung am gestrigen Mittwoch jedenfalls selbstbewusst: "Wir werden die Politik der Unterwerfung nicht fortsetzen", so der 40-Jährige, eine zerstörerische Konfrontation mit den internationalen Geldgebern wolle er vermeiden. Für viele Syriza-Funktionäre ist die Troika ein Rotes Tuch, das eher heute als morgen aus dem Land gejagt werden soll.
Kursverluste an der Börse
Der radikale Kurswechsel durch die neue Syriza-Regierung sorgte jedenfalls für Panikverkäufe an den griechischen Börsen. Der griechische Aktienindex stürzte daraufhin um mehr als 8 Prozent bis auf ein Zweieinhalb-Jahres-Tief von 716 Punkten ab. Besonders dramatisch fiel der Wertverlust bei Finanztiteln aus: Der griechische Bankenindex brach um fast 25 Prozent ein und damit so stark wie noch nie.