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"Griechen müssen Euro verlassen"

Von Alexander U. Mathé

Politik
Die Anfechtung von Argentiniens Schuldenschnitt gefährdet laut Musacchio auch Europa.
© öfse

Argentinien war für Krise besser aufgestellt als Griechenland.


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Eine Wirtschaftskrise, wie sie Griechenland durchlebt, kennt man in Argentinien zur Genüge. Wie sieht der Blick jener aus, die auf dem Gebiet der Krise sozusagen Experten sind und es trotzdem wieder geschafft haben, sich zu stabilisieren? Ein Gespräch mit Andrés Musacchio, Ökonom an der Universität von Buenos Aires.

"Wiener Zeitung":Was kann Griechenland von Argentinien lernen?

Andrés Musacchio: Zuerst einmal, dass eine profunde Neustrukturierung der Schulden Luft verschafft. Dann, dass ein Ausstieg aus der Währungsunion nicht so dramatisch ist, wie er zuerst aussieht.

Argentinien hat lange die 1:1-Parität des Pesos zum Dollar gesetzlich aufrechterhalten. Da gibt es aber dann doch einen Unterschied?

Für Argentinien war es natürlich viel einfacher aus einem System des festen Wechselkurses auszusteigen, als gleich die Währung zu wechseln. Aber die Probleme Griechenlands rühren nicht nur von den Schulden und der Währung her. Die Verschuldung, die Finanzblase, die Immobilienkrise: Sie hängen mit einer komplizierten internationalen Positionierung zusammen. Was Griechenland von Argentinien lernen kann, ist, sich international neu aufzustellen – aber von innen heraus. Das war es dann aber auch schon mit den Lektionen.
<br style="font-style: italic;" /> Warum?

Es sind zwei sehr unterschiedliche Länder. Argentinien hat eine Industrie, die zwar 30 Jahre lang sehr schlecht behandelt wurde, aber immerhin weiterexistiert hat. Es hat einen landwirtschaftlichen Sektor, der sofort auf Nachfragen reagieren kann. Das ist eine große Hilfe auf dem Weg nach oben. Argentinien ist schnell dazu übergegangen, Ausfuhrsteuern einzuführen, was geholfen hat, die Einnahmen zu erhöhen. Argentinien konnte die Importe mit Beschränkungen limitieren. Das alles kann Griechenland nicht machen. Griechenland ist durch seine Bande mit der EU viel eingeschränkter als Argentinien. Daher müsste zuerst einmal der Integrationsprozess der EU völlig überarbeitet werden.

An was haben Sie da gedacht?

Die Rolle Deutschlands muss sich fundamental ändern. Deutschland baut sein langsames Wachstum durch eine immense Exportexpansion aus, gleichzeitig investiert es sehr wenig und versucht durch Lohndumping sein Kapital im Land zu halten. Auf diese Weise entzieht es dem Rest der EU Liquidität. Deutschland schafft keine Kaufkraft, verlangt aber gleichzeitig, dass ihm abgekauft wird. Es spielt eine Rolle, die sehr ähnlich jener ist, die die USA in der Krise in den 30er Jahren gespielt haben. Die griechische Krise ist ein Spiegel der Krise des Integrationsmodells, das vor allem Deutschland in den 80er Jahren geformt hat. Das Schicksal Griechenlands wird noch lange davon abhängen, was in Kernländern wie Deutschland, Frankreich oder auch Österreich geschieht.

Was würden Sie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel raten zu tun, um Griechenland zu helfen?

Die Umschuldung beschleunigen. Zugeben, dass die Zone, die sich eine gemeinsame Währung leisten kann, viel kleiner ist, als die, die es gibt. Die deutsche Binnennachfrage ankurbeln. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, damit auch die anderen Länder ihre Exportkapazitäten entfalten können. Das würde schließlich auch bedeuten, dass Deutschland nicht weiter seinen Handelsbilanzüberschuss in dieser Form beibehalten könnte, weil die, die ihnen ihre Waren abkaufen früher oder später in einer Wirtschaftskrise und Schulden enden.

Keine Industrie, keine große Landwirtschaft, keine Nachfrage: Welchen Weg kann Griechenland einschlagen?

Ich bin mir sicher, dass Griechenland über kurz oder lang aus dem Euro aussteigen wird müssen. Es muss eine tiefgreifende Umschuldung vornehmen und muss sich wieder in ein Europa einfügen, das beginnt, als Ganzes zu denken. Der Tourismus kann ein dynamisierendes Element sein, aber ich glaube nicht, dass der ausreichen wird. Das Land startet dafür von einem viel zu tiefen Punkt.

Argentinien hat seinerzeit einen Schuldenschnitt vorgenommen. Ein US-Gericht hat nun entschieden, dass die Gläubiger, die nicht darauf eingestiegen sind, voll ausbezahlt werden müssen. War das damals eine schlechte Idee von Argentinien, immerhin hat auch die Lust, in Argentinien zu investieren, darunter gelitten?

Die Neustrukturierung Argentiniens war erfolgreich. 97 Prozent der Gläubiger haben den Schuldenschnitt akzeptiert. Dieser war zwar erzwungen, doch der Ausfall hat sich klar aus der Unfähigkeit Argentiniens ergeben, weiter zu zahlen. Die drei Prozent, die den Schuldenschnitt nicht akzeptiert haben, gefährden in Wahrheit auch die Umschuldung in Europa. Genau die drei Prozent, die nicht kooperative waren, versuchen jetzt, die Bedingungen zu diktieren. Wenn die das schaffen, wird es für Europa wirklich kompliziert, denn wer wird dann noch auf eine Umschuldung eingehen? Da wartet man doch lieber ein wenig und sieht zu, sich den vollen Betrag zu sichern.

Aber das Vertrauen?

Seit dem Schuldenschnitt vor zehn Jahren zahlt Argentinien verlässlich und pünktlich die neu ausgehandelte Schuld. Dieses Jahr ist sehr hart gewesen. Argentinien muss 25 Milliarden Dollar an Raten tilgen, was viel mehr ist, als der Handelsbilanzüberschuss. Der Staat absorbiert daher alle Dollar, die es im Land gibt, um nicht weitere Kredite zu extrem hohen Zinsen aufnehmen zu müssen. Das geht natürlich an der Bevölkerung nicht spurlos vorüber. Unter diesen Umständen ist es fast schon kurios, dass Argentinien und vor allem die Regierung einen so schlechten Ruf hat. Immerhin ist es die erste Regierung seit Jahrzehnten, die echte  Anstrengungen unternimmt, die Schuld zurückzuzahlen.


Klingt alles recht gut. Aber erfahrungsgemäß setzt Argentinien mit absoluter Regelmäßigkeit alle zehn Jahr seine Errungenschaften in den Sand. Warum ist das so?

Ich glaube nicht, dass sich Argentinien technisch gesehen auf dem Weg in eine schlimme Krise befindet. Im Kontext der globalen Krise ist die Situation nicht mehr so wie vor vier, fünf Jahren. Das Wachstum wird heuer drei Prozent erreichen, im Vergleich zu zehn vor ein paar Jahren. Was sich gebessert hat ist die Schaffung nachhaltiger Strukturen. Zum ersten Mal gibt es etwa ernstzunehmende Investitionen in Wissenschaft und Technologie. Dafür war der Umgang mit der Konjunktur  früher besser. Nehmen wir die 25 Milliarden, die gezahlt werden müssen, während sich der Handelsbilanzüberschuss irgendwo bei 15 Milliarden bewegt. Das Land braucht also Dollar. Aber anstatt offen den Devisenwechsel zu kontrollieren, werden eigenartige Maßnahmen getroffen. Zum Beispiel Steuern auf Zahlungen mit Kreditkarten im Ausland eingehoben. Man muss auch um Erlaubnis fragen, wenn man Devisen für eine Auslandsreise kaufen möchte. Vor allem den Mittelstand ärgert das und vermittelt den Eindruck, als wäre Argentinien nur einen Schritt davon entfernt, in den Abgrund zu schlittern. Das vor allem deshalb, weil genau das die Reaktion der Regierung war, bevor das Land das letzte Mal abgesackt ist. Aber anstatt zu sagen: "Burschen, wir müssen 25 Milliarden zurückzahlen, ab nächstem Jahr sind es nur mehr 15, da wird alles leichter", machen sie diese komischen Sachen, die dazu führen, dass die Menschen beginnen ein Krisen-Verhalten an den Tag zu legen.

Da wäre noch die Diskrepanz zwischen realer und offizieller Inflation…

Mit der Inflation ist es dieselbe Geschichte. Die Indices sind verändert worden, um die Inflation niedriger erscheinen zu lassen, als sie ist. Das führt dazu, dass die Bevölkerung sie höher einschätzt, als sie tatsächlich ist. Das wiederum bekommt eine Eigendynamik und heizt die Inflation weiter an. Wenn wir nicht anerkennen, dass die Inflation 25 statt der veranschlagten 15 Prozent beträgt, können wir nicht die Gehälter anpassen, dadurch verringert sich die Kaufkraft. Das sind kindische Fehler, die es wiederum kompliziert machen, in dem Argentinien gute Strukturen zu schaffen. Das ist manchmal absolut unverständlich.