Athen benötigt nicht nur finanziellen Neustart.
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"Wiener Zeitung": Woran liegt Ihrer Meinung nach der auf europäischer Ebene stattfindende Sinneswandel gegenüber Griechenland?Dimitrios Droutsas: Der Grund für den Sinneswandel in den EU-Staaten - da muss man, so glaube ich, realistisch sein - liegt daran, dass sich schlussendlich jene Meinung durchgesetzt hat, die überzeugt ist, dass ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone horrende Konsequenzen für den ganzen Euro-Raum nach sich zieht. Diese Einsicht hat dazu geführt, dass die EU-Hauptstädte, insbesondere Berlin, nicht länger in voller Kakophonie über einen Austritt öffentlich spekulieren, sondern Griechenland ausdrücklich unterstützen. Leider haben wir mittlerweile sehr viel Zeit verloren. Wenn die EU-Partner diese entschlossene Haltung von Anfang an gezeigt hätten, wäre Griechenland, aber auch der EU, Vieles erspart geblieben.
Womöglich sind die Kosten für einen Euro-Austritt in den europäischen Banken noch einmal nachgerechnet worden?
Es scheint, als hätte die gründliche Analyse zu dem Ergebnis geführt, dass die Konsequenzen eines Euro-Austrittes für alle und insbesondere für Deutschland besonders schwerwiegend wären.
Die deutschen Steuerzahler waren bereit - ob jetzt willig oder nicht -, Milliarden auf den Tisch zu legen. Von Dankbarkeit war aber wenig zu spüren.
Missverstehen Sie mich nicht, ich werde Beschimpfungen von EU-Partnern, in diesem Falle Deutschlands, nicht rechtfertigen. Insbesondere die Bilder anlässlich des Athenbesuchs der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sind völlig inakzeptabel. Tatsache ist aber auch, dass ein Großteil der griechischen Bevölkerung seit gut zweieinhalb Jahren aufgrund der wirklich sehr strengen Sparmaßnahmen leidet. Da ist es wohl verständlich, wenn die Bürger wütend sind über die Missstände im eigenen Lande und die Gründe, die zur Krise und den Missstand geführt haben.
Warum entlädt sich die Wut nicht über den griechischen Geldeliten?
Ich würde mir wünschen, dass die Bürger sich noch mehr gegen diese Umstände wenden. Und ich wiederhole, auch wenn ich es ungern laut ausspreche: Das politische System in Griechenland, das die vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten das Land geprägt hat, ist charakterisiert von einer engen Verflechtung zwischen Politik, Wirtschaft und Medien. Dieses System wehrt sich nach wie vor mit Händen und Füßen gegen die notwendigen Reformen, auch was die Bekämpfung der Steuerhinterziehung betrifft. Deshalb ist es für den einzelnen Bürger nicht so einfach, dagegen aufzustehen.
Gibt es innerhalb Ihrer sozialdemokratischen Partei Pasok den Willen und die Energie zur Reform und einer völlig neuen politischen Kultur?
Ich habe letztens davon gesprochen, dass das bestehende politische System in Griechenland gesprengt werden müsse. Glauben Sie mir, das hat mir sehr viel Kritik eingebracht. Unser politisches System benötigt eine grundsätzliche Erneuerung. Ich glaube auch nicht, dass es die politischen Parteien sein werden, die die Zukunft Griechenlands wirklich gestalten können. Ganz einfach, weil diese Parteien, so wie die Bürger sie kennen, jede Glaubwürdigkeit verloren haben - und nicht nur die Parteien, sondern auch die Politiker. Das muss uns klar sein und daran müssen wir arbeiten. Ich schließe auch nicht aus, dass die jetzige Regierung und die Kräfte, die diese stützen, zum Instrument des Referendums greifen werden müssen, um zukünftige Maßnahmen umsetzen zu können. Das ist vielleicht eine etwas provokante These, aber ich schließe das nicht aus.
Fühlen sich die Griechen als Opfer der Geschichte?
Selbstverständlich gibt es in weiten Kreisen der Bevölkerung das Gefühl, dass Griechenland quasi als eine Art Versuchskaninchen im Labor der Europäischen Union und der Eurozone fungiert. Und ganz persönlich befürchte ich, dass durch die Art, wie Griechenland bei der Bewältigung dieser Krise geholfen wird, das bestehende politische System überlebt und so die Chance auf ein neues Griechenland verpasst wird. Es wäre schade, wenn die Opfer, die jetzt gebracht werden, nicht auch zu einem neuen, einem gesunden politischen System führen.
Wären also ohne Hilfe die Chancen größer für ein politisch gesundes Griechenland?
Nein. Die Hilfe ist notwendig. Aber sie muss auf die richtige Art und Weise geschehen. Sie soll dahin zielen, dass die notwendigen tief greifenden Reformen im Land auch durchgeführt werden.
Die sich abzeichnende Abkehr von der Austeritätspolitik - ist dies wirklich ein "Klimawandel"?
Ich kann, zum Wohle Griechenlands und der gesamten EU, nur hoffen, dass dieser Gesinnungswandel ein echter ist und nicht nur Kosmetik. Ich appelliere deshalb an alle Beteiligten, endlich eine überzeugende Gesamtlösung zu finden - also nicht nur für Griechenland allein, sondern für sämtliche europäische Krisenregionen.