Bis 2016 soll Athen 19 Milliarden Euro einsparen - Parlamentsmehrheit wackelt.
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Athen. Er ist 216 Seiten lang und besteht aus einem einzigen Artikel. Die 300 Abgeordneten des griechischen Parlaments werden bis zur Abstimmung am heutigen Abend nur 48 Stunden Zeit gehabt haben, den im Eilverfahren von der Athener Regierung eingebrachten Multigesetzentwurf zur "Mittelfristigen Strategie für die Staatsfinanzen 2013 bis 2016" zu lesen. Der Titel des Gesetzentwurfs mag noch so trocken klingen. Beobachter sind sich einig: Sein Inhalt birgt für das seit dem Frühjahr 2010 krisengeplagte Hellas sozialen Sprengstoff.
Seit Mitte Juli hatte die Drei-Parteien-Regierung des pleitebedrohten Griechenland unter dem konservativen Premierminister Antonis Samaras mit der Geldgeber-Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds die Einzelposten des Sparpakets ausgehandelt - nun soll es durch das Parlament gepeitscht werden. In Höhe und Härte stellt es alle bisher beschlossenen Sparprogramme in Griechenland in den Schatten. Das angestrebte Spar- und Maßnahmenvolumen beläuft sich bis 2016 auf 18,87 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das viel größere Italien will ab 2013 insgesamt 11,6 Milliarden Euro sparen - Griechenland alleine im nächsten Jahr 9,4 Milliarden Euro. Eine Herkulesaufgabe.
Ohne Hilfe naht die Pleite
Weitere drastische Einschnitte sind bei den Bezügen von Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst vorgesehen. Die Gehälter von Uniformierten, Richtern und Staatsanwälten sinken erneut um bis zu 35 Prozent. Ab 2013 wird das ohnehin bereits gekürzte Weihnachts-, Oster- und Urlaubsgeld komplett gestrichen. Pensionen und Renten ab 1000 Euro pro Monat werden um 5 bis 15 Prozent gekürzt. Das Rentenalter wird von 65 auf 67 Jahre angehoben. Weitere Einschnitte erfolgen bei Sozialzulagen und beim Kindergeld. Und auch neue Steuern in Höhe von 3,89 Milliarden Euro werden bis 2016 fällig.
Das Ziel: Hellas soll einen sogenannten primären Haushaltsüberschuss (nach Abzug des Schuldendienstes) erzielen. Die Schuldenquote wird jedoch wegen der sich fortdauernden Rezession ohne neuerlichen Schuldenschnitt weiter ansteigen. Ohne die Verabschiedung des Sparpakets sowie des Staatshaushalts 2013 (am Sonntag) will die Geldgeber-Troika nicht die längst überfälligen Kredittranchen aus dem im Februar beschlossenen, zweiten Griechenland-Sanierungsprogramm freigeben. Es geht um viel Geld: Neben der bereits im Sommer fälligen Überweisung von 31,5 Milliarden Euro an Athen sind programmgemäß bis Jahresende zwei weitere Kredittranchen von insgesamt 12 Milliarden Euro fällig.
Aus Protest gegen das neue Sparpaket hat am Dienstag ein 48-stündiger Generalstreik begonnen. Dazu haben Griechenlands Dachgewerkschaftsverband des Privatsektors (GSEE) und die Beamtengewerkschaft (Adedy) aufgerufen. Ob Ministerien, Finanzämter, Kommunalbehörden, Krankenhäuser, Schulen, Fähren, U-Bahnen, Busse oder Straßenbahnen - in Griechenland lautete das Motto vor der Abstimmung im Parlament am Mittwochabend: Nichts geht mehr. Banken und Postfilialen bleiben ebenso geschlossen wie Museen und antike Stätten.
Sogar Geschäftsinhaber, selbständige Ärzte und Zahnärzte, Apotheker und Rechtsanwälte schließen sich den Protestaktionen an. Auch Taxifahrer haben die Handbremse angezogen. In Athen und anderen Städten fanden bereits am Dienstag Großdemonstrationen statt. Die Proteste sollen am Mittwochnachmittag vor dem Parlamentsgebäude am Athener Verfassungsplatz ihren Höhepunkt erreichen. Dann entscheidet das Parlament über das neue Sparprogramm.
Regierungskoalition uneins
Das könnte zu einem Thriller werden. Zwar verfügt die Dreier-Koalition aus konservativer Nea Dimokratia, Pasok-Sozialisten und der Demokratischen Linken (Dimar) über eine satte Mehrheit von 176 Abgeordneten. Nicht nur einige der 33 Pasok-Abgeordneten haben angekündigt, gegen das Sparprogramm stimmen zu wollen.
Das Dimar-Zentralkomitee folgte mit großer Mehrheit der Empfehlung von Parteiführer Fotis Kouvelis, sich bei der Abstimmung wegen der vorgesehenen Arbeitsmarktreformen der Stimme zu enthalten. Dimar hat 16 Mandate inne. Dennoch steht für Kouvelis die Beteiligung an der Regierung Samaras nicht zur Disposition. "Wir wollen keine politische Instabilität", stellte er klar.
Die vier Athener Oppositionsparteien sind geschlossen gegen das Sparpaket. Alexis Tsipras, Chef des Bündnisses der Radikalen Linken (Syriza), fordert vehement Neuwahlen. Für den Syriza-Abgeordneten Dimitris Papadimoulis fungiert die Athener Drei-Parteien-Koalition nur als Befehlsempfänger des deutschen Spardiktats unter der Ägide der Kanzlerin Angela Merkel: "Wir sagen Nein zu den Merkelisten und Ja zu Wachstum und Gerechtigkeit."
Jannis Manolis von den oppositionellen Unabhängigen Griechen (Anel) verurteilte den rigorosen Sparkurs noch drastischer: "Das ist ein Mord an dem griechischen Volk."