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Italien und Spanien zahlen Preis für Spekulationen über den Euro-Ausstieg.
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Brüssel/Athen. Die Debatte über den Euro-Ausstieg Griechenlands droht zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden: Je öfter darüber spekuliert wird, umso mehr verfestigt sich die Überzeugung , dass es machbar wäre. Was wohl nur als Polit-Bluff gedacht war, um die Verhandlungsposition zu verbessern, wird zum hochbrisanten Poker - gerade angesichts möglicher Neuwahlen: Für die Griechen, die bisher mehrheitlich für den Verbleib im Euro waren, wird der Austritt zur Denkvariante. Schlimmer noch: Investoren, die überzeugt sind, dass es so kommen wird, werden das Szenario noch beschleunigen.
Jetzt äußern sich sogar Notenbanker, die verschwiegenste Zunft der Finanzindustrie, offen zum Thema. "Ich denke, eine Scheidung auf freundschaftlicher Basis, sollte sie je nötig werden, wäre möglich, wenngleich ich sie bedauern würde", sagte der belgische Zentralbankchef Luc Coene zur "Financial Times". Sein irischer Kollege Patrick Honohan wurde noch deutlicher: "Technisch gesehen kann ein Ausstieg Griechenlands abgewickelt werden. Er wäre nicht notwendigerweise tödlich, aber natürlich auch nicht besonders attraktiv", sagte er bei einer Konferenz in Estland. Es sei nicht vorgesehen, aber "es können eben Dinge passieren, die nicht in den Verträgen stehen".
Was passieren würde, lässt sich bestenfalls erahnen. Einzig die Gewinner stehen schon fest: "Jene Griechen, die ihr Vermögen rechtzeitig außer Landes gebracht hatten, warten nur auf die Rückkehr zur Drachme. Dann könnten sie mit ihren Euros das Land und die Firmen zum Diskontpreis aufkaufen", prophezeit Jannis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik EPC. Profiteure wären somit just superreiche griechische Steuerflüchtlinge - während alle anderen ihre Sparguthaben entwertet sehen würden. Die neue Drachme wurde gegenüber dem Euro Schätzungen zufolge 40 bis 50 Prozent an Wert verlieren.
Drachme per Handstreich
Der Optimismus mancher Notenbanker über einen geordneten Ausstieg überrascht. Fix ist: Eine Rückkehr zur Drachme müsste handstreichartig erfolgen. Die Banken müssten eine Zeit lang geschlossen bleiben. Das Militär müsste die griechischen Grenzen dichtmachen, damit keine Euro-Banknoten außer Landes gebracht werden können. Für alle grenzüberschreitenden Zahlungsverpflichtungen müssten gesonderte Verträge abgeschlossen werden.
So etwas vor den Augen der Weltöffentlichkeit geheim zu halten ist unmöglich. Sobald erste Gerüchte über den Währungstausch auftauchen, würden die Griechen die Banken stürmen, um ihre Euros abzuheben. Das Finanzsystem würde kollabieren. In Portugal, Spanien und Italien drohen ähnliche Reaktionen.
Ein Griechenland, das aus dem Euro austritt, hätte keinen Ansporn, Altschulden und Zinsen zu bezahlen und würde seine Pleite erklären. Auch ohne diese Zahlungsverpflichtungen bliebe im Staatssäckel eine riesige Finanzlücke zurück. Pensionen und Beamtengehälter könnten nicht gezahlt werden. Die Bevölkerung müsste sich auf noch striktere Sparmaßnahmen, als sie die EU und der Internationale Währungsfonds unter dem Hilfsprogramm verlangen, gefasst machen.
Gewaltig wären aber auch die Folgekosten für Europas Staaten und Unternehmen. Analysten taxieren diese EU-weit auf 280 Milliarden (Citibank), 400 Milliarden Euro (JP Morgan) oder sogar eine Billion Euro (Weltbankenverband IIF). Für Österreich würden kurzfristig zumindest Haftungen von 3,1 Milliarden Euro schlagend.
Die EZB müsste griechische Anleihen als Ausfall werten: Von Staatstiteln um 214 Milliarden Euro sollen 50 Milliarden auf Griechenland entfallen. Ungleich größer wären mögliche Ausfälle für das Zahlungssystem der Zentralbanken ("Target2"): Hier soll die griechische Notenbank mit 104 Milliarden Euro bei den anderen in der Kreide stehen. Die Forderung bliebe zwar aufrecht - offen ist, ob und wann sie einbringlich wäre. Dasselbe gilt für Kredite und Rechnungen, die europäische Banken und Firmen in Hellas offen haben. Die Unternehmen könnten die Euro-Schulden nach dem Währungstausch in neuen Drachmen kaum begleichen. Eine Serie von Kreditausfällen und Pleiten würde drohen.
Um neue Hilfszahlungen würde Europa kaum herumkommen. Ob selbst verschuldet oder nicht: Es ist politisch schwer vorstellbar, dass das reiche Europa ein EU- (oder Ex-EU-)Land in Chaos und Elend versinken lässt.
Längere Kredit-Laufzeiten?
Alle sollten also tunlichst trachten, den Exit zu vermeiden. "Ich vermeide das Wort Solidarität, es geht auf beiden Seiten um pures Eigeninteresse", sagt Emmanouilidis. Wie aber könnte die EU Athen entgegenkommen?
Zuletzt hatten Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Fristerstreckung für Griechenlands Sanierung in den Raum gestellt. Die Laufzeit der Hilfskredite könnte auf 25 oder 30 Jahre ausgeweitet werden. Ähnliches verlautet aus dem österreichischen Bundeskanzleramt. Das Problem: Schon mit dem zweiten Hilfspaket wurden die Konditionen von den Gläubigern massiv erleichtert. Die Zinsen sind gesunken, die Laufzeiten wurden verlängert. Besonders viel wäre den Griechen damit also nicht mehr geholfen.
Die Reaktion der Märkte gab am Montag einen Vorgeschmack auf die Folgen eines "Grexit" (Greek Exit): Spanien und Italien zahlen den Preis. Der Risikoaufschlag für spanische Staatsanleihen gegenüber deutschen Papieren stieg auf einen Rekordwert seit dem Euro-Start. Für zehnjährige Titel beträgt die Rendite (Zinsen) fast 6,2 Prozent. Auch Italien muss höhere Zinsen zahlen.