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"Griechen wieder das Atmen erlauben"

Von Aaron Salzer

Politik
Pierre Laurent (2. v. rechts) inmitten Europas linker Politiker. Von links: Spaniens Pablo Iglesias,Deutschlands Ska Keller, Griechenlands Alexis Tsipras, Laurent und Deutschlands Gregor Gysi.reuters/Paul Hanna

Pierre Laurent, der Vorsitzende der Europäischen Linken, spricht über Lösungsvorschläge zur Griechenlandkrise, über Jeremy Corbyn in Großbritannien sowie über die Flüchtlings- und Nahostpolitik.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die Europäische Union in der Krise: Es fehle an Europa und an Union, sagte der EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Gleichzeitig scheint es politisch zu plattentektonischen Verschiebungen innerhalb der EU zu kommen. Nicht nur rechts von der Mitte, sondern auch links davon. In Großbritannien sorgt der neue Labourvorsitzende Jeremy Corbyn und dessen angekündigter Richtungswechsel für Diskussionsstoff, in Griechenland gewann erneut die Linkspartei Syriza die Wahl; sogar mit einem größeren Abstand zur konservativen Nea Dimokratia als erwartet.

Die Vertreter der Europäischen Linken trafen sich unlängst zu einer Tagung in Wien. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihrem Vorsitzenden Pierre Laurent.

"Wiener Zeitung":Syriza ist eine Mitgliedspartei der Europäischen Linken. Was sagen Sie zu ihrem Wahlsieg?Pierre Laurent: Der Mut der griechischen Regierung hat gewonnen: Sie haben sich gegen die Sparpolitik der Troika gestellt, um die Griechen vor ihren Folgen zu beschützen - trotz des mit der Syriza-Regierung beschlossenen Hilfsabkommens vom Juli, von dem die griechische Bevölkerung eigentlich nicht wollte, das es unterzeichnet wird. Der erneute Wahlsieg von Syriza ist eine zweite Chance für alle Menschen in Europa, eine Regierung zu unterstützen, die darum kämpft, die Sparpolitik zu beenden.

Syriza setzt jedoch die vereinbarten Sparvorgaben in Griechenland um.

Spitzenpolitiker der Eurozone haben die griechische Regierung gezwungen, die Sparvorgaben zu unterzeichnen. Sie haben die griechische Regierung erpresst, indem sie mit den Gefahren eines Austritts Griechenlands aus dem Euro - einem "Grexit" - gedroht haben. Inzwischen ist ein Kampf gegen die Sparvorhaben schwieriger geworden.

Falsch wäre, zu sagen, dass sich die Position der Griechen und ihrer Regierung geändert hat. Die Griechen haben Syriza erneut gewählt, da sie in ihnen die am besten geeignetste Partei sehen, die sie vor den Folgen der Sparpolitik beschützen kann.

Welche Lösungsvorschläge schlagen Sie und die Europäische Linke vor, um die Krise in Griechenland zu bewältigen?

Unser Lösungsvorschlag sieht zwei grundsätzliche Ansätze vor: Zuerst sind eine Umstrukturierung der Schulden und ein Schuldenschnitt notwendig, um der griechischen Wirtschaft wieder das Atmen zu erlauben.

Als Zweites muss der Abbau im Sozialsystem gestoppt werden und in die gesellschaftliche Entwicklung Griechenlands investiert werden. Dies sollte mit griechischem Geld getan werden, das nicht zuerst zur Schuldentilgung verwendet wird. Darüber hinaus sind Investitionen in die Wirtschaft mit einem europäischen Investmentplan notwendig.

Sie meinen die Investitionsoffensive der EU-Kommission, den sogenannten "Juncker-Plan"? (Der Fonds, mit einer Gesamtsumme von 21 Milliarden Euro, soll Investitionen von insgesamt 315 Milliarden Euro bis 2017 generieren. Davon soll auch Griechenland profitieren, Anm.)

Natürlich kann der "Juncker-Plan" ein Stück weit helfen. Aber die Summe ist zu gering, der Plan ist zu schwach.

Bei Ihrem Lösungsvorschlag müssen die Gläubiger aber einen "Haircut", einen Schuldenschnitt, in Kauf nehmen . . .

Das Problem ist nicht, Geld von Deutschen, Österreichern oder Franzosen zu nehmen. Es ist mindestens auch ein europäisches Problem. Alle Länder stehen unter dem Druck der Finanzmärkte und Kreditgeber. Darum schlagen wir eine europäische Konferenz vor, um gemeinsame Lösungen für einen Schuldenschnitt und einem neuen Zeitrahmen für die Rückerstattung der restlichen Schulden zu finden. Viele Länder brauchen Zeit, um wieder zu Wachstum zu kommen und ihre Wirtschaft zu entwickeln.

Als Erstes sollte die Europäische Zentralbank (EZB) Geld mit sehr niedrigen Zinsen an Länder verleihen, sodass diese ihre Wirtschaft entwickeln können.

Als Zweites sollten die große Finanzindustrie und Milliardäre die Entwicklung in betroffenen europäischen Ländern finanzieren. Dies sollte über einen europäischen Fonds geschehen, der in die soziale und ökologische Entwicklung investiert. Finanziert würde dieser unter anderem mit Steuern auf große Finanzvermögen sowie mit Geld, das von der EZB zur Verfügung gestellt würde.

Als dritten Punkt sollte die EU den Griechen dabei helfen, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen und dadurch Milliarden, die derzeit außerhalb Griechenlands in Steueroasen lagern, zurück nach Griechenland bringen.

Es gibt ein sehr großes Problem in Europa: Die Finanzhilfen der Troika helfen in erster Linie Kreditgebern. Das geliehene Geld wird direkt zur Schuldentilgung privater Investoren verwendet. Das Geld kommt nicht wirklich im Land an, es gibt keine Entwicklung vor Ort und somit auch keinen Abbau der Schulden aufgrund fehlender wirtschaftlicher Entwicklung.

Einige Politiker fordern als Lösung ein gemeinsames Euro-Finanzministerium.

Ich sehe darin keine Lösung. Die Frage ist vielmehr, wie wir die Kriterien der Wirtschaftspolitik in der EU verändern. Wenn wir nur die Institutionen verändern, wird es zu keinem Wandel kommen. Außerdem besteht die Gefahr hin zu einem neuen autoritären Schritt. Ich bevorzuge souveräne Staaten sowie Entwicklungsprogramme für betroffene Länder. Außerdem: Aus einem gewissen Blickwinkel haben wir bereits einen europäischen Finanzminister; und das ist Wolfgang Schäuble (der deutsche Finanzminister, Anm.).

Ein gemeinsames Euro-Finanzministerium könnte eine gemeinsame Wirtschaftspolitik ermöglichen. Auch könnte es parlamentarisch kontrolliert werden . . .

Ich möchte daran erinnern, dass die aktuelle Situation das Resultat eines gemeinsamen Vorgehens der vergangenen griechischen Regierungen war. Sie haben mit ihren Partnern in der Eurozone sowie der Troika zusammengearbeitet, um die Vorgaben in Griechenland umzusetzen.

Ich glaube, dass Europa mit der griechischen Regierung unter Syriza-Chef Alexis Tsipras eine vertrauenswürdigere Regierung hat als davor. Es sollte nicht darum gehen, wie man eine Diskussion mit Griechenland vermeidet. Ebenso meine ich, dass es bereits eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik gibt. Diese ist sichtbar aufgrund der unterzeichneten Verträge und der bereits in den verschiedenen Ländern implementierten, gleichen Wirtschaftspolitik. Ich denke, wir sollten diese Strukturen nicht stärken. Wir sollten die Richtung und die Architektur verändern, die zu dieser Politik führten.

In Großbritannien wurde Jeremy Corbyn zum neuen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Labour-Partei gewählt. Die einen sehen darin einen Wandel der Partei hin zu einer sozialeren Politik. Andere kritisieren heftig diesen Richtungswechsel: so der frühere Labour-Vorsitzende und Premierminister Tony Blair, der die Partei in den 90er Jahren für eine marktliberalere Wirtschaftspolitik im Rahmen von "New Labour" geöffnet hatte.

Tony Blairs Reformen führten dazu, dass die sozialdemokratischen Parteien einer neoliberalen Politik folgten, mit den katastrophalen Ergebnissen, die wir heute in Europa erleben. Unser Problem in Europa ist, dass linke Kräfte von ihren Verantwortungen zurückgetreten sind. Nun geht es darum, eine europäische Linke aufzubauen, die diese wahrnimmt und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nicht alles erlaubt, was sie tun will. Ich denke, der neue Labour-Vorsitzende Corbyn ist ein Signal eines Bewusstseinswandels der Menschen.

Merkel sagte bezüglich der Aufnahme von flüchtenden Menschen: "Wir schaffen das." Befürworter einer Willkommenskultur loben Merkel dafür und verweisen auf Chancen und auf den demografischen Wandel. Kritiker meinen, dass ihre Haltung dazu führte, dass sich nun noch mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen.

Die Zunahme von Flüchtlingen wird nicht enden, solange kein Frieden in der Region herrscht. Restriktive Maßnahmen schaffen mehr Probleme: Geschlossene Grenzen geben die Probleme an andere weiter. Ich denke, die Lösung ist eine tatsächliche Willkommenskultur. Es ist notwendig die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in der EU aufzuteilen. Die EU muss sich außerdem mit den Gründen der Flüchtlingskrise beschäftigen: Das bedeutet, dass wir den Frieden im Nahen Osten fördern müssen und die Kriegslogik, die gerade in manchen Ländern heranwächst, nicht akzeptieren dürfen.

Wie stehen Sie zu Überlegungen einer verstärkten militärischen Intervention in Syrien?

Gerade aufgrund militärischer Lösungen ist die Lage eskaliert. Meines Erachtens sind Friedensgespräche die Lösung und wir sollten innerhalb der EU und im Namen der EU dafür arbeiten. Ein Friedensprozess sollte auch Russland mit einbeziehen. Russland ist ein Akteur im Konflikt, vor allem in Syrien. Wir können Gesprächen mit Russland nicht einfach aus dem Weg gehen. Wir befürworten eine Konferenz, die alle Beteiligten des Konfliktes zusammenführt.

Ebenso bin ich der Meinung, dass nur in einem einzigen Fall militärische Kräfte hilfreich sein können: Und zwar unter einem UNO-Mandat, das demokratische Entwicklungen und einen Friedensprozess schützt. Interventionen mittels Nato oder einzelner Staaten, wie beispielsweise Frankreich, verschlechtern die Lage.

Zur Person

Pierre Laurent (58)

ist seit 2010 Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken sowie der Parti communiste français (PCF). Seit 2000 ist er Mitglied der Nationalversammlung in Frankreich.