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Griechenland braucht einen Schuldenschnitt

Von Nikolai Haring

Gastkommentare
Nikolai Haring ist Fachbereichsleiter Rechnungswesen und Controlling sowie Koordinator Praxiskontakte am Institut für Unternehmensführung der FH Wien der Wiener Wirtschaftskammer.

Der Krisenstaat wird noch Jahrzehnte weit davon entfernt sein, finanziell und wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen zu können.


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Machen wir uns nichts vor: Griechenland wird seine Schulden nicht zurückzahlen können. Von 2008 bis 2014 ist die öffentliche Bruttoverschuldung von 113 auf 175 Prozent (322 Milliarden Euro) explodiert, allein die heurigen Zins- und Tilgungszahlungen betragen 22 Milliarden Euro. Da hilft auch ein Primärüberschuss (Budgetüberschuss vor Schuldendienst), der 2013 erstmals glückte und 2014 in den ersten drei Quartalen bei 2,53 Milliarden Euro lag, nur wenig. 2015 bis 2030 werden im Durchschnitt jährlich 18,2 Milliarden Euro für Zins- und Tilgungszahlungen zu berappen sein, laut dem "Träger für die Verwaltung der öffentlichen Verschuldung" werden es von 2022 bis 2024 sogar bis zu 33 Milliarden Euro pro Jahr sein.

Allein diese Zahlen machen klar, wie groß die Finanzierungslücke noch immer ist und wie weit das Krisenland davon entfernt, finanziell und wirtschaftlich wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Selbst bei einem stabilen Budgetüberschuss würde das noch Jahrzehnte dauern.

Eine Schätzung der EU-Kommission von April 2014, dass der Schuldenstand 2016 auf 157,8 Prozent und bis 2022 auf 112 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken und damit wieder den Stand von 2008 erreichen werde, setzt voraus, dass die griechische Wirtschaft konstant wächst und Schulden weginflationiert werden können. Angesichts der immer noch trüben Wirtschaftsaussichten für Europa scheint das allerdings höchst unwahrscheinlich - zudem herrscht in Griechenland seit 2013 Deflation.

Doch es droht auch eine akute Liquiditätskrise, wie der griechische Nationalbankchef publik machte: Inzwischen lässt der Staat systematisch die Kassenbestände der öffentlichen Träger und die Liquidität der Banken zur Ader, um sich - bei sinkenden Steuereinnahmen - wenigstens bis Ende Februar 2015 finanziell über Wasser zu halten. Verschärft wird das Problem durch die Emission von Schatzbriefen, die Griechenlands Banken alleine zu zeichnen hätten (das Interesse aus dem Ausland tendiert gegen null): Damit fließt Kapital an den Fiskus, das sonst per Krediten der griechischen Wirtschaft zugutekäme.

Aus eigener Kraft wird Griechenland wohl nicht wieder auf die Beine kommen. Die von EU, IWF und EZB verordneten Reformen waren in der bisherigen Form nicht besonders hilfreich: Im Juni 2013 gaben Vertreter des IWF "bedeutende Misserfolge" und Fehler zu. Und der Athener Ökonom Yanis Varoufakis meinte jüngst: "Die EU belügt die Menschen in Europa. Griechenland war nie so bankrott wie heute."

Daher plädiert etwa Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft für einen weiteren Schuldenschnitt von 50 Prozent. Auch die EU-Kommission erwägt einen in der Größenordnung von einem Drittel der Schulden oder mehr. Politisch wird das schwer durchzusetzen sein, mittlerweile liegen mehr als drei Viertel der Schulden bei öffentlichen Geldgebern und damit bei Europas Steuerzahlern. Auch wo Banken und große Finanzvermögen geradestehen, wehrt man sich: Schließlich wurde im Frühjahr 2012, als Privatgläubiger auf 107 Milliarden Euro an Forderungen verzichten mussten, versprochen, der Schuldenschnitt sei einmalig. Die Fakten sprechen aber dafür, dass ein weiterer folgen muss. Besser früher als später.