Zum Hauptinhalt springen

"Griechenland ist für die Troika ein Versuchskaninchen"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
34. Generalstreik: "Verloren sind Kämpfe, die nicht geführt werden." Gewerkschaftschef Panagopoulos.
© Nikos Pilos

Gewerkschaftschef: Europa soll in Griechenlands Zukunft investieren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Athen. Griechenland kommt nicht zur Ruhe. Am Mittwoch stand der nächste 24-stündige Generalstreik im Epizentrum der Eurokrise an. Um die Mittagszeit versammelten sich im Zentrum Athens 50.000 Demonstranten. Zum Streik haben die Dachgewerkschaften der Privatangestellten GSEE und der Beamten Adedy aufgerufen. Im Interview erklärt Jannis Panagopoulos, 58, seit 2006 GSEE-Chef, die Gründe.

"Wiener Zeitung":Herr Panagopoulos, Sie hatten gemeinsam mit der griechischen Beamtengewerkschaft für Mittwoch zum Generalstreik aufgerufen. Wie oft haben Sie schon seit dem Beginn der Griechenland-Krise Anfang 2010 gestreikt oder die Arbeit niedergelegt?Jannis Panagopoulos: Auf Anhieb kann ich Ihnen das nicht sagen. Ich komme mittlerweile mit dem Zählen nicht mehr nach.

Am Mittwoch wird es das 34. Mal gewesen sein.

Wir protestieren diesmal gegen das Ende von 42 Branchenverträgen, die 400.000 Arbeitnehmer im privaten Sektor betreffen und nicht erneuert werden, ferner die Abschaffung des Nationalen Tarifvertrages und die Reduzierung des Mindestlohnes um 22 Prozent auf jetzt 586 Euro brutto pro Monat. In Griechenland gibt es überdies kein Arbeitsrecht mehr, wie wir es in anderen Ländern Europas kennen.

Was hat sich für den griechischen Arbeitnehmer bis heute verändert?

Die Arbeitslosigkeit ist auf offiziell 27 Prozent gestiegen. In Wahrheit beträgt sie wohl mittlerweile mehr als 30 Prozent. Denn in der Krise grassieren Schwarzarbeit und unversicherte Arbeit. Ferner sind die Arbeitseinkommen drastisch gesunken. Berücksichtigt man die Reduzierung beziehungsweise Streichung des Steuerfreibetrags sowie die Steuererhöhungen für die Arbeitnehmer, dann sind die Arbeitseinkommen im privaten und öffentlichen Sektor um bis zu 50 Prozent eingebrochen.

Können Sie ein repräsentatives Beispiel nennen?

Die Gehälter für Busfahrer sind von 1500 Euro netto pro Monat auf 750 Euro netto gefallen.

Was fordern Sie?

Dass der Mindestlohn wieder auf 751 Euro brutto pro Monat angehoben wird - und das hierzulande wieder das europäische Arbeitsrecht gilt. Trotz der massiven Senkung der Löhne und Gehälter: Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit ist nicht wie gewollt gestiegen. Im Gegenteil. Unser Land hinkt sogar einigen afrikanischen Ländern hinterher.

Was haben die griechischen Gewerkschaften bisher mit ihren 33 Streikaktionen erreicht?

Wir haben verhindert, dass zum Beispiel die Kürzungen bei Löhnen und Gehältern noch stärker ausfallen. Und wir haben Zeit gewonnen. Ich habe die Technokraten von Griechenlands Geldgeber-Troika kennengelernt und dabei gemerkt, welche Lust sie auf noch größere Einschnitte haben. Griechenland ist für sie ein Versuchskaninchen. Die Troika glaubt an das Dogma des Schocks - für die Wirtschaft und auch für die Gesellschaft. Das Problem ist: Die Troika-Technokraten kennen sich zwar damit aus, wie man Löhne, Gehälter und Renten kürzt. Sie haben aber keine Ahnung davon, wie Preise fallen sollen. Die Lebenshaltungskosten bleiben hierzulande hoch. Griechenland ist weiter ein teures Land. Die Folge ist, dass der Grieche nicht einmal mehr seine Steuern zahlen kann. Nicht weil er nicht will, sondern weil er nicht mehr kann.

Wie reagieren die Griechen auf diese Zustände?

Es herrschen Wut und Verzweiflung. Viele Griechen verlassen das Land. Ausgerechnet die klügsten Köpfe wandern aus. Nach Deutschland, England, Australien oder in die USA. Auch mein Sohn hat in den Niederlanden nach seinem Aufbaustudium einen Job gefunden und ist dort geblieben.



Stoßen Ihre Positionen bei der Athener Drei-Parteien-Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras auf Verständnis?

Nein, überhaupt nicht. Sie stoßen auf taube Ohren. Wir haben uns nicht einmal getroffen. Das liegt nicht an mir. Stellen Sie sich vor: Ich habe mich als Griechenlands Gewerkschaftschef mittlerweile mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffen, aber bisher nicht einmal mit dem (seit vorigem Juni amtierenden) Regierungschef meines Landes.

Werden Sie Ihre Protestaktionen fortsetzen, sie gar intensivieren?

Wir werden weiterkämpfen. Verloren sind die Kämpfe, die nicht geführt werden. Ich sage aber nicht, dass wir siegen werden. Alleine können wir das auch nicht schaffen. Wir brauchen eine politische Lösung. Wir brauchen einen Marshall-Plan für Griechenland und Europas Süden.

Das bedeutet, dass Ihrer Ansicht nach vor allem der deutsche Steuerzahler für die Griechen zahlen soll.

Der deutsche Steuerzahler soll nicht zahlen, sondern er muss investieren. Das ist eine Investition in die Zukunft des gemeinsamen Europas. So wie es die US-Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg für die Europäer getan haben. Ohne Solidarität hat Europa keine Zukunft.