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"Griechenland muss Zypern werden"

Von Thomas Seifert

Politik
Christian Helmenstein meint, es brauche neue Governance-Strukturen in Europa, damit sich eine Krise, wie jene in Griechenland nicht wiederhole.

Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, über die akute Liquiditätskrise und Wachstumschancen.


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"Wiener Zeitung": Was kommt nach dem "Oxi", dem "Nein" der Griechen zur europäischen Rettungsstrategie Griechenlands?Christian Helmenstein: Die Situation ist heute noch schwieriger als vor dem Auslaufen des zweiten Hilfspakets am 30. Juni. Denn jetzt wird man viel mehr Zeit benötigen, um ein neues Hilfspaket zu schnüren, wenn es denn überhaupt noch eine Chance auf eine diesbezügliche Einigung gibt. Kurzfristig ist von entscheidender Bedeutung, dass die griechische Volkswirtschaft weiterhin mit Liquidität versorgt bleibt. Denn das größte Risiko ist im Moment der akute Liquiditätsmangel in der griechischen Volkswirtschaft, der dazu führt, dass das wirtschaftliche Leben de facto zum Erliegen kommt.

Zuletzt gab es zwischen den Verhandlungspartnern keine Gesprächsbasis mehr. Athen hat nun den Finanzminister Yanis Varoufakis, der ja vor allem für den deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble zum roten Tuch geworden ist, abgezogen. Wird diese Versöhnungsgeste von Alexis Tsipras ausreichen, um mit den europäischen Partnern wieder eine Verhandlungsbasis finden zu können?

Der Rückzug von Varoufakis ist sicherlich als Geste Griechenlands an seine europäischen Partner zu sehen. Der Vertrauensverlust ist meiner Empfindung nach aber tiefgreifender: Schon als sich die Wiederwahl von Tsipras im Dezember 2014 abgezeichnet hat, sehen wir ab dem vierten Quartal eine deutliche Zurückhaltung der internationalen Investoren. Bis zu diesem Zeitpunkt war Griechenland - wie alle anderen Programmländer - bereits auf dem richtigen Weg. Griechenland konnte bis zum vierten Quartal 2014 sanfte Zuwächse beim Bruttoinlandsprodukt verzeichnen, auch die Arbeitslosigkeit ging ja zuletzt - wenn auch nur marginal - zurück. Aber entscheidend ist: Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt zumindest eine Stabilisierung und minimales Wachstum erkennen können. Das ist im vierten Quartal 2014 jäh abgerissen, unter anderem, weil eben diese neue Regierung das Vertrauen der internationalen Investoren nicht gewinnen konnte. Die schärfer werdende Rhetorik der neuen Regierung war zudem alles andere als nützlich.

Die griechische Bevölkerung hat mit ihrem "Nein" beim Referendum offenbar signalisieren wollen: Es reicht mit dem Austeritätskurs der Troika. Die Menschen suchen nach Alternativen.

Aber genau das ist ja alles längst passiert. Ich selbst habe als stellvertretender Vorsitzender des Business-Europe-Ecofin-Komitees alles darangesetzt, dass das griechische Kofinanzierungserfordernis für den Transfer von EU-Mitteln nach Griechenland minimiert wird. Das ist gelungen. Ursprünglich sollte Griechenland bei EU-Projekten 15 Prozent beisteuern, das wurde dann auf einen minimalen Beitrag gesenkt. Damit sollte Griechenland in die Lage versetzt werden, dass europäische Gelder nicht nur in die Schuldentilgung fließen, sondern dass neue Investitionen auf den Weg gebracht und damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Gibt es Chancen auf ein Ende der griechischen Tragödie?

Die europäischen Partner sind den Griechen extrem weit entgegengekommen. Griechenland hat sich aber stets sehr wenig bewegt. Für mich ist bemerkenswert, dass Griechenland bereits im Jahr 2014 etwas Wachstum erzielen konnte, obwohl die Regierung in Athen so wenig von dem mit der Troika vereinbarten Reformprogramm umgesetzt hatte. Das hat aber offensichtlich trotzdem gereicht, um die griechische Wirtschaft zu stabilisieren. Ich frage mich also, was denn passiert wäre, wenn man in Athen wesentlich aktiver gewesen wäre. Richten wir unseren Blick auf Zypern: Im Südteil der Insel leben Menschen mit griechischem Hintergrund. In Nikosia hatte die Regierung ein mindestens so hartes Anpassungsprogramm umzusetzen wie in Athen, aber man arbeitete geräuschlos und reibungsarm mit der Troika zusammen. Das Ergebnis: Zypern ist die derzeit am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Eurozone mit einer realen Jahreswachstumsrate von rund sechs Prozent. In Griechenland lässt das institutionelle Umfeld es hingegen offenbar nicht zu, hinreichende Reformen umzusetzen. Das muss sich ändern. Ganz wichtig ist: Griechenland bleibt EU-Mitglied. Es wäre zudem begrüßenswert, wenn Griechenland Mitglied der Eurozone bleiben könnte. Als integraler Bestandteil der europäischen Institutionen vermag das Land seine Chancen besser zu nutzen.



Die da sind?

Griechenland hat keine guten Beziehungen mit der wirtschaftlich dynamischen Türkei, steht mit Mazedonien und Nordzypern im Streit. Athen leistet sich exorbitant hohe Militärausgaben. Das Land ist aufgefordert, seine Außenbeziehungen zu verbessern und die Militärausgaben zu senken.

Griechenland hat aber einen Standortnachteil, ganz im Südosten der EU.

Da braucht es entsprechende Infrastrukturinvestitionen. Aber die haben nur Sinn, wenn man auf den Zügen und Straßen auch Güter transportieren kann. Es fehlt aber an der Industrialisierung des Landes. Griechenland hätte das Zeug zu einem Logistik-Knoten. Aber man hat gesehen, wie wie lange es gedauert hat, bis man sich auf eine Zukunft des Hafens in Piräus verständigt hat. Das schreckt die Investoren ab. Was Griechenland jetzt benötigt, wäre einen möglichst breiten Konsens in der Regierung.

Die Griechenland-Diskussion findet vor dem Hintergrund eines Richtungsstreits über die Wirtschaftspolitik in Europa statt.

Ja. Welche Art von Fiskalpolitik streben wir in Europa an? Frankreich und Italien wollen eine Fiskalpolitik, die flexibler und politischen Interventionen gegenüber akkommodierender ausfällt. Andere Länder wie Deutschland und die Niederlande bestehen auf ein regelbasiertes System. Am Ende wird das in die eine oder in die andere Richtung gehen müssen. Sicher ist: Wir brauchen neue Governance-Strukturen in Europa, damit sich so ein Vorgang wie der in Griechenland nicht mehr wiederholt.