Zum Hauptinhalt springen

Griechenland: Trau keiner Statistik

Von Peter Muzik

Wirtschaft
Die 900 Mitarbeiter des europäischen Zentralamts in Luxemburg bräuchten mehr Kompetenzen. Foto: gnu

Sind die Griechen Europameister der Manipulation? | Eurostat: Daten-Fabrik in Luxemburg braucht mehr Kompetenz. | Luxemburg/Athen. Giorgos Papaconstantinou ist europaweit zum Buhmann geworden - obwohl er erst seit Oktober vorigen Jahres im Amt ist und für die neueste griechische Tragödie gar nichts kann.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Griechenlands Finanzminister steht am Pranger, weil Athen jahrelang geschönte Angaben über seinen Haushalt an die EU gemeldet und damit das Ausmaß seiner Verschuldung verschleiert hat. Der smarte 49-jährige Politiker hat jedenfalls auszubaden, was ihm die früheren Regierungen einbrockten. Sowohl die sozialistisch geführte unter Ministerpräsident Konstantinos Simitis (bis 2004) als auch das konservative Kabinett von Kostas Karamanlis (bis Oktober 2009) meldeten laufend frisiertes Zahlenmaterial an das EU-Statistikamt Eurostat.

Der neue Premier Giorgos Papandreou, für den Griechenland nunmehr "ein Patient auf der Intensivstation" ist, deckte die üblen Manipulationen im November auf und versetzte damit die übrigen EU-Mitgliedsländer in helle Aufregung.

Das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit der Griechen brach daraufhin an den Finanzmärkten so abrupt zusammen, dass selbst die schlimmsten Sorgen berechtigt zu sein scheinen: Ohne Solidarität der Europäischen Union, die von den Hellenen einen rigiden Sparkurs einfordert, wird das an den Rand des Staatsbankrotts geschlitterte Land wohl seine Schuldenmisere nicht meistern können.

Finanzminister Papaconstantinou wird folglich seit Wochen von jener EU-Behörde ausführlich gepiesackt, die von den Griechen jahrelang nach der Devise "tricksen, täuschen, tarnen" ("Handelsblatt") betakelt wurde. Das in Luxemburg ansässige Statistik-Amt Eurostat steht nämlich auf Grund des Datenskandals wieder einmal im Kreuzfeuer der Kritik und hat, ähnlich wie Griechenland, schlagartig an Glaubwürdigkeit und Reputation verloren.

Walter Radermacher, der aus Deutschland stammende Eurostat-Generaldirektor, kritisierte in einem Bericht vom 8. Jänner die griechische Regierung scharf, weil diese Haushaltszahlen gezielt manipuliert und überdies über EU-Beihilfen falsch berichtet habe. Besonders aufklärungsbedürftig ist die dubiose Rolle der US-Investmentbank Goldman Sachs, die den Griechen schon im Jahr 2000 mit mysteriösen Derivatgeschäften beigestanden ist, ihre Staatsschulden von fast 120 Prozent des Bruttoinlandsgeschäfts zu verschleiern.

Die Hellenen hatten die Existenz derartiger Finanztricksereien stets bestritten.

Radermacher ist stinksauer, weil Eurostat mit Athen schon mehrmals Probleme hatte: Vor fast zehn Jahren, als Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen wurde, brüstete sich die griechische Regierung beispielsweise mit einem Haushaltsdefizit von nur einem Prozent des BIP - in Wahrheit lag es weit über der magischen 3 Prozent-Marke. Im Zuge eines Regierungswechsels sind 2004 plötzlich Gerüchte über manipulierte Datensätze aufgetaucht, und 2005 gab es erneut arge Zweifel an den von Griechenland gelieferten widersprüchlichen Statistiken.

900 Mitarbeiter undfragwürdige Daten

Die EU-Zahlenjongleure verlangten seinerzeit mehr Rechte und Kompetenzen, was allerdings nicht die Zustimmung der nationalen Regierungen fand. Man ließ es bei einer Warnung für Griechenland bewenden - schließlich betrieben damals auch andere EU-Staaten herzhaft Budgetkosmetik. Heute schiebt Radermacher den Mitgliedsstaaten eine Mitschuld an der Griechenland-Krise zu, weil diese seiner Behörde nicht die erforderlichen Kontrollinstrumente zugestanden haben.

Damit muss Eurostat mit der Ungewissheit zu Rande kommen, ob denn nicht auch andere Länder - immer wieder genannt wird etwa Italien - mit manipulierten Fakten operieren und auf diese Weise die EU-Statistikwerke völlig wertlos machen. Immerhin belaufen sich die Kosten der Luxemburger Zahlen-Fabrik - also die operativen Haushaltsmittel - auf rund 45 Millionen Euro. Dazu kommen weitere 18,5 Millionen von diversen Generaldirektionen aus Brüssel. Das über einem Einkaufszentrum in der Rue Alphonse Weicker untergebrachte Amt beschäftigt 900 Mitarbeiter.

Die bereits 1953 von der damaligen Montanunion gegründete Behörde ist seit 1958 eine der vielen Generaldirektionen der Europäischen Kommission. Sie wird derzeit von Generaldirektor Radermacher, dessen Vize und sieben Direktoren geleitet und liefert unentwegt Datenmaterial, das für Regierungen, Unternehmen, staatliche Stellen, Medien und die Öffentlichkeit nicht bloß interessant, sondern auch von Nutzen sein sollte. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die anderen Generaldirektionen mit jeder Menge Statistiken zu versorgen, damit die Kommission und andere europäische Institutionen in der Lage sind, auf der Basis aussagekräftiger Unterlagen eine gemeinsame Politik in Angriff zu nehmen.

Politische Zahlenspieleverfälschen die Realität

Das alles ist nunmehr in Frage gestellt, weil das Image arg ramponiert wurde. Allerdings erhebt Euro stat selbst keine Daten, sondern arbeitet lediglich mit sämtlichen einschlägigen Lieferanten eng zusammen. Nicht bloß mit den nationalen Statistikämtern der EU-Staaten, also etwa mit der Statistik Austria, sondern auch mit den Vereinten Nationen, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der OECD oder der International Labour Organization (ILO).

Die nach Luxemburg übermittelten nationalen Datenströme, die bereits in jedem Staat geprüft und analysiert werden (sollten), werden von der EU-Behörde schlussendlich konsolidiert und harmonisiert, wobei Begriffe, Methoden, Strukturen und technische Normen vergleichbar sein müssten. Das heißt: Um etwa ernst zu nehmende Statistiken über die Arbeitslosigkeit in der Union zu Stande zu bringen, ist es eine Grundvoraussetzung, dass die Arbeitslosen in Finnland oder Italien nach demselben Verfahren erfasst werden wie in Rumänien oder Deutschland.

Die Statistik-Hochburg der EU produziert jedenfalls unermüdlich zu allen denkbaren Stichworten - von A wie Arbeitskosten bis Z wie Zinssätze - kilometerlange Auswertungen, durchleuchtet das europaweite Gesundheitswesen ebenso wie den Güterverkehr oder die Kaufkraftparitäten und erhebt den Anspruch, bei Themen wie Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten oder Todesursachen genauso allwissend für totale Transparenz zu sorgen wie bei den Fachgebieten Steuerquoten, Verbraucherpreise oder Wechselkurse.

Über die unzähligen Mikrodaten und Metadaten, strukturellen Statistiken oder horizontalen Publikationen produziert Eurostat unentwegt eine Lawine an Presseaussendungen. Obendrein werden statistische Jahrbücher, Pocketbooks, Kataloge und sonstige Publikationen jedweder Art - egal, ob auf Papier oder als CD-Rom - in Umlauf gebracht. Dass die Qualität der EU-Institution mit der Quantität nicht Schritt halten kann, ist nunmehr Gegenstand schlimmer Befürchtungen. Genau deshalb sprechen sich derzeit mehrere EU-Länder - darunter Österreich in Gestalt von Finanzminister Josef Pröll - für eine baldige Aufwertung von Eurostat aus - obzwar manche angesichts der Wirtschaftsflaute herzlich wenig Interesse daran haben, dass die traurige Realität in statistischer Form allzu transparent gemacht wird.

Offensichtlich ist Euro stat schon bisher gerne für politische Zahlenspiele und fragwürdige Rechenoperationen missbraucht worden. Im Vorjahr wurde etwa bekannt, dass die EU-Länder ihre Ausgaben für die Banken-Rettungsaktionen in der Statistik nur begrenzt ausweisen und so die tatsächliche Verschuldung verschleiern.

Konkret ging es dabei um die sogenannten Zweckgesellschaften, die etliche EU-Mitgliedsländer im Zuge der Hilfspakete für angeschlagene Geldinstitute gegründet haben.

Auf Druck der französischen Regierung musste die Luxemburger Behörde letztlich einwilligen, dass beispielsweise Anleihen der staatlichen Pariser Refinanzierungsgesellschaft SFEF, die als Kredite an die Banken weitergereicht wurden, aus der Staatsschuld herausgerechnet werden dürfen.

Damit konnten die Franzosen ihren Schuldenstand immerhin schlagartig um 75 Milliarden Euro verringern - sie liegen allerdings immer noch haushoch über der Maastricht-Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Österreich in Eurostat-ZahlenReales BIP 2009: Mit minus 3,7 Prozent belegt Österreich die zehnte Position - weit hinter Polen (1,2 Prozent), Zypern und Griechenland; auch in Frankreich, Malta, Belgien, Portugal, Spanien und Luxemburg ist das Wachstum im Vorjahr weniger geschrumpft.

BIP pro Kopf: Mit einem Indexwert von 123,5 war Österreich im Jahr 2008 Vierter - hinter Luxemburg, Irland und den Niederlanden.

Arbeitslosenrate: Mit 5,4 Prozent (Dezember 2009) schneidet Österreich exzellent ab - und findet sich hinter den Niederlanden an der zweite Stelle. Schlusslicht ist Lettland (22,8 Prozent).

Beschäftigungsquote: Mit 72,1 Prozent rangiert Österreich auf Rang vier - hinter Dänemark, den Niederlanden und Schweden.

Exportrückgang: Mit minus 21 Prozent bei den Ausfuhren (Jänner bis November 2009) traf es Österreich härter als 17 andere EU-Staaten. Am besten erging es Irland (minus 3 Prozent).

Importrückgang: Mit minus 19 Prozent bei Einfuhren sichert sich Österreich, ex aequo mit Frankreich, den zweiten Platz - knapp hinter Deutschland (mit minus 18 Prozent).

Handelsbilanzsaldo: Mit minus 3,3 Milliarden Euro (Jänner bis November 2009) ist Österreich schlechter dran als 16 andere EU-Mitgliedsstaaten. Sieger war Deutschland (mit einem Plus von 122 Milliarden Euro).