Statistik-Generaldirektor Pesendorfer über die Verlässlichkeit von Zahlen.
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"Wiener Zeitung": Statistiken begegnen Bürgern und Verbrauchern auf Schritt und Tritt. Es gibt kaum eine politische Debatte, in der sie nicht als Argumentationshilfe eingesetzt werden, kaum eine Marketing-Strategie, die ohne sie auskommt. Nicht alle Statistiken stimmen, manche sind bewusst manipuliert. Müsste man nicht schon in der Schule einen explizit kritischen Umgang mit Statistik lernen?Konrad Pesendorfer: Im heutigen Informationszeitalter kann man nie früh genug damit anfangen, über den Umgang mit Statistiken zu sprechen. Daten liefern ja nicht nur die statistischen Ämter. Es gibt auch Datenproduzenten, deren Qualitätsstandards weniger streng formuliert sind als die unseren. Wir von der offiziellen Statistik arbeiten nach Prinzipien, auf die man sich europaweit geeinigt hat und die uns in der Qualität, Konsistenz und Verlässlichkeit von dem sehr breit angebotenen Datenmaterial, das in der Welt draußen existiert, deutlich abgrenzen. Unsere Zahlen müssen einer Prüfung auf Herz und Nieren standhalten können. Seit dem vergangenen Jahr versuchen wir das auch AHS-Schülerinnen und -Schülern zu vermitteln, die zu uns ins Institut kommen und denen wir Einblick in unsere Arbeit geben. Wir zeigen ihnen beispielsweise, wie wir eine Volkszählung organisieren oder die Inflationsrate berechnen.
Natürlich kennen Sie als Fachmann auch alle Tricks, mit denen Statistiken manipuliert werden können, etwa durch entsprechende grafische Darstellungen.
Wir versuchen aufzuzeigen, dass man da sehr vorsichtig sein muss. Eine Kurve, die auf einer Skala einen ganz flachen Verlauf darstellt, kann man natürlich als große Steigerung darstellen, wenn man die Skala verändert. Ich glaube aber, dass da die Vorbildung in den Schulen ganz gut funktioniert. Jedenfalls merke ich hier aufgrund von kritischen Fragen seitens der Schüler, dass dieses Bewusstsein der Möglichkeiten bei der grafischen Gestaltung schon vorhanden ist.
Was würden Sie Jugendlichen antworten, die nach dem Sinn von amtlichen Statistiken fragen? Wer braucht all diese Daten?
Unsere Existenzberechtigung als Statistikinstitut liegt im Informationsbedarf der Gesellschaft. Menschen - seien es Privatpersonen oder Unternehmer oder Politiker - wollen Entscheidungen auf Fakten und Daten aufbauen und nicht nur auf Vermutungen. Und wir fördern das Allgemeinwissen. Viele Menschen interessieren sich einfach für bestimmte Dinge, etwa für die Bevölkerungsstatistik, und wollen wissen: Wie viele Menschen leben in meinem Land, oder wie wird sich die Einwohnerzahl in Wien entwickeln?
Sie stellen ihre statistischen Hauptergebnisse jedermann elektronisch per Internet zur Verfügung. Was wird am häufigsten abgefragt?
Ganz oben in der Skala liegt die Inflationsrate. Aber auch Bevölkerungsdaten und öffentliche Finanzdaten wie Defizit und Schuldenstand werden häufig abgerufen.
Viele Menschen stehen Statistiken mit großer Skepsis gegenüber, da sie sich oft nicht mit ihren persönlichen Wahrnehmungen decken. Zum Beispiel wird die Inflationsrate oft als zu niedrig empfunden, man hat das Gefühl, alles ist um einen viel größeren Faktor teurer geworden, als die amtliche Preissteigerungsrate ausmacht.
Der Einzelne wird sich in seinem Kaufverhalten immer von dem Warenkorb unterscheiden, den wir zusammenfassend für alle in Österreich lebenden Menschen im Durchschnitt errechnen. Die Alternative wäre, 8,4 Millionen Inflationsraten zu veröffentlichen. Das hat auch eine gewisse Problematik an sich. Dann gäbe es auch keine Orientierung mehr, wonach man etwa Verträge ausrichten soll. Man muss als Statistiker einen Kompromiss schließen.
Am morgigen Tag der Statistik 2012 wird die Statistik Austria erstmals Indikatoren zur Wohlstands- und Fortschrittsmessung für Österreich präsentieren, die künftig neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) regelmäßig veröffentlicht werden. Warum reicht das BIP alleine nicht mehr aus?
Die Diskussion, ob das Bruttoinlandsprodukt ein guter Indikator für die Entwicklung der Gesellschaft ist, was den Wohlstand betrifft, ist eine sehr alte und reicht zurück bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Gründungsväter der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen haben von sich aus gesagt, das Bruttoinlandsprodukt ist kein Wohlstandsindikator, sondern eine wichtige Information über die Produktion einer Volkswirtschaft. Wir werden daher nun künftig ein Set von etwa 30 Indikatoren anbieten, auf Basis internationaler Empfehlungen der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission. Wir werden die Dimensionen materieller Wohlstand, Lebensqualität und Nachhaltigkeit zusätzlich zum BIP einmal jährlich darstellen. Man kann dann zum Beispiel abbilden, dass die subjektive Einschätzung der Lebensqualität gestiegen ist, obwohl sich zum Beispiel das BIP nur flach entwickelt hat. Oder umgekehrt. Ein Teil der Indikatoren wird international vergleichbar sein.
Die alte Regierung Griechenlands hat 2009 die Schuldenstatistik "frisiert" und falsche Zahlen nach Brüssel gemeldet. Das hat die Glaubwürdigkeit amtlicher Statistiken erschüttert. War Griechenland ein Einzelfall, oder könnte sich so etwas wiederholen?
Griechenland ist sicher ein Ausreißer gewesen. Es wurden seither weitgehende Maßnahmen getroffen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. In Griechenland selbst hat man ein neues Statistikgesetz verabschiedet, das die Unabhängigkeit des Statistikinstituts festschreibt. Auf europäischer Ebene wurde Eurostat mit stärkeren Prüfrechten ausgestattet. Ich glaube daher, mit gutem Gewissen sagen zu können, dass solche Dinge wie in Griechenland nicht mehr so leicht möglich sein werden.