Selbst Obdachlose bittet der Fiskus mittlerweile zur Kassa.
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Athen. Die Szene war symptomatisch: Im Finanzamt von Korinth bildeten sich am letzten Tag des Jahres 2012 lange Warteschlangen. Dutzende Hellenen mit Autoschildern in den Händen standen geduldig an, um ihre Kraftfahrzeuge noch rechtzeitig vor Silvester abzumelden. In ganz Griechenland taten Zehntausende dasselbe. Der Grund: Sie können sich die Kfz-Steuer für das neue Jahr nicht mehr leisten. Georgios Mavraganis, im griechischen Finanzministerium für Steuerfragen zuständig, gab schließlich lapidar bekannt, die Frist werde verlängert.
Die Episode um die Kfz-Steuer zeigt: Das pleitebedrohte Hellas braucht zwar dringend Geld, doch die meisten Griechen sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt. Seit Jahren stagnieren die Einnahmen des Staates bei rund 50 Milliarden Euro im Jahr. Auch im Jahr 2012 werden es nur gut 52 Milliarden Euro sein. Und das, obwohl die Athener Regierungen seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise im Frühjahr 2010 alles Erdenkliche unternommen haben, um die klammen Staatskassen zu füllen. Die bestehenden Steuern und Abgaben wurden massiv erhöht, Steuerbefreiungen gestrichen, der Steuerfreibetrag gesenkt, eine Reihe neuer Steuern eingeführt.
Steuerfahndung verhängt Strafen in Milliardenhöhe
Auch die Steuerfahndung SDOE geht mittlerweile rigoros gegen Steuersünder vor. Zwischen Anfang 2010 und Mai 2012 verhängte SDOE Bußgelder in Höhe von mehr als zehn Milliarden Euro - ein Rekordbetrag. Ferner hat das Finanzministerium zunächst 150 Ärzte aus dem Athener Nobel-Viertel Kolonaki, dann 6000 Firmen sowie schließlich 5000 natürliche Personen durch die Veröffentlichung von entsprechenden Listen im Internet als Steuerschuldner bloßgestellt. Dennoch: Es hilft alles nichts.
Der schlimmsten Krise der Nachkriegszeit zum Trotz: Unerbittlich schröpft der griechische Staat auch die ohnehin mittellosen Steuerpflichtigen. Sogar die absoluten Habenichtse in Griechenland müssen bluten. Im ständigen Kampf gegen den drohenden Staatsbankrott haben erstmals auch Obdachlose Einkommensteuer zu entrichten. Auch wer kein Dach über dem Kopf hat, kein Auto besitzt, sich stets bei der Essensausgabe der Kirchen und Kommunen ernährt und keine absetzbaren Quittungen für Konsumausgaben vorzulegen hat, hat dem hellenischen Fiskus 116,25 Euro zu zahlen. Hauptsache, der Obdachlose hat eine Steuernummer. Der Fiskus geht einfach davon aus, dass die Person ein Existenzminimum von 8000 Euro im Jahr verdient - nur 5000 davon sind steuerfrei.
Griechen warten auf 9,2-Milliarden-Euro-Tranche
In den kommenden Tagen muss das Parlament in Athen das nächste Steuergesetz verabschieden. Es sieht erneut massive Steuererhöhungen für das Gros der Griechen vor. So will es Griechenlands Geldgeber-Troika, bestehend aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank. Hellas hat keine andere Wahl. Nur wenn Athen der Troika-Forderung Folge leistet, wird die im Jänner fällige Kredittranche in Höhe von 9,2 Milliarden Euro freigegeben.
Aber es gibt sie doch: die Griechen, denen der Steuer-Tsunami nichts anhaben kann. Es sind ausgerechnet die Reichsten der Reichen, Griechenlands Tycoons. Wie die Athener Monatszeitschrift "Unfollow" in ihrer in diesen Tagen erschienen Jänner-Ausgabe anhand der Veröffentlichung von Steuererklärungen enthüllt, deklarierte der Industrielle Nikos Manessis beim Fiskus für das Steuerjahr 2012 ein Jahreseinkommen von lediglich 30.714,52 Euro. Der Großunternehmer Sokrates Kokkalis deklarierte 26.870,11 Euro, der Medienunternehmer Jannis Alafouzos 26.160,40 Euro und der Banker Andreas Vgenopoulos 18.217,41 Euro.
Die vom Magazin "Unfollow" bloßgestellten Steuerpflichtigen sind in Griechenland allesamt bekannt. Manessis besitzt den Stahlhersteller HLV. Firmenangaben zufolge erreicht HLV eine Jahresproduktion von 600.000 Tonnen. Kokkalis ist Gründer, Präsident und Großaktionär der beiden börsennotierten High-Tech-Firmen Intralot und Intracom. Alafouzos ist Spross einer Reederfamilie und Präsident der einflussreichen Mediengruppe Skai. Zur Skai-Gruppe zählen ein landesweit ausstrahlender Fernsehsender und ein Radiosender. Vgenopoulos ist der Präsident von Griechenlands größter Holding Marfin Investment Group (MIG). Zum ebenfalls börsennotierten MIG-Imperium zählen in Griechenland und Zypern Geschäftsbanken, Privatkliniken, Nobelhotels, Lebensmittelhersteller, Fährgesellschaften und die traditionsreiche Fluggesellschaft Olympic Air.
Reiche können Steuer
ganz legal umgehen
Griechenlands Oligarchen mit dem Mini-Einkommen wohnen alle im nördlichen Athener Nobel-Vorort Kifissia. Sie profitieren von einem ganz legalen Steuerprivileg: Sie lassen die ihnen zustehenden Firmengewinne größtenteils in den Unternehmenskassen, weil sie dort mit nur 20 Prozent besteuert werden. Überdies schlagen sie daraus Kapital, dass Firmenverluste in Griechenland steueroptimierend mit Gewinnen aus anderen Jahren verrechnet werden können. So werden aus Griechenlands Superreichen hinsichtlich der persönlichen Einkünfte ganz legal arme Kirchenmäuse - nur gegenüber dem Fiskus wohlgemerkt.