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Griechenlands Untergang - Europas Ende?

Von Martyna Czarnowska und Michael Schmölzer

Politik
© mekcar - Fotolia

Die Schuldenkrise hat sich gefährlich zugespitzt.


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Wien. Der griechische Schulden-Streit hat sich zuletzt dramatisch zugespitzt, ein Staatsbankrott und der Austritt der Griechen aus der Eurozone stehen im Raum. Die Debatte war in den letzten Monaten über weite Strecken von Halb- und Unwahrheiten geprägt, viele Aussagen waren auch propagandistisch gefärbt. Den Geldgebern ging und geht es darum, Zeitdruck auf die griechische Regierung auszuüben und die Befolgung ihrer Forderungen als einzig möglichen Weg aus dem Schlamassel darzustellen. Die griechische Regierung hat stets versucht, sich nicht festnageln zu lassen, und fuhr eine Verwirr-Taktik. Im Krieg der Worte warfen einander beide Seiten wiederholt "Erpressung" und Lüge vor. Hier nun ein Versuch, Antworten auf einige zentrale Fragen zu finden.

Worüber stimmen die Griechen am Sonntag eigentlich ab?

Der griechische Premier Alexis Tsipras will der griechischen Bevölkerung das Angebot der Geldgeber zur Abstimmung vorlegen. Darin ist festgelegt, dass in den nächsten Monaten das Geld großzügig weiter nach Athen fließt (mehr als 15 Milliarden Euro), auch gibt es für die Rückzahlung günstige Zinsen und die Frist wird verlängert. Aber die Gläubiger wollen auch, dass Athen bis Ende November harte Reformen durchzieht - inklusive Einschnitte bei den Pensionisten.

Die Regierung in Athen lehnt ab, weil das nicht die Maßnahmen seien, die der griechischen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen, wie es heißt.

Was ist das Kalkül der griechischen Regierung hinter der Volksabstimmung?

Tsipras wünscht sich, dass die Griechen Nein zu dem sagen, was er als "Demütigung" seines Landes definiert. Gleichzeitig hofft er, dass die Griechen Ja zum Euro und dem europäischen Projekt sagen. Damit, so hofft Tsipras, hat er ein weiteres kräftiges Argument gegen die Vorstellungen der Geldgeber in der Hand. Sagen die Griechen Ja zu der Sparverordnung, kann Tsipras seine Hände in Unschuld waschen. Für die Gläubiger ist eine Regierung, die massiv Stimmung gegen die Sparvorhaben macht, nicht glaubwürdig, was eine etwaige Umsetzung der Vereinbarungen betrifft.

Was machen jetzt Touristen in Griechenland? Können die bei geschlossenen Banken auch nur 60 Euro am Bankomat beheben wie die Griechen selbst?

Nein, das Tageslimit für Touristen ist so hoch wie immer. Allerdings ist fraglich, wie man als Tourist an sein Geld kommt, wenn sich lange Schlangen vor dem Bankomat bilden und diese nicht rasch nachgefüllt werden.

Ist eine Staatspleite Griechenlands unausweichlich?

Wenn sich Athen und die Geldgeber nicht einigen und Griechenland seine Schulden beim IWF oder bei der EZB nicht mehr begleichen kann, müsste das Land in den nächsten Monaten für bankrott erklärt werden. Am 3. Juli sind 1,6 Milliarden Euro an Schuldenrückzahlung an den IWF fällig.
Sollte das Geld nicht gleich einlangen, bekommt Athen trotzdem noch etwas Zeit. Im Juli sind dann Zahlungen an die EZB fällig, da wird es für Athen im Fall einer Nichtbegleichung der Schulden schon schwieriger. In der Europäischen Union wird fieberhaft an einer Überbrückungshilfe gearbeitet (Plan B), damit das Land zumindest die nächsten Tage übersteht.

Wie konnte es so weit kommen?

In Europa haben die meisten Politiker und Beobachter angenommen, dass die linke griechische Regierung nur pokert, um einen guten Deal zu erreichen. In der Eurogruppe gibt es immer noch Finanzminister, die zumindest in öffentlichen Stellungnahmen die Hoffnung nicht aufgeben wollen. Der Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis, der von der linken Syriza in das Amt des Finanzministers gehievt wurde, hat von Anfang an gesagt, dass er neue Kredite für Griechenland nicht will. Er hat sein Land mit einem Junkie verglichen, der verwahrlost auf der Straße sitzt und sich von Zeit zu Zeit eine Finanzspritze in die Adern jagt. Deshalb verordnen er und die Athener Regierung jetzt den Griechen den "kalten Entzug". Das wurde von vielen seiner europäischen Partnern immer als professorales Gerede abgetan. Doch jetzt sieht es so aus, als wäre es den Griechen ernster als gedacht. Die Geldgeber haben sich nach ihren Begriffen weit auf die griechische Regierung zubewegt - gänzlich über ihren Schatten springen konnten sie nicht. Das hätte bedeutet, den Griechen einen Schuldenschnitt zu gewähren in Investitionen zu ermöglichen, damit das Land wieder auf die Beine kommt. Varoufakis hätte hier vor allem Deutschland in die Pflicht genommen und einen "Marschall-Plan" unter der Regie Berlins vorgeschlagen.

Der politische Wille, das zu verhindern, ist auf beiden Seiten angeblich da. Die Frage ist, was passiert, wenn den Griechen das Geld ausgeht. Die griechische Nationalbank kann keine Euros drucken, das heißt, man müsste eine Parallelwährung einführen. Das könnten auch Schuldscheine sein, mit denen Beamte bezahlt werden.

Hat es derartige Exits je in der Geschichte schon gegeben?

Der Euro ist ein historisch einmaliges Projekt. Dass souveräne Staaten ihre Währungen aufgeben und aus freien Stücken einer Gemeinschaftswährung beitreten, hat so in der neueren Geschichte noch nicht gegeben. Daraus folgt, dass auch der mögliche Austritt einer Nation aus einer derartigen Währungsunion noch nie zur Debatte stand. Staatspleiten hat es zwar schon viele gegeben, der Fall Griechenland ist einzigartig, ein historisches Vorbild fehlt ganz und gar.

Ist eine Volksbefragung in so kurzer Zeit, wie es Tsipras plant, überhaupt vorstellbar?

Eine Volksbefragung innerhalb von nur einer Woche wäre jedenfalls in Österreich undenkbar. Der Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, meint, dass das in der gewohnten Qualität nicht durchführbar wäre. Alleine für die Organisation seien 53 Tage Vorlaufzeit nötig.

Was wären langfristig die Folgen eines "Grexit" für Europa?

Da gehen die Meinungen auseinander. Der renommierte Ökonom Hans-Werner Sinn etwa meint, dass ein "Grexit", die damit verbundene Abwertung der Drachme, langfristig gut vor allem für die griechische Exportwirtschaft wäre. EU-Politiker wie Jean-Claude Juncker oder die deutsche Kanzlerin Angela Merkel denken da anders. Für sie hätte ein Austritt der Griechen vor allem eine katastrophale Symbolik. Das Image des Euro-Projektes wäre nachhaltig angeknackst, sagen sie, Europa-Gegner und Spekulanten könnten das ausnützen und dem Einigungsprozess schweren Schaden zufügen. Ein "Grexit" wird von dieser Seite hartnäckig als "keine Option" bezeichnet.

Ist ein Austritt aus der Eurozone mit dem EU-Recht vereinbar?

Nur schwer. Solange ein Land Mitglied der Europäischen Union ist, ist es dazu verpflichtet, den Euro als Währung zu haben oder in Zukunft einzuführen. Ausnahmen gibt es nur für Großbritannien und Dänemark. Ansonsten heißt es im Vertrag von Lissabon: Die Gemeinschaft "errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist". Griechenland müsste also aus der EU selbst austreten, wenn es die Eurozone verlassen möchte. Ein solches freiwilliges Ausscheiden ist möglich, einen erzwungenen Ausschluss hingegen sehen die Verträge nicht vor. Griechenland könnte danach sofort wieder einen Antrag auf einen erneuten EU-Beitritt stellen. Es ist jedoch unklar, ob ein Land EU-Mitglied bleiben kann, das nicht die Gemeinschaftswährung halten kann.

Sind die Kapitalverkehrskontrollen nicht schon ein Schritt in Richtung "Grexit"?

Nicht unbedingt. Experten verweisen auf das Beispiel Zyperns. Die Regierung in Nikosia hat solche Beschränkungen während der Bankenkrise auf der Mittelmeer-Insel im Jahr 2013 vorübergehend eingeführt, ohne den Währungsraum zu verlassen. Die Kontrollen sollen einen Ansturm auf die Geldhäuser und damit einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern. In Zypern wurden die Kreditinstitute für zwei Wochen geschlossen, danach konnten Privatpersonen höchstens 300 Euro täglich abheben. Für Geschäftstransaktionen, die 5000 Euro überstiegen, war eine Genehmigung der Zentralbank erforderlich. Reisende durften nicht mehr als 1000 Euro ausführen. Die Hürden wurden später schrittweise gesenkt und sind mittlerweile vollständig aufgehoben. Die Entscheidungen dazu trifft die jeweilige Regierung.

Wie ist es zum Eklat in den Verhandlungen mit Griechenland gekommen?

Für die Regierung in Athen waren die Reformvorschläge der internationalen Kreditgeber inakzeptabel. Aus Sicht der EU-Kommission, aber auch der restlichen Mitglieder der Eurozone, hat Griechenland die Gespräche einseitig beendet. Denn während noch die Vertreter von Kommission, EZB und IWF mit griechischen Unterhändlern in Brüssel zusammensaßen, kündigte der griechische Premier Alexis Tsipras ein Referendum an. Die Gespräche waren damit beendet. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich "politisch und persönlich" enttäuscht. Die Institutionen seien den Griechen weit entgegen gekommen, doch die Athener Regierung hätte "die Tür zugeschlagen".

Welche Vorschläge haben die Institutionen den Griechen genau vorgelegt?

Die Budgetauflagen für Griechenland sind im Vergleich zur ursprünglichen Forderung gesenkt worden. Der Staatshaushalt - ohne Zinskosten - soll heuer einen Überschuss von einem Prozent aufweisen, und im kommenden Jahr sollen es zwei Prozent sein. Eine Reform der Mehrwertsteuer wird weiterhin verlangt, doch waren die Gläubiger zu Zugeständnissen gegenüber der Regierung in Athen bereit: So sollen zugunsten der Tourismusbranche Hotels nicht unter den Höchstsatz von 23 Prozent fallen, sondern mit 13 Prozent besteuert werden. Eine Abgabe von nur sechs Prozent soll es auf pharmazeutische Produkte, Bücher und Theater geben.

Auch andere Steuererhöhungen sind vorgesehen. So soll die Unternehmenssteuer von 26 auf 28 Prozent angehoben werden, und die Luxussteuer soll auf 13 Prozent steigen. Diese würde etwa auch für Privatjachten gelten, die länger als zehn Meter sind.

Pensionskürzungen sind in den Vorschlägen gar nicht enthalten - zumindest aus Sicht der EU-Kommission. Das Thema Pensionen ist für die griechische Syriza-Regierung besonders heikel. Es pochen die internationalen Kreditgeber auf den Abbau einiger Sonderregelungen. So sollen Extrazahlungen für Pensionisten mit niedrigen Einkommen bis 2019 auslaufen und die Pensionsbeiträge erhöht werden. Das Pensionsantrittsalter soll bis 2022 bis auf wenige Ausnahmen auf 67 Jahre angehoben werden.