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Grippe + fade Krimis = Molekülstrukturen und der Nobelpreis für Chemie

Von Thomas Borchert

Wissen

Eine Grippe mit Krimi-Lektüre bis zum Überdruss gab den Ausschlag für den Nobelpreis an Linus Pauling. Das jedenfalls berichtet der US-Chemiepreisträger von 1954, der neun Jahre später für sein Engagement gegen Atomwaffen auch noch den Friedensnobelpreis erhielt. In der Stockholmer Jubiläumsausstellung zum 100. "Geburtstag" des berühmtesten und begehrtesten Preises der Welt erfahren die Besucher per Film, wie Pauling (1901-1994) selbst die Vorgeschichte seines ersten Preises sah: "Ich lag in Oxford mit Fieber flach und hab Krimis gelesen." Da ihn dies langweilte, habe er angefangen, über Molekülstrukturen nachzudenken.


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Wer die Ausstellung im Stockholmer "Börsenhaus" auf der Suche nach Tipps für eigene Anstrengungen in Richtung Nobelpreis durchforstet, könnte "Langeweile" als förderndes Umfeld für Kreativität notieren. "Menschen, Umgebungen und Kreativität" heißt auch die Ausstellung. Bei weitem nicht alle der 730 seit 1901 mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Männer und Frauen werden hier präsentiert. Dafür zeigt das Nobelmuseum an Beispielen den vielfältigen Zusammenhang zwischen herausragenden Leistungen Einzelner und ihrer Umgebung.

Die Schreibmaschine des Literaturpreisträgers 1978, Isaac Bashevis Singer (1904-1991) gehört dazu, weil der in Polen geborene US-Autor sie für beseelt hielt und der Maschine deshalb "keine einzige schlechte Geschichte" zumuten wollte.

Per Film vorgestellt wird das Niels-Bohr-Institut in Kopenhagen, der Rahmen für "ewige Gespräche" weltberühmter Wissenschafter über die Grundlagen der Quantenphysik, aber auch über die schon damals als Möglichkeit diskutierten furchtbaren Folgen durch Atomwaffen.

Die Ausstellung stellt nicht unbedingt die berühmtesten Nobelpreisträger wie Albert Einstein (1879-1955, Physikpreis 1922) ausführlich vor. Vielleicht aber die originellsten, wie etwa Barbara McClintock (1902-1992) aus den USA, die 1983 den Medizinpreis für ihre Theorie über "springende Gene" zuerkannt bekam. Gegen den vereinten Widerstand ihrer Kollegenschaft erforschte sie das Erbgut von Mais, obwohl dieser im Vergleich zu anderen Versuchspflanzen nur selten geerntet wird. Gerade das habe ihr mehr Zeit zum Nachdenken verschafft, berichtet die Amerikanerin per Film, und als "Corpus Delicti" sind zwei simple Maiskolben zu besichtigen.

Geehrte und übergangene Wissenschafterinnen

McClintock taucht in der Ausstellung erneut in einem Schaukasten über alle Trägerinnen des Nobelpreises auf, wie etwa die Französin Marie Curie, die 1903 den Physik- und 1911 den Chemiepreis erhielt. Wohl kaum zufällig ist dieser Glaskasten klein ausgefallen, denn seit der ersten Vergabe 1901 hat es nur 29 preisgekrönte Frauen gegeben.

Dafür tauchen mit der Deutschen Lise Meitner und der Engländerin Jocelyn Bell gleich zwei Frauen auf, die aus Sicht vieler Experten jeweils einen Preis für Chemie bzw. Physik verdient hätten, von den Stockholmer Nobelkomitees aber zu Gunsten ihrer männlichen Kollegen Otto Hahn (1879-1968, Chemiepreis 1945) und Anthony Hewish (geb. 1924, Physik 1974) glatt übergangen wurden.

Über die Arbeitsweise der Nobel-Juroren gibt die Schau wenig Auskunft. Holzmodelle der Sitzungszimmer im Osloer Nobelinstitut, wo der Friedenspreis alljährlich vergeben wird, oder von den 18 Sitzen in der für den Literaturpreis zuständigen Schwedischen Akademie sagen über Entscheidungsprozesse, Streitereien, diskrete Werbekampagnen und immer wieder abgeschmetterte Vorschläge nichts aus.

Und das ist nach Meinung von "Nobelmachern" auch gut so. "Ohne umfassende Geheimhaltung wäre der Nobelpreis nicht, was er ist", meint Museumschef Anders Barany. Der Physiker ist als Sekretär des Nobelkomitees für Physik seit 13 Jahren selbst am Entscheidungsprozess beteiligt und zögert keine Sekunde mit der Antwort, warum die recht umfassende Geheimnistuerei über Vorschläge, Diskussionen und Entscheidungen aus seiner Sicht unerlässlich ist: "Sonst könnten Demagogen kommen und das Komitee einfach besoffen reden."