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Grips gegen Geist

Von Gerald Schmickl

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Da man das menschliche Gehirn bei seiner Tätigkeit nicht als solches zeigen kann, ist man auf dessen anschauliche Ergebnisse angewiesen. Im Fernsehen (und nicht nur dort) funktioniert das nicht immer, denn oft ist dem, was beim Bildschirm heraus kommt, die Beteiligung des hehren Organs nicht mehr anzumerken. Am Sonntagabend haben sich deutsche Sender allerdings besonders bemüht, eine möglichst direkte Linie zu den kleinen und angeblich grauen Zellen zu finden. Zuerst in der RTL-"Grips-Show" mit dem omnipräsenten Günther Jauch, wo Prominente gegen vielfach halbwüchsige Gedächtniskünstler schlecht aussehen durften. Und danach in der ersten Folge des "Philosophischen Quartetts" im ZDF, wo geistvolle Unterhaltung geboten werden sollte - und gleich alle vier Teilnehmer schlecht aussahen.

Im direkten Duell hat der Grips den Geist - zumindest was die Telegenität betrifft - um Längen geschlagen. Es ist natürlich ein ungleicher Wettkampf, denn die Leistungen von Rückwärtssprechern, Mnemotechnikern und Rechenkünstlern sind naturgemäß spektakulärer als der noch so geschliffene Gedanke, geäußert von wem auch immer, nur in diesem Fall halt leider weder von Peter Sloterdijk (der am ehesten dazu in der Lage schien) noch Rüdiger Safranski - und auch nicht von den Gästen Reinhold Messner und Friedrich Schorlemmer. Es war allenfalls eine durchschnittlich geistreiche Talk-Show, die die (Hobby-)Philosophen im (VW-)Glashaus abzogen, als sie das Phänomen Angst zu ergründen suchten. Sie schienen selbst von der Angst befangen, ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen zu können.