Zum Hauptinhalt springen

Griss um die Trendviertel

Von Anita Kattinger

Reflexionen
Im Trend: Der Naschmarkt
© Wien Tourismus

Naschmarkt, Karmelitermarkt und Yppenplatz gelten als hip und trendig. Aber wie entstehen Trendviertel? Stadtforscher und Stadtsoziologen sagen: nicht geplant und durch eine Pioniergesellschaft.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Traum von jungen Wienern in urbanen Bildern: Frühstücken vor der Haustür am Naschmarkt, gegen Sonnenuntergang Abendessen auf der eigenen Dachterrasse mit Blick über Wien. Keine Frage, in Wien gibt es mit Naschmarkt, Karmelitermarkt, Yppenplatz und Spittelberg gefragte Stadtviertel. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass in anderen Städten ein wahrer Kampf um die hippen Stadtteile ausgebrochen ist. In London, Paris, New York und Mexiko City gibt es Beispiele, wo ganze Viertel von Immobilienhaien aufgekauft und teuer verkauft werden. "Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten gibt es einen Kündigungsschutz und eine Mietpreisbindung an das Kategoriezins- und Richtwertsystem. In anderen Städten bestimmt nur das Kapital", sagt Udo Häberlin, Stadtforscher der Stadt Wien. In Wien gebe es auch andere Mechanismen wie die Stadterneuerung und Kulturinitiativen. Die Stadtverwaltung setze eben nicht nur einen Eyecatcher an eine bestimmte Stelle, sondern auf einen "Mix an Maßnahmen". Zudem sind in Wien 26 Prozent aller Wohnungen Gemeindewohnungen. Weitere 13 Prozent fallen ebenso unter sozialen Wohnbau.

Verdrängung am Spittelberg. Die Wissenschaft kennt übrigens den Begriff Trendviertel nicht, dafür aber einen ähnlichen Prozess mit verheerenden Folgen: "In der Stadtforschung verwendet man eher den Begriff Gentrification, um eine Aufwertung billiger oder baufälliger Stadtteile zu beschreiben. Oft werden die neuen Qualitäten von einer Pioniergesellschaft erzeugt", so Johannes Gielge, Stadtforscher der Stadt Wien. Diese Pioniere setzen Kulturinitiativen, gründen Lokale oder übernehmen Geschäfte. Nach einiger Zeit werde dieser Stadtteil dann entdeckt, "wodurch die Immobilienpreise steigen und die Pioniere letztlich verdrängt werden". Stadtsoziologe Christoph Reinprecht von der Uni Wien ortet einen Verdrängungswettbewerb im 7. Bezirk: "Überwiegend leben am Spittelberg heute jüngere, urbane und kaufkräftigere Schichten, die proletarische Bevölkerung gibt es nicht mehr. Aber wir haben am Spittelberg ein eigenartiges Phänomen: Die Sanierung der alten Gebäude war durch die Gemeinde hoch gefördert, wodurch die Mieten günstig sind, teilweise ist die Gemeinde selbst Eigentümerin. Obwohl es einen Austausch der Bevölkerung gab, führte es nicht dazu, dass dort heute nur die sehr Reichen wohnen." Die alten Menschen sahen in den 1970ern keinen Mehrwert, in schönen Barockhäusern zu wohnen - der einzige Grund war, dass sie sich die dunklen, feuchten, engen Wohnungen leisten konnten.

Zentral, billig, Altbau. In Wien sind bisher Trendviertel in der Nähe von Märkten und im zentralen Altbau-Gebiet entstanden. "Es ist logisch, dass sich in Wien rund um Märkte Trendviertel etabliert haben. Märkte sind eine Ressource an Lebensqualität. Sie haben nicht nur eine Versorgungsfunktion, auch wenn diese in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Märkte haben auch eine kommunikative und soziale Funktion", so Reinprecht. Eine gewisse Gruppe flaniert gerne am Samstag und trinkt ihren Morgenkaffee am Markt. Statistisch lassen sich diese Faktoren derzeit nicht beweisen. Aufwertungsprozesse würden laut Gielge von verschiedenen Standortfaktoren begünstigt, "wie von Zentrumsnähe, abwechslungsreicher historischer Bebauung oder der Nähe zu Grünräumen". Auch zur Förderung seien Maßnahmen, wie Wohnhaussanierung, Gestaltung des öffentlichen Raums, Unterstützung von Kulturinitiativen, oder Verbesserungen der Verkehrsorganisation erforderlich.

SoHo und Gürtel als Initialzündung. Laut Gielge ist der Gürtel ein Beispiel eines positiven Steuerungseffekts: "Wir beobachten, dass die Aufwertung am Gürtel, der traditionell baulich und sozial eine Trennlinie war, bereits in die Außenbezirke hinausreicht. Es ist eine Leistung der Wiener Stadterneuerungspolitik, dass weniger konzentrierte, dafür großflächige Erfolge zu sehen sind." Die Kulturinitiative SoHo in Ottakring ist hingegen von einer Pioniergesellschaft ins Leben gerufen worden und besteht nun schon seit 12 Jahren. "Wir haben das Forschungsprojekt Kunst macht Stadt gemeinsam mit der Wohnbauforschung der Stadt Wien durchgeführt. Unsere Frage war: Welche Auswirkungen haben SoHo in Ottakring und drei andere Kunstprojekte auf die Stadtstruktur? Immerhin gab es noch vor 20 Jahren im Brunnenviertel einen sehr hohen Leerstand an Wohnungen und Lokalen, es lebten viele alte Menschen dort und das Viertel hatte ein schlechtes Image", berichtet Udo Häberlin. Ein Ergebnis war: Niemand wurde verdrängt, sondern durch Dachgeschoßausbauten wurde neuer Wohnraum geschaffen.

Wo werden die nächsten Trendviertel entstehen? Leider gibt es darauf keine Antwort. Denn der Prozess lässt sich nicht steuern. Christoph Reinprecht stellt für das "Wiener Journal" drei Parameter auf: "Die Entstehung von Trendvierteln vorherzusagen, ist nicht leicht. Ich sehe drei mögliche Indikatoren für Wien: Wenn eine Gruppe sogenannter Pioniere, oft Künstler oder kreative Gewerbetreibende, ein Viertel für sich entdeckt. Oder aber wenn Sanierungen von Häusern verstärkt stattfinden: Es wäre sicher interessant, nach einer Häufung von Dachgeschoßausbauten in klassischen Arbeitervierteln zu suchen, wie etwa in Teilen des 5., 15. und 16. Bezirks. Und der dritte Indikator liegt in Zielgebieten von Stadtentwicklungsplänen."

Dass die Stadt selber keine Trendviertel gründen kann, stört Johannes Gielge nicht: "Die Stadt ist wie ein kommunizierendes Gefäß: Wenn Qualitäten an einer Stelle konzentriert werden, dann fehlen sie an einer anderen. Ebenso gilt: Wenn sozial bedürftige Gruppen aus Trendvierteln verdrängt werden, dann konzentrieren sie sich in anderen Vierteln. Die Stadt achtet darauf, solche Benachteiligungen zu vermeiden."

Info: Broschüren und Studien über die Wiener Stadtplanung, unter anderem die Großstudie "Leben in Wien"

(8300 Befragte).

www.shop-stadtentwicklung.wien.at