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Großbritannien isoliert sich am EU-Parkett

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

David Cameron darf bei künftigen Eurogipfeln nicht mehr mitreden.


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Brüssel.

Mit allen Facetten der Überredungskunst haben die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und andere in der Nacht auf Freitag versucht, Großbritannien für eine Änderung des EU-Vertrags an Bord zu holen. Doch der britische Premierminister David Cameron blieb hart - und isolierte sein Land damit auf dem EU-Parkett komplett.

Die 17 Länder der Eurozone und neun weitere Länder vereinbarten mehr oder weniger fix einen "Fiskalpakt" für eine verbindlichere Haushaltsdisziplin der Euroländer mit automatischen Sanktionen für Budgetsünder, mehr Geld für die Eurorettung und einem gestärkten dauerhaften Eurorettungsschirm ESM, der schon Mitte 2012 die Arbeit aufnehmen soll. Es gibt vorläufig keine Änderung der EU-Verträge, sondern einen neuen völkerrechtlichen Vertrag außerhalb des EU-Rechts, den aller Voraussicht nach alle Mitgliedstaaten außer den Briten bis März abschließen wollen.

Schweden, Tschechien und Ungarn wollen vorab noch ihre Parlamente konsultieren. Es handle sich "leider nur um die zweitbeste Lösung", sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. "Die Innenpolitik war wieder einmal stärker als die Europapolitik." Dem britischen Premier attestierte er einen "völlig falschen Zugang." Cameron hatte vor dem EU-Gipfel ein "Schachspiel mit 26 Gegnern" angekündigt, das Ergebnis war 26 zu eins. Er habe hoch gepokert und verloren, erklärte ein Diplomat. Als Bedingung für seine Zustimmung wollte der Brite Einstimmigkeit bei allen künftigen Entscheidungen festschreiben lassen, welche Finanzdienstleistungen betreffen. So sollte London ein Vetorecht zum Schutz seiner Finanzindustrie erhalten.

Dann hätte Großbritannien aus dem EU-Sozialprotokoll aussteigen wollen, was EU-Gesetze im Sozial- und Arbeitsrechtsbereich für die Briten dauerhaft ungültig gemacht hätte. Und drittens wollte Cameron ein britisches Veto gegen alle Binnenmarktentscheidungen einzementieren, welche im Kreis der 17 Euroländer getroffen würden. Am Ende habe er "nichts" bekommen, hieß es.

Merkel sieht "Durchbruch"

Dabei hatte es am Freitagmorgen noch nicht so schlecht für ihn ausgesehen: Neben Großbritannien hatten sich auch Schweden, Tschechien und Ungarn gegen den neuen Fiskalpakt gewehrt. Großspurig hatte der Brite den Euroländern noch "viel Glück" bei den "radikalen Veränderungen inklusive Aufgabe von Souveränität" gewünscht, damit die Eurozone endlich einmal funktioniere. Viel kleinlauter zeigte er sich am Ende alleine. Er verzichtete auf einen Presseauftritt und ließ über Reuters ausrichten, dass Großbritannien vorhabe, in der EU zu bleiben. In der Eurozone würden die Niederlande künftig die britischen Interessen wahrnehmen.

Besser ist der Gipfel für Merkel verlaufen. Es habe einen "Durchbruch zu einer Stabilitätsunion" gegeben, sagte sie. Auch wenn es sich nur um "einen Schritt auf einem längeren Weg" handle. Als wichtigen Erfolg bezeichnete ein Diplomat, dass sich sie und Sarkozy formell von ihrer Deauville-Absprache verabschiedet haben. Die damals auf deutschen Druck eingeführte Bankenbeteiligung an eventuellen Zahlungsausfällen des ESM wurde de facto zurückgenommen, um das Vertrauen der Investoren wieder zu stärken. Der Schuldenschnitt für Griechenland solle "ein Einzelfall" bleiben, heißt es jetzt in den Beschlüssen.

Auf der anderen Seite willigte Paris in die fast automatischen Sanktionen bei Verstößen gegen die Regeln des Eurostabilitätspakts ein, die damals aufgeweicht worden waren. Bei einem Treffen mit dem italienischen Premierminister Mario Monti im Jänner wollen Merkel und Sarkozy weitere Fortschritte erzielen. Dass Eurobonds in den Gipfeldokumenten nicht aufscheinen, heiße nicht, dass die Arbeit daran nicht weitergehe, erklärte der Italiener.

Ob das angestrebte Signal an die Europäische Zentralbank (EZB) ausreichend war, blieb vorerst unklar. In EZB-Kreisen wurde eine verstärkte Intervention auf den Anleihemärkten zwar zurückgewiesen. Experten und Politiker in Brüssel rechneten insgeheim aber weiterhin mit einer zumindest vorübergehenden Ausweitung des Aufkaufs von Euro-Staatsanleihen zur Eingrenzung der Refinanzierungszinsen für schwächere Euroländer.

Und getan ist die Arbeit mit dem Beschluss der 26 vom Freitag noch nicht. Denn die Konstruktion des neuen Vertrages außerhalb des EU-Rechts birgt noch einige juristische Herausforderungen. So ist noch nicht sicher, dass die EU-Institutionen und der Europäische Gerichtshof wie vereinbart auf der Basis eines Nicht-EU-Regelwerks zur Mitarbeit herangezogen werden können.

Die Briten streiten das vehement ab, der EU-Rechtsdienst der Mitgliedstaaten in Brüssel hat sich dagegen positiv geäußert. London könne dagegen klagen, habe aber keinen politischen Spielraum mehr, sagte ein hochrangiger Diplomat. EU-Juristen müssen noch eine Lösung finden, wie die verschärften Regeln mit den EU-Gesetzen zum Eurostabilitätspakt ineinandergreifen.

Enttäuscht äußerten sich Österreichs EU-Abgeordnete: Es handle sich um die "drittbeste" Lösung, kritisierte ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. "Euphorie, wie sie nach solchen Gipfeln immer aufkommt, ist nicht angebracht. Das Beste wäre natürlich ein gemeinsamer Weg aller Mitgliedstaaten, das Zweitbeste eine Allianz der Willigen nach den Funktionsmechanismen der Unionsmethode." So würden "permanent Hilfskonstruktionen gewählt", die sich nicht bewährt hätten.

Hannes Swoboda, Vizefraktionschef der Sozialdemokraten, geht noch weiter: Wenn nicht eindeutig rechtlich geklärt sei, dass der neue geplante internationale Zusatzvertrag rechtmäßig sei und nicht gegen europäische Verträge verstoße, müsse das EU-Parlament eine Klage überlegen, sagte er. Vernichtend fällt das Urteil der Grünen Delegationsleiterin Ulrike Lunacek aus: "Mit solchen Krisengipfeln kann die EU nicht gelenkt werden. Im Gegenteil: Die Geschichte der europäischen Krisengipfel ist eine Geschichte des gemeinsamen Scheiterns."
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"Cameron im Vorzimmer"

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Positiver sieht es der einflussreiche CDU-Europaparlamentarier und langjährige Merkel-Vertraute Elmar Brok. Ein Vertrag zwischen Regierungen außerhalb des EU-Rechts sei "noch nie eine schöne Lösung" gewesen. "Doch es musste jetzt ein Signal für die Finanzmärkte am Montag geben." Kein gutes Haar ließ er am britischen Premier: "Das Einzige, was Cameron erreicht hat, ist, dass er künftig nicht mehr mit am Tisch sitzt. Ich stelle mir gerade physisch vor, wie das ist, wenn die 26 beraten und er im Vorzimmer wartet", so Brok. "Ich könnte mir vorstellen, dass manche auf den Geschmack kommen und ohne Großbritannien weitermachen wollen."

Siehe auch: Occupy London... - Leitartikel von Reinhard Göweil