)
Merkmale einer neuen Zeit: SPÖ und ÖVP spielen auf Zeit beim Hofburg-Rennen. Eine Analyse.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Woran erkennt man den Beginn von Umbrüchen und Revolutionen? Wenn die vermeintlich Allmächtigen zu Zauderern und Zögerern herabsteigen.
Es ist dieses Bild, das SPÖ und ÖVP abgeben, generell, aber auch, wenn die Rede auf die im Frühjahr anstehende Wahl eines neuen Bundespräsidenten kommt. Zwar ist es nicht das erste Mal, dass die beiden Traditionsparteien Probleme bei der Kandidatenauswahl haben, zumal dann, wenn ein populärer Amtsinhaber zur Wiederwahl antrat. Aber selbst da waren sich Rot und Schwarz selbst genug, andere Parteien waren stets nur taktisches Mittel für eigene Zwecke.
Nicht dieses Mal. Nun sind es SPÖ und ÖVP, die ihre Entscheidung, wer antritt, hinauszögern. Beide schielen nicht nur auf FPÖ, Grüne und all die anderen, sie starren geradezu. Noch vor wenigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass SPÖ und ÖVP ihren nächsten Zug davon abhängig machen, wie sich FPÖ oder Grüne entscheiden. Jetzt schon.
Van der Bellen tritt an
Bei den Grünen sind die Würfel gefallen: Alexander Van der Bellen (71) dürfte fix in den Ring steigen wie aus Insiderkreisen zu erfahren ist. Sehr wahrscheinlich ist das Antreten von Irmgard Griss (69), der ehemaligen OGH-Präsidentin und vielgelobten Hypo-Aufklärerin, die sich von einer - noch vagen - Bürgerbewegung unterstützen lassen will. Diese beiden absehbaren Kandidaten verändern die Dynamik dieser Wahl.
Griss und Van der Bellen werden beide die ÖVP Stimmen kosten. Das trifft, vor allem mit Blick auf Van der Bellen, zweifellos auch auf die SPÖ zu. Und noch etwas ist beiden Regierungsparteien bewusst: Die Grundstimmung in der Bevölkerung ist gegen einen Kandidaten aus dem Herzen der rot-schwarzen Proporzkultur. Das macht eine ehemalige Höchstrichterin und einen linksbürgerlichen ehemaligen Universitätsprofessor, selbst wenn er einmal Grünen-Chef war, ja so attraktiv. Damit allein, und auch das Wissen SPÖ und ÖVP, gewinnt man aber noch keine Wahl.
Nimmt man die Berichterstattung des Boulevards zum Maßstab - und exaktere Barometer für solche Stimmungslagen gibt es nicht -, dann wird Erwin Pröll (68) der Dritte im Bunde. Zwar hat der niederösterreichische Landeshauptmann seinen Zenit mit dem Wechsel von Michael Spindelegger zu Reinhold Mitterlehner in der ÖVP-Zentrale überschritten. Aber wenn das letzte schwarze Alphatier will, wird niemand in der ÖVP dagegen aufstehen. Für den Fall, dass Pröll überraschend abwinkt, gilt EU-Mandatar Othmar Karas als Alternative.
Für die SPÖ gilt Sozialminister Rudolf Hundstorfer (64) als Favorit. Allerdings ändert das Antreten Van der Bellens die roten Kalkulationen beträchtlich: Am Ende könnte die Kanzlerpartei nur mit den letzten Stammwählern übrig bleiben, weil die Jungen und viele Frauen abwandern. Damit würde es die stärkste Partei nicht einmal in die Stichwahl schaffen. Um diesen "Worst Case" zu verhindern, liebäugeln manche mit der Nominierung der ehemaligen Staatssekretärin und Siemens-Chefin Brigitte Ederer (59).
Fehlt noch die FPÖ. Die Blauen können der Hofburg-Wahl entspannt entgegenblicken: Niemand erwartet sich einen Sieg, was Spielraum für taktische Überlegungen lässt. Norbert Hofer (44), Dritter Nationalratspräsident, wäre eigentlich der natürliche Kandidat der Freiheitlichen: umgänglich und vorzeigbar. Allerdings leidet Hofer nach wie vor an den Spätfolgen eines schweren Unfalls, weshalb seine Lust auf einen körperlich anstrengenden Wahlkampf endenwollend sein dürfte. Als mögliche Kandidaten werden deshalb auch genannt: Rechnungshofpräsident Josef Moser (60), dessen Amtsperiode am 30. Juni 2016 ausläuft, sowie Ursula Stenzel (70), ehemalige ÖVP-Politikerin, die bei der Wien-Wahl für die FPÖ antrat.
Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die FPÖ auf einen eigenen Parteikandidaten verzichtet und zur Wahl von Irmgard Griss aufruft. Die hat persönlich zwar mit der Strache-Partei nichts am Hut - Kenner beschreiben Griss als katholisch-konservativ -, in Interviews hat sie jedoch bereits erklärt, sie würde den FPÖ-Obmann als Kanzler angeloben, wenn er über ein demokratisches Mandat verfüge. Genau das hat wiederum Van der Bellen für sich ausgeschlossen.
Wichtiger als "Wer" ist "Wie"
Damit rückt endlich die eigentlich entscheidende Frage in den Vordergrund: Welche politischen Eigenschaften verlangt das Amt des Bundespräsidenten in der aktuellen politischen Lage?
Die Zeiten konfliktreicher, aber politisch simpel gestrickter Zweierkoalitionen von SPÖ und ÖVP sind demnächst womöglich endgültig Geschichte. Damit rücken die Kompetenzen des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung in den Mittelpunkt, wo er als Herr des Verfahrens fungiert. Im Falle mehrdeutiger Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat kommt so dem Staatsoberhaupt eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, eine stabile Regierung zu bilden.
Dazu muss man zwar kein ausgewiesener Verfassungsexperte wie Heinz Fischer sein, aber ein ausgeprägtes Sensorium für die politischen Möglichkeiten und Grenzen dieses Amts ist doch unerlässlich. Im potenziell prekären Dreiecksverhältnis zwischen Nationalrat, Regierung und Bundespräsident kommt der Hofburg die Rolle eines letzten Mediators und Streitschlichters zu, der - im Idealfall - als überparteiliche Identifikationsfigur der Republik für die Bürger dient. Und zwar nach innen wie außen.
Es wird interessant zu erfahren sein, welches Verständnis die Kandidaten vom höchsten Amt haben. So schnell werden wir das allerdings nicht erfahren. Aus jetziger Sicht werden sich SPÖ, ÖVP und FPÖ noch bis Jänner Bedenkzeit gewähren.