Ein Museumsverein in St. Gilgen rekonstruiert die Geschichte einer heiteren Wiener Malerkolonie am Wolfgangsee. Das Sommerfrische-Idyll endete abrupt im Jahr 1938.
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In dem drei Meter breiten Gemälde wimmelt es nur so von Trachtenträgern, Zirkusleuten und Operettenfiguren. Es wird gefeiert und gezecht, gerudert und geklettert; eine Frau blickt einem bergab rollenden Kinderwagen hinterher, und im Vordergrund beglotzt ein blauer Geißbock die Szenerie. Die Kulisse für das bunte Treiben gibt der Wolfgangsee ab. "Die besoffene Landschaft" ist der Titel des Werks, und Gertrude Schwarz-Helberger hat darin offenbar verarbeitet, was sie in den 1930er Jahren im Sommer in St. Gilgen erlebt hat.
Dort gehörte sie der Zinkenbacher Malerkolonie an. Diese lose Gruppierung vereinte vorwiegend Wiener Künstler, die sehr unterschiedlich malten und weltanschaulich weit auseinanderlagen. Das hinderte sie aber nicht daran, gut miteinander auszukommen und sich zu amüsieren. Mit dem Anschluss an Nazi-Deutschland 1938 ging das Idyll schlagartig zu Ende - die jüdischen Mitglieder suchten ihr Heil in der Flucht.
Der Museumsverein Zinkenbacher Malerkolonie hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses wenig bekannte Kapitel der österreichischen Kunstgeschichte zu rekonstruieren. Die Namen der Zinkenbacher sind kaum geläufig, obwohl einige von ihnen zu den wichtigsten Malern der Zwischenkriegszeit gezählt werden: Josef Dobrowsky oder Sergius Pauser etwa. Beide sollten nach dem Krieg an der Akademie der Bildenden Künste unterrichten.
"Nach dem Gespür"
Obwohl in den 1930er Jahren im Wiener Künstlerhaus und im Museum für Angewandte Kunst (MAK) mit Arbeiten vertreten, ist Gertrude Schwarz-Helberger, die 2014 präsentiert wird, überhaupt nur den wenigsten ein Begriff. Die Autodidaktin, finanziell unabhängig, zog sich in der Nachkriegszeit immer mehr vom offiziellen Kunstbetrieb zurück, malte nur zu ihrem eigenen Vergnügen. Schwarz-Helberger, die 1997 im Alter von 103 Jahren in Klosterneuburg starb, versuchte sich in einer Vielzahl von Stilen. Sie fertigte Monotypien und betätigte sich als Karikaturistin, schuf Bilder mit einer Überfülle von Figuren ebenso wie surreal anmutende Traumwelten. Auf dem Plakat zur Ausstellung "In Freiheit, nur nach dem Gespür" tummelt sich eine exotische Tier- und Pflanzenwelt. Manches erinnert an Naive Kunst, anderes hat kubistische Vorbilder. Eine einzige Landschaftsansicht blickt bei der diesjährigen Ausstellung von den Wänden des Museums. Typisch für die Künstlerin, die von der Wolfgangsee-Kulisse nicht besonders inspiriert wurde, aber untypisch für die Zinkenbacher. "Die meisten von ihnen waren Landschaftsmaler. Am Wolfgangsee haben sie reizvolle Motive vorgefunden, andererseits ließ es sich auch günstig leben", sagt Günther Friedrich, der Vorsitzende des Museumsvereins.
Der Anstoß kam vom Wiener Maler Ferdinand Kitt (1887-1961). Im Jahr 1927 lud er erstmals Freunde zur kreativen Sommerfrische in den bäuerlich geprägten St. Gilgener Ortsteil Zinkenbach (heute Abersee). 27 Künstler und Künstlerinnen sollten dem Ruf über die Jahre folgen. Manche regelmäßig, manche gelegentlich. Die meisten von ihnen gehörten Künstlervereinigungen wie der Wiener Secession oder dem Hagenbund an, beschickten Ausstellungen, hatten Auszeichnungen erhalten. "Ein Großteil der Künstler war bereits anerkannt und zählte zu den Hoffnungsträgern einer neuen Elite", heißt es in dem von der Kunsthistorikerin Ruth Kaltenegger zur Premierenausstellung 2001 herausgegebenen Katalog.
Trotzdem schienen sie der Gelegenheit zur künstlerischen Sommerfrische auch aus ökonomischen Erwägungen nicht abgeneigt gewesen zu sein. Im bäuerlichen Umfeld ließ es sich mit bescheidenen Mitteln länger aushalten als in der Stadt. Quartier bot der Adambauer, ein stattliches Anwesen mit vielen Zimmern und einigen Nebengebäuden. "Der hat nicht viel verlangt für die Unterkunft, der Hödlbauer auch nicht", erzählt Friedrich.
Inspiration kam auch aus der aufstrebenden Festspielstadt Salzburg. Musiker, Sänger und Schauspieler unterhielten am Fuß von Schafberg und Zwölferhorn Sommerdomizile. Der Schauspieler Emil Jannings, erster Oscar-Preisträger überhaupt, erwarb 1929 ein Haus in Strobl. Wenn sich Marlene Dietrich von Salzburg aus ins Salzkammergut begab, überschlugen sich die Zeitungen. 1932 wurde man darauf aufmerksam, dass an den Gestaden zwischen St. Gilgen und Strobl auch eine saisonale Malerszene etabliert war. Im "Neuen Wiener Journal" zog ein Redakteur einen Vergleich zur norddeutschen Malerkolonie Worpswede: "Zinkenbach (. . .) hat alle Aussicht, ein österreichisches Worpswede zu werden. Eine Reihe moderner Wiener Maler hat den Ort entdeckt. . . an jedem Eck sitzt derzeit mit Pinsel oder Stift ein männlicher oder weiblicher Maler. "
Ansätze zu einem gemeinsamen Programm, wie es die Worpsweder anfangs angestrebt hatten, gab es jedoch nicht. Expressionistische Züge erkennt man bei den einen, andere fühlten sich der "Neuen Sachlichkeit" verpflichtet oder nur sich selbst wie Schwarz-Helberger. "Künstlerisch ist diese Gruppe als gemäßigt modern einzustufen, ohne einen wirklichen Avantgardekünstler in ihren Reihen zu haben. Sie steht damit exemplarisch für ein gesamtösterreichisches Phänomen, die Österreichische Zwischenkriegsmoderne", resümierte die Kunsthistorikerin Ursula Starzmann in einem Beitrag zur Ausstellung 2012.
Ebenso wie von der Liebe zur Kunst war der Kreis auch von freundschaftlichen Beziehungen und Geselligkeit getragen. Ausflüge, Tennispartien und Gartenfeste standen auf dem Programm. Die Anwesenden nahmen sich in einem "Blödelalbum" karikaturistisch selbst auf die Schaufel. Auch Schwarz-Helbergers "besoffene Landschaft" dürfte die feuchtfröhliche Stimmung gut widergespiegelt haben.
Trügerische Eintracht
Die weltanschaulichen Gräben der Ära schienen ausgeblendet gewesen zu sein. Monarchisten und Liberale, "völkisch" inspirierte und "unpolitische" Künstler residierten einträchtig Zimmer an Zimmer. Zum erweiterten Kreis zählten auch Personen wie der Salzburger Kunsthistoriker Kajetan Mühlmann, der wenige Jahre später zu einer Schlüsselfigur der NS-Kunstraubzüge in den besetzten Ländern mutieren sollte, sowie der Schriftsteller und revolutionäre Sozialist Ernst Toller, der in der Münchner Räterepublik eine führende Rolle gespielt hatte.
Der "Anschluss" 1938 sprengte den Zinkenbacher Kreis. Die Künstler jüdischer Abstammung flüchteten meist nach England oder nach Amerika, hoffnungsvolle Karrieren wie etwa jene von Lisel Salzer wurden jäh gestoppt. 1928 hatte die auf Porträts spezialisierte Malerin als eine der ersten Frauen in der Secession ausgestellt. Zu den Zinkenbachern stieß sie in den 1930er Jahren. "Herausgerissen aus ihrem künstlerischen Umfeld (. . .) fand sie keinen entsprechenden Anschluss in Amerika", schreibt Ruth Kaltenegger.
Doch nicht nur jüdische Künstler wurden drangsaliert. Ludwig Heinrich Jungnickel, dessen expressive Tierbilder als "entartet" eingestuft wurden, sah sich zur Auswanderung nach Jugoslawien gezwungen. Innere Emigration oder Karriere waren die Optionen für jene, die blieben. Groß heraus kommen sollte keiner der Zinkenbacher, auch nach dem Krieg nicht.
Eine Wiederbelebung der Tradition blieb aus. Erst in den 1980er Jahren lieferte eine Ausstellung der Salzburger Galerie Altnöder den Anstoß, sich näher mit dieser "verlorenen Generation" zu beschäftigen. Ein wesentliches Anliegen des 1996 auf Initiative von Christina Steinmetzer gegründeten Museumsvereins Zinkenbacher Malerkolonie ist es, die Schicksale der vertriebenen Künstler zurück zu verfolgen und ihnen über die Plattform sommerlicher Ausstellungen auch Anerkennung zukommen zu lassen.
Oft gestaltete sich die Recherche mühsam. 2002 stieß man über eine Internet-Recherche auf die Spur der in Seattle lebenden Lisel Salzer. 95-jährig und beinahe erblindet, erfuhr sie von der Initiative, die Zinkenbacher dem Vergessen zu entreißen und beschloss, dem jungen Museum ihre Werke zu schenken, die sie 63 Jahre zuvor ins Exil mitgenommen hatte. Zwei Dutzend Ölbilder sowie 300 Blatt Zeichnungen und Aquarelle schickte sie "nach Hause", wie sie sagte. "Lisel Salzer hat uns eigentlich erst zum Museum gemacht", erklärt Friedrich.
Fragen und Zufälle
Manche Aktenordner über frühere Zinkenbacher sind noch recht dünn, wie etwa jener von Leo Delitz (1882-1966), der im Jahr 1937 den Österreichischen Staatspreis verliehen bekam. Er emigrierte nach England, änderte seinen Namen in Deliss und etablierte sich in seiner neuen Heimat als Porträtist des Adels und des gehobenen Bürgertums.
Dass die Rekonstruktion des schillernden Künstler-Biotops am Wolfgangsee auch von Zufällen lebt, zeigt etwa die vorjährige Ausstellung "Bilder aus dem Koffer". "Eines Tages meldete sich beim Museumsverein eine ältere Dame aus Wales. Sie hätte viele Bilder von den Zinkenbacher Malern. Es stellte sich heraus, dass ihr Vater der Kunsthistoriker Fritz Grossmann war, der mit einigen Künstlern der Malerkolonie in regem Kontakt stand. Bei seiner Flucht nach England nahm er viele Werke mit. Und dadurch haben wir eine Reihe von Bildern für die Ausstellung 2013 erhalten", erzählt Günther Friedrich.
Sommer für Sommer öffnet sich in der ehemaligen Volksschule von St. Gilgen ein Fenster zur Kunst der Zwischenkriegszeit. Nur zwei Räume umfasst der Ausstellungsbereich, doch für Entdeckungen reicht das allemal.
Stefan Spath, geboren 1964, lebt als freiberuflicher Journalist in Wien. Schwerpunkte: Reisereportagen, Porträts, Geschichte.
Museum Zinkenbacher Malerkolonie, Kulturhaus St. Gilgen Aberseestraße 11, 5340 St. Gilgen. Die Ausstellung "In Freiheit, nur nach dem Gespür - Die Welt der Gertrude Schwarz-Helberger" ist bis 5. Oktober 2014 zu besichtigen, jeweils Di-So, 15-19 Uhr.Vom 17. 9. 2014 bis 18. 1. 2015 präsentiert das Obere Belvedere das Schaffen des "Zinkenbachers" Josef Dobrowsky (1889-1964), der zu den wichtigsten heimischen Künstlern der Zwischenkriegszeit zählt .www.malerkolonie.at.