Brüssel - Seit dem "Gipfel der Gleichgesinnten" vom vergangenen Dienstag, bei dem sieben kleinere EU-Staaten gegen deutsch-französische Reformpläne auftraten, beschäftigt die Europäische Union wieder verstärkt die Sorge, wie die Zukunft der Institutionen in einem erweiterten Europa aussehen kann: Werden die großen Staaten die kleinen dominieren?
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Für diese Reformdiskussion ist der EU-Konvent zuständig. Dessen Vizepräsident, Jean-Luc Dehaene schätzt die Spannungen zwischen kleinen und großen Staaten als "künstlich" ein. Der belgische Ex-Regierungschef sieht im Streit um die künftige Zusammensetzung der EU-Kommission und die mögliche Abschaffung der rotierenden Präsidentschaft die Konzentration auf die falschen Fragen. Wichtiger wäre es, über die Einführung von Mehrheitsentscheidungen zu diskutieren - wie dies zum Beispiel bei Asylfragen im Konvent gerade geschieht (siehe Artikel unten).
Auf diese falsch gestellten Fragen ließ sich Dehaene aber schließlich selbst ein: Er distanzierte sich deutlich von der Forderung der Kleinen, auch in der erweiterten Union ihre Vertreter in der Kommission zu behalten. "Wenn alle Staaten in ihr vertreten sind, wird sie stärker einem Parlament als einer Regierung ähneln", und damit würde das Ziel einer stärkeren Kommission verfehlt, so der Belgier.
Die von Deutschland vorgeschlagene "Doppelspitze" - sie sieht neben dem Kommissionspräsidenten einen gewählten EU-Präsidenten an der Spitze des Rates vor - stößt bei Dehaene aber nicht auf Gegenliebe. Dies sei "nicht das beste Modell". Auch die kleineren Staaten seien den Aufgaben der Präsidentschaft gewachsen. Mit detaillierten mehrjährigen Arbeitsprogrammen und einer stärkeren Einbindung der EU-Kommission ließe sich mehr Kontinuität erzielen.
Gleichfalls gegen die Wahl eines EU-Präsidenten sprach sich der luxemburgische Konvent-Vertreter Jacques Santer aus. Der Ex-Ministerpräsident seines Landes und ehemalige EU-Kommissionspräsident unterstrich, dies würde "einer Schwächung und Diskreditierung der europäischen Kommission" gleichkommen. Diese habe sich aber bisher als "Schild gegen das Eingreifen der Großen" bewährt.
Auch Santer betonte die Bedeutung der kleinen Staaten beim EU-Vorsitz. Kleinere Staaten hätten im Zuge ihrer Präsidentschaft größere Erfolge erzielt als große, weil die größeren Mitglieder oft eigene Interessen verfolgen. Als Beispiel nannte Santer, dass der Vertrag von Nizza, dessen Mangelhaftigkeit die Union zur Einsetzung des Konvents bewogen hätte, unter französischem Vorsitz ausgearbeitet wurde.
Die Diskussion um die Reformen der Institutionen und den "Doppelkopf"-Vorschlag sieht Santer sehr wohl als Ausdruck von Ängsten, aber nicht von denen der "Kleinen": "Früher waren die kleinen Staaten ängstlich gegenüber Europa eingestellt. Heute ist es umgekehrt. Die Großen fürchten sich, von den Kleinen überrumpelt zu werden", meint er. In der künftigen erweiterten Union werden einander nämlich sechs große Staaten (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Polen) neunzehn mittleren und kleineren Staaten gegenüber stehen.
Diese wollen sich ihre wachsende Bedeutung von den Großen nicht streitig machen lassen. "Die Vertretung der kleinen und mittleren Staaten in allen EU-Institutionen" müsse auch für Zukunft garantiert sein, meint der steirische Europaparlamentarier Reinhard Rack als Mitglied des EVP-Konventsteams. Es dürfe "kein unproportionales Übergewicht einiger weniger großer Staaten geben. Europa basiert auf einer anderen Konzeption als der alleinigen Betonung von 'Size matters'." Heftige Diskussionen im Konvent seien vorprogrammiert. Neben den instituionellen Fragen seien nämlich die diskutierten Probleme der finanziellen Regelung oder der Inneren Sicherheit nur "Detailthemen". (red)