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Große Idee, kleine Geister

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Die Europäische Union versucht wieder einmal, sich selbst zu definieren. Der bisher letzte Versuch, festgezurrt im Lissabon-Vertrag, hat ziemlich lange gedauert - und das Ergebnis war der kleinste gemeinsame Nenner. Schon erstaunlich, dass ein so mächtiges und großes Gebilde wie die Europäische Union es nicht schafft, ausreichend Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das liegt zu einem guten Teil daran, dass es bisher keine europäischen Wahlen und Referenden gibt. Wenn ein kleines Land mehrheitlich dagegen ist, findet es nicht statt. Das ist erstaunlich. Falls in Österreich eine Abstimmung über ein Verfassungsthema stattfindet und das Burgenland ist mit knapper Mehrheit dagegen, gilt sie trotzdem, wenn es eine österreichweite Zustimmung dafür gibt. Das findet jeder normal.

In Europa dagegen nicht. 378 Millionen Wahlberechtigte gibt es in den 27 Ländern, doch niemand hat sich bisher getraut, sie als Einheit zu betrachten.

Zwar garantiert das Schengen-Abkommen Reisefreiheit, aber ein Schengen-Abkommen für Wahlen gibt es nicht. Die sogenannte Bürgerinitiative, die bei einer Million Unterschriften für ein Thema dessen Behandlung in den EU-Gremien notwendig macht, durchbricht das nationale Schema erstmals. Wenigstens diskutiert werden derzeit gemeinsame Spitzenkandidaten der europäischen Parteien oder die Direktwahl hoher Funktionsträger. Es bleibt trotzdem die berechtigte Sorge, dass am Ende alles so organisiert wird, um den nationalen Regierungen weiterhin das Sagen in der EU zu ermöglichen. Machtpolitik vor Sachpolitik sozusagen.

In diesem Zusammenhang ist ein Satz des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck hervorzuheben. Er hat sich nicht gegen Bürgerbeteiligung ausgesprochen, aber auch die repräsentative Demokratie verteidigt: Was sollten denn Bürger selbst tun, um ihren jeweiligen Abgeordneten über ihre Ansichten und Wünsche zu informieren? Eine gute Frage, denn er holt die Eigenverantwortung der Bürger hervor, ohne die rechtsstaatlichen Pfeiler in Frage zu stellen.

Wer also über die EU schimpft, sollte sich erkundigen, wann einer der EU-Abgeordneten (egal welcher Partei) in seiner Nähe zur Verfügung steht oder wie sie sonst zu erreichen sind. Hingehen und mitmachen, trotz mancher Korruptionsgeschichten und Blödheiten. Um das geht’s auch bei der Zukunft Europas.