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Fiktive Grabrede auf ein 126 Jahre altes Indexkonzept, das die Welt idealisiert und strukturiert abbildet.
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Liebe Anlegerinnen, liebe Anleger!
Hat uns der kapitalisierungsgewichtete Index getreu seiner lateinischen Sprachwurzel verraten? Über Jahrzehnte hinweg haben wir darauf vertraut, dass sein vereinfachtes Bild der Kapitalmärkte eine sichere Grundlage für Annahmen über die Entwicklung von Aktien sei. Das Rezept war simpel: Man nehme ein paar ausgewählte Firmen, gewichte sie nach ihrem Aktienvolumen und verschnüre sie zu einem Paket, um eine Risikostreuung zu erzielen, die eine Aktie allein nicht bieten kann.
Angefangen hat alles 1884, als der Wall-Street-Journalist Charles Henry Dow die täglichen Schlusskurse der Aktien von neun Bahngesellschaften und zwei Industrieunternehmen zusammengefasst hat, um so ein repräsentatives Bild der US-Wirtschaft zu erhalten. Sein Konzept ist aufgegangen und mittlerweile ist der Indizes Anzahl weltweit Legion.
Unumstritten waren sie jedoch noch nie und erst vergangene Woche hat die selbst bereits über 100 Jahre alte französische Wirtschaftsuni École De Hautes Études Commerciales du Nord (EDHEC) eine Untersuchung veröffentlicht, die zu dem Schluss kommt, dass kapitalisierungsgewichtete Indizes "aus theoretischer Sicht keinen besonderen Vorteil aufweisen".
Diese Art der Indizes wird von Anlegern gerne als Annäherung an das ideale Portfolio, das dem "Preismodell für Kapitalgüter" oder CAPM (Capital Asset Pricing Model) zugrundeliegt, genutzt. Ausgehend von der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarktes in dem Preise rein durch Angebot und Nachfrage dominiert werden, und in dem alle Anleger ähnliche Präferenzen haben, wurde in den 60er-Jahren dieses Modell zur Bestimmung des Preises eines Wertpapiers formuliert.
Nach CAPM, das auf die Portfoliotheorie von Harry Markowitz (unter anderem Risikostreuung durch Diversifikation) aufbaut, bietet ein Portfolio aus risikoreichen Wertpapieren nach deren Kapitalisierung gewichtet das beste Risiko-Ertrags-Verhältnis - aber nur wenn alle zugrundeliegenden Annahmen eintreten.
Und genau das ist laut EDHEC unwahrscheinlich, und immer mehr verzerren Regulierungen und unterschiedliche Präferenzen von Marktteilnehmern - man vergleiche nur große institutionelle Investoren wie Pensionsfonds mit dem durchschnittlichen Kleinanleger - die Preisbildung an den Kapitalmärkten.
Die EDHEC-Untersuchung stellt außerdem fest, das kapitalisierungsgewichtete Indizes auch deshalb nicht dem Idealportfolio nahekommen, weil sie, egal wie groß sie sind, eine viel zu enge Auswahl an Titeln aufweisen.
Bestimmte Teile des Marktes werden ganz ausgeklammert: Dazu gehören nicht an der Börse gehandelte Werte wie Immobilien und vor allem nicht handelbare Größen wie das Humankapital.
Als alternative zu kapitalisierungsgewichteten Indizes versuchen sich schon seit längerem sogenannte fundamentale Indizes zu etablieren. Diese greifen, wie der Name verrät, auf Fundamentaldaten von Unternehmen zurück und gewichten die Einzeltitel im Index nach diesen Größen.
Der Vorteil ist, dass sie mehr kleinere Werte beinhalten, die oft ein größeres, aber auch volatileres Wachstumspotenzial aufweisen als alteingesessene große Werte - in der Berechnung und Replizierung sind sie jedoch aufwendiger.
Und wie auch beim kapitalisierungsgewichteten Index besteht die Gefahr der "Blasen-Bildung", die immer besteht, wenn zu viele Anleger demselben Trend folgen.
Es wäre also übertrieben, Shakespeare zu bemühen - "Begraben will ich den kapitalisierungsgewichteten Index, nicht ihn preisen" -, aber gerade die jüngsten Kapitalmarktturbulenzen haben klar gezeigt, dass jegliche Theorie grau ist und deshalb nur als Anhaltspunkt dienen kann.
Barbara Ottawa ist freie Journalistin und berichtet vorwiegend über Investitionen und Pensionskassen.