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Minderheitsregierungen im Norden und Osten Europas. | Probleme mit Protestparteien. | Berlin. Ob große Koalition, Minderheitsregierung oder eine Allianz der ungeliebten Partner - in Europa ist alles bereits durchgespielt worden.
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Gerhard Schröder hat seine Genossen immer wieder auf Schweden verwiesen. Dort wurde die schmerzhafte Reform des Wohlfahrtsstaates von Sozialdemokraten durchgeführt. Einmal wurde Ministerpräsident Göran Persson sogar zu einer Kabinettssitzung der rot-grünen Koalition eingeladen, um über die schwedischen Erfahrungen zu sprechen.
Auch jetzt könnte Persson seinem Noch-Amtskollegen ein paar Tips geben. Denn Persson regiert seit neun Jahren ohne Mehrheit im Reichstag. Die Ex-Kommunisten und die Grünen tolerieren ihn.
Dänemark und Polen
Gerade im Norden und Osten Europas sind Minderheitsregierungen häufig. In Norwegen wurde vor einer Woche erstmals seit langem wieder eine stabile Mehrheit an die Macht gewählt: Sozialdemokraten, Linkspartei, Grüne. In Dänemark regieren die Liberalen und die Konservativen seit 2001 mit einer Minderheitsregierung und haben das Land dennoch kräftig nach rechts rücken können, gerade in der inneren Sicherheit und der Ausländerpolitik.
Sie stützen sich auf die rechtspopulistische Volkspartei - die inzwischen mit den Sozialdemokraten liebäugelt.
Polen dagegen, der zweitgrösste Nachbar Deutschlands, zeigt die Gefahren einer Minderheitsregierung. Dort regieren die aus den Kommunisten hervorgegangenen Sozialdemokraten seit dem Abschied der Bauernpartei aus der Regierung allein. Sie zahlen daher allein den Preis für ihre durch den EU-Beitritt erzwungenen Reformen.
Ihre Partei ist zerbrochen. Ihr Neustart hat kaum Chancen, nach den Wahlen in wenigen Wochen an der Macht zu bleiben. Ex-Kommunist Aleksander Kwasniewski muss sein Präsidentenamt an einen bürgerlichen Nachfolger abtreten.
Probleme, statt Hilfe
Die Einbindung von Protestparteien in die Regierung dagegen gelingt nur selten. Silvio Berlusconi kann davon ein Lied singen. Sein Partner Lega Nord schiesst immer wieder quer.
In den Niederlanden warf der Christdemokrat Jan Peter Balkenende die rechtspopulistische Liste Pim Fortuyn nach nur wenigen Monaten wieder aus der Regierung.
Und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel leidet an den Irrungen und Wirrungen der Haider-Partei.
Grosse Koalitionen sind selten. In Österreich holten die Sozialdemokraten die Volkspartei Schüssel als Juniorpartner ins Boot, um Haider auszugrenzen. Das ging nur solange gut, bis Schüssel selber Chef werden wollte.
In Belgien gingen die Liberalen 1999 eine Koalition mit den Sozialisten ein, um die von Skandalen diskreditierten Christdemokraten von der Macht zu verdrängen. Inzwischen sinkt der liberale Stern wieder. In Flandern müssen alle drei zusammen regieren, um die rechtspopulistische Vlaams Belang, einst Vlaams Blok, aussenvor zu halten. Die einzige grosse Koalition, die in Europa Bestand hat, ist diejenige in der Schweiz. Seit 1959 regieren Freisinnige, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Volkspartei gemeinsam. Aber die Schweiz ist wegen ihrer starken direkten Demokratie kein Modell.
Was immer jetzt in Deutschland geschieht, wird im europäischen Maßstab nichts besonderes sein. Eher waren seine bisher stabilen Verhältnisse für ein Land mit Verhältniswahlrecht eine Ausnahme. In Europa gibt es sie in grossen Ländern praktisch nur noch in Spanien.
Ein Mehrheitswahlrecht wie in Grossbritannien oder Frankreich würde stabile Verhältnisse bringen. In Deutschland ist es jedoch derzeit nicht mehrheitsfähig.