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Große Nachfrage nach "Sputnik V"-Impfung

Wissen

Russland hat die Welt mit der Zulassung einer Impfung gegen Covid-19 überrascht. Obwohl noch keine Massentestungen erfolgt sind, sichern sich einige Länder bereits Produktionsrechte.


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Rund 200 Impfstoffkandidaten gegen die Lungenkrankheit Covid-19 werden geprüft, um die Pandemie möglichst schnell in den Griff zu bekommen. Dass die Suche nach einem Vakzin nicht nur aus Menschenliebe geschieht, sondern auch geschäftliche Interessen verfolgt, verdeutlicht unter anderem die Tatsache, dass die Länder sich Kontingente auf aussichtsreiche Kandidaten sichern, noch bevor diese alle der üblichen Tests durchlaufen haben.

Jüngstes Beispiel ist das Vakzin "Sputnik V", mit dessen Zulassung Russland am Dienstag die Welt überraschte. Präsident Wladimir Putin verkündete die Details persönlich per Video-Botschaft. Allerdings wurde das Vakzin noch nicht an mehreren tausend Freiwilligen auf Nebenwirkungen getestet.

Dennoch kündigte der brasilianische Bundesstaat Paraná am Mittwoch an, ein Abkommen mit Russland zu schließen, um den Impfstoff über sein Technologie-Institut Tecpar in Curitiba zu produzieren. Es gebe darüber hinaus Interesse aus dem Ausland, an der dritten und damit entscheidenden Testphase für eine mögliche Zulassung teilzunehmen, betonte Kirill Dmitrijew, der Chef des Investmentfonds des Kreml, der die Entwicklung und Produktion der Impfung finanziert. Russland habe bereits Anfragen über eine Milliarde Dosen erhalten. Neben Brasilien hätten 20 weitere Länder, darunter die Philippinen, die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel, Interesse an "Sputnik V" bekundet.

Weder die Wirksamkeit noch die Nebenwirkungen der neuen Impfung lassen sich laut Experten derzeit fundiert beurteilen. Entsprechend kritisch fallen die Reaktionen aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO betonte, sie begrüße Fortschritte bei der Forschung und Entwicklung zu Covid-19-Impfstoffen, jedoch müsse die - derzeit erlaubte - beschleunigte Impfstoffforschung in jedem Entwicklungsschritt nach bewährten Prozessen vonstattengehen.

"Zulassung nach einer Phase-II? Das ist offenbar nur in Russland möglich. Zum Glück und richtigerweise undenkbar ohne Phase-III für unsere Breiten!", betonte die Wiener Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt. Gesundheitsminister Rudolf Anschober erklärte: "Für die EU und damit für Österreich kommt ein nicht ausreichend erprobter Impfstoff nicht in Frage." Und der Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sprach von einem "hochriskanten Experiment am Menschen", wenn ein Impfstoff wie der in Russland ohne entscheidende dritte Testphase zugelassen werde.

Russland weist die Vorbehalte zurück

Russland hat Vorbehalte aus dem Ausland gegen "Sputnik V" zurückgewiesen. "Ausländische Kollegen versuchen offenbar, irgendeine Meinung zu äußern, die nach unserer Ansicht absolut unbegründet ist", sagte Gesundheitsminister Michail Muraschko zu "Interfax".

Der Wiener Immunologe und Impfstoffexperte Rudolf Valenta betonte wiederum in der "Wiener Zeitung", dass der russische Ansatz, mit Hilfe von Adenoviren das Genmaterial des Coronavirus in die menschliche Zelle zu bringen, um eine Immunreaktion auszulösen, rein sachlich die gleiche sei wie jener der Universität Oxford, der als sicher gilt. "Die Russen schlagen allerdings eine sehr schnelle Gangart ein."

Der Name für den russischen Impfstoff "Sputnik V" soll an den ersten Satelliten im All erinnern, den die Sowjetunion 1957 vor den USA gestartet hatte. Obwohl das "V" für "Vektor" und "Vakzin" steht, ist er eine politische Botschaft. Der Impfstoff wurde vom renommierten staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie in Moskau entwickelt. Erst wenige Menschen haben ihn im Rahmen einer Studie erhalten.

Der unabhängige liberale Radiosender "Echo Moskau", berichtet, dass die Zulassung nur vorläufig sei und wieder zurückgezogen werden könne. Ob "Sputnik V" tatsächlich als erster Impfstoff auf den Markt kommen werde, bleibe abzuwarten.

"Aktuell würde ich mir den Impfstoff nicht verabreichen lassen. Ganz sicher nicht außerhalb einer klinischen Versuchsreihe", betonte Scott Gottlieb, der frühere Chef der mächtigen US-Behörde für Lebensmittel und Arzneimittel-Sicherheit (FDA), am Dienstag im US-Fernsehen.

Laut einer Liste der WHO werden sechs andere Kandidaten in einer Phase-III-Studie getestet. Nur ein gut wirksamer Impfstoff kann Experten zufolge eine deutliche Wende in der Corona-Pandemie bringen, ohne dass strenge Lockdown-Regeln nötig sind. Für westliche Kandidaten haben sich unter anderen die EU beim französischen Pharmakonzern Sanofi und die USA beim Mainzer Biopharma-Unternehmen Biontech hunderte Millionen Dosen gesichert. Beide sind noch nicht zugelassen und befinden sich in der dritten klinischen Studienphase.(est)