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Hartgesottene Opernfans seien gewarnt: Sie werden damit rechnen müssen, weichgekocht zu werden, wenn sie Claudio Monteverdis "L'incoronazione di Poppea" im Schauspielhaus besuchen. Regisseur Barrie Kosky gab seinen Darstellern eine harte Nuss zu knacken, und sie haben sie mit Bravour gesprengt. Keine gesanglich hochdressierten Opernsänger stehen auf der Bühne, sondern stimmsichere Schauspieler und Musical-Darsteller. Kosky geht es um die ewig aktuelle Story der "Poppea" über Macht, Liebe und Sex. Und da ist er durchaus nah an Monteverdi und barocken Gepflogenheiten - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag.
Die "Poppea" ist in zwei unterschiedlichen Abschriften erhalten, beide aufgezeichnet nur mit Gesangsstimme und Bass. Jede Aufführung war schon damals und muss heute umso mehr eine Bearbeitung sein, die sich nach den Gegebenheiten richtet. Hier setzt Kosky mit seiner unverwechselbaren Theatersprache an, gründlich und sehr präzise. Bei der Musikalischen Umsetzung arbeiten Kosky (selbst am Klavier) und seine drei Mitmusiker (an den Cellos) mit sparsamen Mitteln und bleiben damit nah am kargen Notenmaterial. Auch wenn sie das barocke Idiom weit in die Genres Musical und Operette erweitern.
Das Libretto von Giovanni Francesco Busenello, das jede Figur in ihrer ganzen Ambivalenz zeichnet, ohne zu moralisieren, ließ Kosky ins Deutsche übersetzen und hat es effektvoll gestrafft. Nicht nur dies verstärkt die unmittelbare Wirkung. Kosky hat mit den Darstellern sehr genau an der Umsetzung der Vorlage gearbeitet. Als Arien hat Kosky mit sicherem Griff Songs von Cole Porter eingebaut, die sich erstaunlich gut ins Konzept fügen.
Die Darsteller überzeugen in jedem Moment. Der norwegische Musical-Sänger Kyrre Kvam kreiert einen dämonischen Nero, der die attraktive Poppea (wunderbar sinnlich: Melita Jurisic) zur neuen Kaiserin macht und seine Ehefrau Ottavia (verbittert und verhärmt: Beatrice Frey) dafür ins Exil schickt. Ruth Brauer fegt als Drusilla wie ein Wirbelwind um den feigen Ottone (stimmlich prächtig: Martin Niedermair). Als Amor, dem auch Texte anderer Figuren zugeschanzt wurden, glänzt Barbara Spitz (nicht nur dank Pailletten-Kleide und Glitter-Perücke, das ihr den Look des Travestie-Stars "Devine" verleiht). Keine Gesangs-Götter erlebt man im Schauspielhaus, sondern Charaktere mit sehr menschlichen Schwächen. Musiktheater, das nah geht.