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Große Propaganda-Show in Rom

Von Kurt Bednar

Wissen

Im April 1918 fand der Kongress der "von Habsburg unterdrückten Völker" statt. Trotz demonstrativer Einigkeit keimte der nationalistische Spaltpilz weiter.


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So wurde die Monarchie in Amerika von Exiltschechen gesehen: "Austria, empire of despair, obstacle to permanent peace" ("Österreich, Reich der Verzweiflung, Hindernis für dauerhaften Frieden") betitelte Otakar Valasek (1884-1950) diese 1918 veröffentlichte Karikatur.
© Library of Congress, Washington

Am 8. Jänner 1918 verkündete US-Präsident Woodrow Wilson seine Ideen zur Neuordnung der Welt: Da keine der beiden Allianzen den Sieg herbeizuführen vermochte, musste der Einsatz Amerikas diese lange und verheerende Auseinandersetzung entscheiden. Seit April 1917 war Washington nicht mehr neutral, Deutschland der erste und wichtigste Kriegsgegner; seit Dezember 1917 befand sich auch die Donau-
monarchie mit den USA im Kriegszustand, obwohl sich seit April in ihrem Verhalten Amerika gegenüber nichts verändert hatte. Einzig und allein das italienische Desaster bei Caporetto (in der zwölften Isonzoschlacht) hatte Washington zu dieser Kriegserklärung bewogen.

Punkt neun der insgesamt 14 Punkte Wilsons verhieß Rom Grenzen analog zum Siedlungsgebiet der Nationalitäten, ohne dass sich Wilson an den Vertrag von London vom April 1915 zu halten imstande sah, der Italien unter anderem den Brenner versprach, wenn es den Pakt mit Berlin und Wien verließ und der Entente beitrat. Punkt zehn forderte Wien auf, seinen Völkern die Autonomie zu gewähren. Das traf die Monarchie nur mäßig, denn die neue Führung - Karl hatte schon im November 1916 die Nachfolge angetreten - schien Reformen gegenüber aufgeschlossen.

Italiens Verhältnis zu den Südslawen

Seit Mai 1917 tagte der schon vor Kriegsbeginn suspendierte Reichsrat wieder und legitimierte die Regierung zumindest mehr als vorher. Die meist selbst ernannten Vertreter der Nationalitäten wie Masaryk dagegen misstrauten einem baldigen Frieden, denn nur eine vollständige Niederlage Österreichs konnte ihnen ihren eigenen Kleinstaat bringen.

Der Sonderfriede vom 3. März 1918 mit dem bolschewistischen Russland ermöglichte den Mittelmächten, nunmehr alle Kräfte an die Westfront in Frankreich zu verlegen, wohin nun auch die bald schubweise nach Europa verschifften Amerikaner strömten.

Italien pochte nun taktisch weniger auf den Londoner Vertrag, an den sich Amerika ohnehin nicht gebunden fühlte, und setzte auf die Karte der nicht-deutschen Nationalitäten in der Monarchie, die am besten gleich eine neue Gemeinschaft bilden sollten. Am 9. März verfügte Rom die Bildung einer tschechischen Legion in Italien, wie sie schon anderswo, in Frankreich, Serbien und vor allem Russland, bestand. Doch die für Italien zentrale Frage war sein Verhältnis zu den Südslawen.

Schon am 7. März kamen Ante Trumbic für die Südslawen und Andrea Torre für Italien in London zu einer Übereinkunft in Form von sieben Punkten, jenseits aller offenen Fragen zu künftigen Grenzen, etwa in Is-trien und Dalmatien. Unter der aktiven Betreuung seitens der Briten Seton-Watson und Wickham Steed fanden beide Seiten zu einem wechselseitigen Verständnis: Ein komplett nationales Italien war im Interesse der Südslawen, und ein einiges Jugoslawien bildete für Italien eine Stütze.

Ebenso im gemeinsamen Interesse lag der Kampf gegen die Donaumonarchie. Die Adria sollte von allen gegenwärtigen Feinden befreit und gegen alle künftigen Gegner gemeinsam verteidigt werden. Dieses Torre-Trumbic-Abkommen sollte nun öffentlich beschworen werden, und es war ausreichend, um die dafür vorgesehene Veranstaltung in Rom - und nicht in Paris - abzuhalten.

Als am 8. April 1918 in Rom die Delegierten der Nationalitäten der Donaumonarchie zusammentrafen, um der Welt von ihrer Unterdrückung im Rahmen des Vielvölkerstaates zu erzählen und untereinander Einigkeit zu erzielen, brannte in Wien gerade das Feuer um die Sixtus-Affäre lichterloh (d.h. das Bekanntwerden der geheimen Verhandlungen, die Österreich-Ungarn vor allem mit Frankreich während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1917 geführt hatte). Die Aufdeckung durch Clemenceau schadete Österreich ungemein, zwang sie doch Karl noch mehr ins deutsche Korsett.

Auch Amerika, das dem Treiben in Europa immer misstrauischer gegenüberstand, wurde irritiert, Wilson sah seine Friedensbemühungen torpediert. Um vier Delegationen - drei slawische (Tschecho-Slowaken, Polen und "Jugo-Slawen") sowie eine aus fünf Köpfen bestehende rumänische - scharte sich die Runde von Repräsentanten der Entente (für England Seton-Watson sowie Wickham Steed) und der USA (Botschafter Nelson Page) als Beobachter ohne protokollarische Funktion, während der Vorsitz offiziell durch den Römer Senator Ruffini ausgeübt wurde. Zu den Vertretern der Tschecho-Slowaken und Jugo-Slawen - nur vier Vertreter der Polen waren erschienen - gehörten einerseits Benes und Stefanik sowie andererseits Trumbic, Stoianovic und der Bildhauer Mestrovic.

"Selbsternannte" Vertreter

Die abschließende Erklärung gab Andrea Torre namens aller Konferenzteilnehmer ab, doch bis zuletzt wurde innerhalb der italienischen Regierung um Formulierungen gerungen. Während Ministerpräsident Orlando konzilianter war, verfocht Außenminister Sonnino weiter die harte Haltung, den Römer Pakt vom April 1918 als direkte Fortsetzung des Londoner Pakts exakt drei Jahre vorher betrachtend.

Am Römer Kongress, der bis 11. April 1918 dauerte, beteiligte sich auch Nelson Gay, ein amerikanischer Journalist. Zum Bedauern der nationalistischen Teilnehmer durfte Gay nur als Beobachter auftreten, irgendeine Form der Anerkennung seitens Amerikas ließ sich weder durch seine Anwesenheit noch durch die Beobachtung seitens des US-Botschafters selbst ableiten. Gays Aufmerksamkeit galt wohl eher seiner Funktion im Exekutivkomitee des amerikanischen Hilfswerks für Italien.

US-Botschafter Nelson Page charakterisierte im Übrigen viele der Kongress-Teilnehmer als "selbsternannte" Vertreter ihrer Nationalität. Er griff damit ein heikles Thema auf, auf das auch Österreich immer wieder hinwies, nämlich die oft mangelnde Legitimität des nationalistischen Exils.

Nebst demonstrativer Einigkeit war ein Hauptanliegen der Konferenz, die konkrete Propaganda gegenüber Österreich abzustimmen. Eine Arbeitsgruppe in Padua, mit amerikanischer Beteiligung, koordinierte die Infiltration der österreichischen Fronteinheiten mit demotivierender oder nationalistischer Information, um möglichst viele zur Aufgabe sowie bereits Kriegsgefangene wie Überläufer letztlich zum Eintritt in die Entente-Armeen zu bewegen. Aber auch im Landesinneren gor der Nationalismus weiter, die Nachrichten aus Rom lösten nach mancher Ansicht am 16. Mai eine große Demonstration in Prag aus, an der alle Nationalitäten teilnahmen.

Doch auch der Spaltpilz keimte weiter, erblühte im Herbst 1918 in Amerika neu, zwischen den Slawen einerseits und zwischen Slawen und Italienern andererseits. Die Gelegenheit war die Gründung einer Democratic Mid-European Union: Unter slawischer Führung versuchten erneut Repräsentanten der Nationalitäten der (gerade fallenden) Monarchie das entstehende, gefährliche Vakuum gleich wieder aufzufüllen. Doch selbst der Vorsitzende Masaryk vermochte jetzt nicht, die Einigkeit von Rom, an der Benes beteiligt war, nach Amerika zu verfrachten. Schon in der ersten der nur Handvoll Sitzungen, zu denen es die Union brachte, brach der Streit zwischen den Südslawen und Italien erneut mit voller Wucht aus. Es ging unverändert um die Adria und die Ostküste des Nebenmeeres. Italien brauchte gut geschützte Häfen, die Sandstrände im Westen eigneten sich nicht besonders für die Verteidigung des Landes.

Aber auch die Kroaten und Serben waren untereinander uneinig, ob sie dezentral und föderal, wie die Ersteren wollten, oder doch nur als Groß-Serbien regiert werden würden, einem serbischen Anliegen folgend. Daher waren die Serben über den Römer Pakt nicht besonders glücklich, weil er im Ergebnis die Idee Jugo-Slawien vor das Konzept Groß-Serbien reihte.

Wien bereitete übrigens für Juni 1918 eine propagandistische Gegenveranstaltung vor, eine Konferenz jener Völker, die sich über Unterdrückung seitens der Engländer beklagten, also etwa der Iren. Ein einsamer Aktenvermerk im Staatsarchiv in Wien ist Zeuge für ein Ereignis, das nicht mehr stattgefunden hat. Das "irische" Argument brachte übrigens Heinrich Lammasch vor, als er im Jänner 1918 in der Schweiz auf einen vermeintlichen Gesandten von Präsident Wilson traf, George Herron.

Lammasch, später letzter Ministerpräsident des alten Österreich, bemerkte dabei, dass das Bild, das sich die USA von Österreich machten, in hohem Maß von den vielen Einwanderern aus der Monarchie bestimmt werde. Genauso, wie die Amerikaner nicht alles glaubten, was ihnen die eingewanderten Iren über das böse England erzählten, sollten sie nicht alles für bare Münze nehmen, was ihnen die Tschechen oder andere Slawen mitteilten.

Start in ungewisse Kleinstaaten-Zukunft

Militärisch hielt Wien lange stand, in der Propaganda und im diplomatischen "Papierkrieg" mit Amerika war das Habsburgerreich unterlegen. So lagerten im Bestand der später berühmten Kongressbibliothek sechs Schriften einer Southern Slav Library, deren Inhalte wenig Information, sondern reine Propaganda darbrachten. Die Titel reichten von einem "slawischen Programm" (Broschüre I) über eine Beschreibung von Land und Leuten in geschichtlicher, sozialer und kultureller Hinsicht bis zur Beschwörung einer slawischen Einheit (Bändchen VI).

Diplomatisch folgte dem Römer Kongress im Mai 1918 die Bekundung von Sympathie für die Anliegen der Slawen, die nun nicht mehr durch Autonomie allein befriedigt werden konnten, bis die Anerkennung einer tschechischen Kriegsführung (gegen Wien) seitens Frankreichs, Englands und der USA über die Sommermonate plötzlich das slawische Problem von einer innerstaatlichen Angelegenheit der Monarchie in eine völkerrechtliche Frage verwan-delte.

Als sich Wien dem zehnten Punkt Wilsons vom Jänner unterwarf, ließ Wilson mitteilen, dass dieser Schritt zu spät käme. Dem Völkermanifest Karls folgte die Unabhängigkeitserklärung Masaryks in Amerika, ein fein auf die amerikanische Seele abgestimmtes Dokument. Die Machtübergabe in Prag und die innertschechische Besprechung in Genf zwischen dem Exilanten Benes und den Prager Parteileuten um Karel Kramar - Benes fürchtete eine alternative Regierung unter diesem - bildeten zugleich Abschluss und Neubeginn, das Ende der Monarchie und den Start in eine ungewisse Zukunft von Kleinstaaten in Mitteleuropa.

Kurt Bednar, geboren 1950, Promotion in Recht 1974, in Geschichte 2012 an der Universität Wien, seither Historiker. Letzte Veröffentlichung: "Papierkrieg. Die Auseinandersetzung zwischen Washington und Wien 1917/18" (Studienverlag Innsbruck).