Hannes-Androsch-Preis für Forschungsarbeit zu Pensionssystem und demografischem Wandel. | Kontinuierliche statt starre Änderungen. |
§§"Wiener Zeitung": Beim Umlageverfahren zahlt die junge Generation Beiträge, die unmittelbar zur Abdeckung der Pensionsleistungen für die Älteren verwendet werden. Dem gegenüber stehen sinkende Geburtenzahlen und in Österreich ein Rekord an Frühpensionisten. Wie kann man ein Pensionssystem auf dieser Basis gestalten, das dem demografischen Wandel standhält? * | Markus Knell: Man muss trennen zwischen der aktuellen Umsetzung und der grundlegenden Logik des auf dem Umlageverfahren beruhenden Pensionssystems. Ich konzentriere mich auf die Grundkonzepte des Systems, auch weil diese Perspektive in der Diskussion zu kurz kommt.
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Wir drehen ja regelmäßig an verschiedenen Rädchen, stellen jedoch zu selten die Frage, wie das Endkonstrukt aussehen soll.
Eine der größten Herausforderungen ist die steigende Lebenserwartung - laut demografischen Studien sind es zwei bis drei Monate pro Kalenderjahr. Das ist für sich genommen ein sehr erfreulicher Prozess, auf den man aber angemessen reagieren muss. Entgegen der landläufigen Meinung ist das Umlageverfahren nämlich den demografischen Veränderungen nicht hilflos ausgeliefert, sondern man muss das stetige Älterwerden im System berücksichtigen. Dazu könnte man die Beiträge erhöhen, die Pensionen reduzieren oder das Antrittsalter hinaufsetzen. Am vernünftigsten scheint mir, das Antrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.
Das wird doch bereits gemacht - Deutschland erhöht das Antrittsalter bis 2029 schrittweise auf 67 Jahre, oder?
Ja - aber ich könnte mir überhaupt eine automatische Anhebung vorstellen jedes Mal, wenn die Lebenserwartung gestiegen ist beziehungsweise neue Sterbetafeln publiziert werden. Ähnlich wie heute wird dabei ein Pensionsantrittsalter definiert, zu dem die volle Pensionshöhe zu gewährleisten ist. Nach heutigen Maßstäben wäre das 65 Jahre. Sobald die Lebenserwartung aber um ein weiteres Jahr gestiegen ist, müsste man sagen, die volle Pension gibt es erst mit - sagen wir - 65 Jahren und drei Monaten. Damit erhöht sich das Pensionsalter zwar öfter, aber in kleinen Schritten. Geht jemand früher, bekommt er weniger - geht er später, bekommt er mehr, sofern dies das Pensionssystem gleich viel kostet. Der Vorteil einer kontinuierlichen gegenüber einer großen Reform, bei der das Antrittsalter gleich um zwei Jahre angehoben wird, ist dass dadurch nicht ein einzelner Jahrgang plötzlich zum Handkuss kommt.
Wie realistisch ist das in Anbetracht der Tatsache, dass Arbeitnehmer ab 50 gekündigt werden, weil sie zu alt oder zu teuer sind? Müsste man da nicht auch den Kündigungsschutz verschärfen?
Sicherlich braucht eine Anhebung des Antrittsalters gesellschaftliche Änderungen. Arbeitgeber müssen Anreize setzen, ältere Arbeitnehmer auch tatsächlich in Beschäftigung zu halten, etwa durch neue Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle. Gleichzeitig müsste man das Bewusstsein der Arbeitnehmer für die demografischen Veränderungen stärken und einer gewissen "Frühpensionskultur" entgegenwirken. Das mag alles nicht ganz einfach sein, aber eine Reihe von Ländern, etwa Skandinavien, zeigen uns, dass es möglich ist, einen Großteil der Bevölkerung bis 65 und länger im Erwerbsleben zu halten.
Wo wird ein solches System bereits praktiziert?
In Schweden ist eine Spielvariante Anfang der 90er in Kraft. Das Pensionskonto ist dabei fiktiv und nur dazu da, dass man weiß, wie viele Ansprüche man bereits akkumuliert hat. Man sammelt über die Beiträge ein fiktives Pensionskapital an. Ab einem gewissen Alter kann man es in eine jährliche Pensionsleistung umwandeln, wobei dann auch die Lebenserwartung einfließt. Wenn die Lebenserwartung beim Pensionsantritt bereits wieder gestiegen ist, fällt die Zahlung entsprechend geringer aus. In Österreich wurde übrigens im Zuge der Pensionsreform 2003/04 ebenfalls ein Pensionskontensystem eingeführt, das durchaus Ähnlichkeiten mit dem schwedischen aufweist. Das ist im Allgemeinen Pensionsgesetz (APG) festgelegt - ein sinnvolles System, außer dass das Lebensalter da noch nicht einfließt.
Es klingt frustrierend, denn ich bekomme aufgrund der steigenden Lebenserwartung am Ende weniger Geld, als auf dem Papier stand.
Aber immerhin weiß ich, wie viel ich angespart habe, beziehungsweise bis zum Antrittsalter angespart haben werde. Dadurch kann ich besser planen, wann ich in Pension gehen will.
Woher kann man wissen, dass ältere Menschen, die arbeiten müssen, tatsächlich noch in der Lage sind, die volle Leistung zu erbringen?
Die Erfahrung anderer Länder zeigt wie gesagt, dass das möglich sein sollte. Es wird aber sicherlich auch Änderungen im Arbeitsleben geben müssen, wo der Einsatzbereich auf die Leistungsmöglichkeiten der Beschäftigten angepasst wird. Im Übrigen stellt der Gesundheitsbereich meines Erachtens die größere Herausforderung dar. Hier ist es schwieriger, ein langfristig tragbares System zu finden, weil der medizinische Fortschritt permanent voranschreitet und weil man dadurch schwerwiegende Entscheidungen treffen muss: Wer bekommt welche Behandlung bis zu welchem Alter und in welchem Ausmaß? Die Antwort auf diese existentiellen Fragen muss letztlich die Gesellschaft geben. Man sollte das Pensionsthema aber nicht zuletzt deswegen schnell auf eine solide Basis stellen, damit zu den wirklich schwierigen Bereichen vorstoßen kann.
Ist das wirklich Schwierige nicht, dass immer weniger Menschen in das System einzahlen, weil es immer weniger Junge gibt?
Wenn die Geburtenrate sinkt und die arbeitende Bevölkerung kleiner wird, bleibt einem nur übrig, den Beitragssatz in dem Ausmaß anzuheben, in dem die Geburtenjahrgänge schwächer werden, oder die Pensionen zu kürzen, oder geburtenschwache Jahrgänge mit Migranten aufzufüllen. Ich schlage eine Mischung aus allen Maßnahmen vor. In Deutschland etwa werden der Beitragssatz und die Pensionshöhe geändert, wenn das Verhältnis von Pensionisten zu Beschäftigten steigt. Für den Einzelnen wird es - leider - teurer, aber bei sinkenden Geburtenraten im Kollektiv muss man irgendwo eine Anpassung vornehmen. Die steigende Lebenserwartung ist jedoch das größere Thema, denn sie ist kontinuierlich. Die Geburtenrate hingegen kann ja auch wieder ansteigen, insbesondere wenn es weitere Fortschritte bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt.
Zur Person
Markus Knell, geboren 1968, erhält heute den mit 100.000 Euro dotierten "Hannes Androsch Preis" für seine Arbeit "Das Umlageverfahren - Relikt der Vergangenheit oder Weg für die Zukunft?" Der Wirtschaftswissenschafter ist in der Forschungsabteilung der Oesterreichischen Nationalbank tätig. Morgen trägt er beim Symposion "A Global Challenge to our Social Future" in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien vor.