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Österreich war nie ein föderaler Staat - im Gegensatz zu Deutschland. Das Deutsche Reich (1871 bis 1918) wurde mit der Verfassung vom 16. April 1871 eine föderale Erbmonarchie. Dem Deutschen Reich gehörten 25 Bundesstaaten (Königreiche, Großherzogtümer, Herzogtümer, Fürstentümer, die drei republikanisch verfassten Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck und das Reichsland Elsaß-Lothringen) an.
In Österreich war die Situation auch damals völlig anders. Das Februarpatent von 1861 war eine zentralistische Verfassung, die zwar vor allem von den Ungarn als zu zentralistisch abgelehnt wurde, aber grundsätzlich für alle Teile des Reiches rechtsverbindlich war. Nach dem Ausgleich mit Ungarn baute die Dezemberverfassung 1867 für die nichtungarischen Länder der Habsburgermonarchie auf dem Februarpatent von 1861 auf. Ungarn war dann - innenpolitisch gesehen - ein eigener Staat, der durch eine Realunion mit Österreich verbunden war.
Vor dem (zentralistischen) Februarpatent gab es das sogenannte Oktoberdiplom, das einen föderalen Charakter hatte und einen Kompromiss zwischen den zentralistischen Tendenzen der deutschsprachigen Bevölkerung und den föderalistischen Bestrebungen der übrigen Nationalitäten darstellte. Schon damals war die Rolle der Landtage der einzelnen Kronländer ein Diskussionspunkt und auch die Frage, wie weit die Autonomie der Landtage gegenüber dem Reichsrat gehen sollte. Der allgemeine Widerstand gegen diese Verfassung führte dann vier Monate später zum zentralistischen Februarpatent 1861. Welche Verfassung man auch immer betrachtet, "ohne Zustimmung des Kaisers und der Regierung in der Reichshauptstadt Wien konnten die regionalen Parlamente sich auf den Kopf stellen - ihre Beschlüsse blieben wirkungslos" (so Christian Resch am 30. Dezember 2017 in den "Salzburger Nachrichten").
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Habsburgermonarchie wurde von der konstituierenden Nationalversammlung am 1. Oktober 1920 das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) beschlossen. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern war 1920 und dann wieder bei der Novelle 1925 ein wichtiger Punkt, der zu großen Auseinandersetzungen führte. Während die Sozialdemokraten für eine eher zentralistische Kompetenzverteilung eintraten, wollten die Christlichsozialen den Ländern mehr Kompetenzen geben, auch aus Sorge, dass die Länder sonst nicht mehr bei Österreich bleiben wollen und sich andere "Partner" suchen könnten. Vorarlberg wollte ja zur Schweiz, und in Salzburg und Tirol wurde 1921 noch über einen "Anschluss" an Deutschland abgestimmt (die Mehrheit war dafür). Auch die Steiermark fasste einen Beschluss für eine "Anschluss"-Abstimmung (dazu kam es dann nicht).
Es ist daher immer eine große Irreführung und Täuschung der Bevölkerung, wenn Landeshauptleute behaupten, die Republik hätten die Bundesländer gegründet. Nach dem Ersten Weltkrieg war eher das Gegenteil der Fall, weil gleich drei oder vier Länder nicht Teil von Österreich (bis zum Friedensvertrag von St. Germain: Deutschösterreich) sein wollten. Deutschösterreich wurde am 30. Oktober 1918 gegründet, erklärte sich aber noch nicht zur Republik. Die Ausrufung der Republik erfolgte am 12. November 1918. In der Zwischenzeit traten die damals bestehenden Länder Deutschösterreich bei. Es wurde also ohne Mitwirkung der Länder als Einheitsstaat gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es so, dass schon am 27. April 1945 (also vor Kriegsende am 8. Mai) die Unabhängigkeit Österreichs proklamiert und die Republik Österreich ausgerufen wurde. Karl Renner wurde Kanzler einer provisorischen Regierung, die dann nach den Wahlen am 25. November 1945 von der neuen Regierung abgelöst wurde.
Kompetenzverteilungist nicht mehr sinnvoll
Es stellt sich die Frage, ob der 1920 (beziehungsweise mit den Novellen des B-VG 1925 und 1929) gefundene Kompromiss in der Kompetenzverteilung heute noch sinnvoll ist. Ist es sinnvoll, wenn wir neun Fischereigesetze, Jagdgesetze, Jugendschutzgesetze oder Bauordnungen mit den angeschlossenen Bestimmungen über Baustoffe, Landeskrankenanstaltengesetze, Fremdenverkehrsgesetze, Raumordnungsgesetze, Landesschulräte beziehungsweise einen Stadtschulrat oder Landesbeamtengesetze mit den angeschlossenen Pensionsregelungen etc. haben?
Das ist weder politisch sinnvoll noch wirtschaftlich effizient noch haben diese Gesetze irgendetwas mit Bürgernähe zu tun. Daher: Abschaffung der Gesetzgebungskompetenz der Länder und der Landtage in der derzeitigen Form. Es gibt ja den Vorschlag einer Arbeitsgruppe, die Gesetzgebungskompetenz beim Bund zu konzentrieren und die Ausführung in der einen oder anderen Art den Ländern zu übertragen.
Damit im Zusammenhang stehen die Rolle und Bedeutung des Bundesrates. Dessen Aufgaben sind zwar in der Verfassung festgelegt, aber eine politische Bedeutung ist praktisch nicht vorhanden, da er das Inkrafttreten der vom Nationalrat beschlossenen Gesetze mit seinem Veto nur verzögern kann. In einigen Fällen hat er Bundesrat jedoch ein "absolutes" Vetorecht: Ohne seine ausdrückliche Zustimmung kann kein Gesetz zustande kommen, etwa bei der Einschränkung der Länderkompetenzen, Rechten des Bundesrates selbst oder Staatsverträgen, wenn die vertraglichen Grundlagen der EU geändert werden sollen. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Landeshauptleutekonferenz in keinen Gesetzen erwähnt oder geregelt, aber trotzdem ein Machtfaktor in der Republik ist. Der Bundesrat kann daher ersatzlos abgeschafft werden. Seine einzige - real gesehen - bedeutende Aufgabe besteht darin, dass die Parteien die Möglichkeit haben, die Kosten von Parteifunktionären durch Entsendung in den Bundesrat auf den Staat abzuwälzen.
Abhängigkeitenstatt Bürgernähe
Sehr oft wird die Bürgernähe als großer Vorteil des Föderalismus angeführt. Bei näherer Analyse stellt sich jedoch heraus, dass darunter meist nur verstanden wird, dass die Landesregierung beziehungsweise der Landeshauptmann Personalentscheidungen treffen kann, um damit Abhängigkeiten zu schaffen oder Belohnungen zu verteilen (wer wird Schuldirektor, Primar im Spital etc.).
Eine Unzahl von Vorschlägen zur Kompetenzbereinigung zwischen Bund und Ländern reicht von der Abschaffung der Doppelförderung bis zur Neuregelung der Kreditaufnahmen und Übernahmen von Haftungen durch die Länder (um beispielsweise zu verhindern, dass ein Land die finanzielle Basis der Republik erschüttern kann). Ein Beispiel zu den Förderungen: Bund und Länder bieten insgesamt 233 Arten von Familienförderungen an. Die Kinderbetreuung betrifft 2098 Gemeinden, neun Bundesländern und (bisher) vier Ministerien: Der Österreich-Konvent, der von 2003 bis 2005 tagte, ist eine Fundgrube für Vorschläge, nur leider wurde fast nichts umgesetzt.
Warum geschieht nichts? Weil die Länder nicht wollen, weil sie (berechtigterweise) Angst vor Änderungen zu ihren Lasten haben. Transparenzdatenbank, einheitliche Buchhaltung, Aufsicht des Bundes über die Länder (so wie der Länder über die Gemeinden) - das alles wurde erfolgreich verhindert, weil die Landesparteichefs intern viel Macht und Einfluss haben, auch in Personalfragen. Denn die Landesparteien (zumindest in der ÖVP) finanzieren die Bundespartei und organisieren Wahlkämpfe. Dies hat sich - Gott sei Dank - bei der ÖVP jetzt geändert, und man hat gesehen, wie erfolgreich sie bei der vergangenen Nationalratswahl war. Es war ja wirklich lächerlich, wenn Landeshauptleute für ihr Land Ministerposten forderten oder Nationalratsabgeordnete aus ihrem Bundesland förmlich als Leibeigene betrachteten.
Steuerhoheit für die Länder statt Finanzausgleich?
Einer speziellen Betrachtung bedarf der Vorschlag, in einem echten Wettbewerbsföderalismus nach Schweizer Vorbild den Ländern die Steuerhoheit zu überlassen und dafür den Finanzausgleich abzuschaffen. Die Grundüberlegung dabei: Wer das Geld ausgibt (also das Bundesland), muss es sich auch selbst beschaffen. Heute hebt der Bund (fast) alle Steuern ein (was nicht populär ist), und die Länder geben das Geld aus (was sehr populär ist). Eine Steuerhoheit der Länder würde das Problem der Ausgaben- und Einnahmendiskrepanz beseitigen - doch würde sie zu mehr Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit führen? Man könnte etwa bei Körperschaft- oder Einkommensteuer den Bundessteuersatz senken und einen Länderzuschlag einheben. Ein Bundesland könnte durch geringere Zuschläge seine Attraktivität als Wirtschaftsstandort erhöhen und damit die Wertschöpfung steigern. Doch die Realisierung dieser Steuerkonzeption könnte in Österreich zu mehr Bürokratie führen, und die Nachteile würden überwiegen. Wichtiger wäre, dass die Bundesregierung endlich den Finanzausgleich als Steuerungsinstrument für die gesamte Republik einsetzt. Bisher haben praktisch alle Finanzminister vor den Landeshauptleuten kapituliert. Die Bevölkerung würde eine Bundesstaatsreform sicher mittragen, wenn man die Verschwendung von Steuergeld durch die heutige Struktur des Föderalismus aufzeigt. Allein das Beispiel des Spitalwesens zeigt, dass eine klare Bundeskompetenz Kosten einsparen würde.
Bei aller Kritik an den Ausgaben der Länder muss man differenziert vorgehen: Es gibt Länder, die viel Geld für die Vergangenheit, den öffentlichen Konsum (Landespensionen!) und hohe Sozialleistungen ausgeben. Und es gibt Länder, die viel Geld für zukunftsbezogene Aufgaben (etwa Forschung und Entwicklung, Bildung und Ausbildung) einsetzen. Und man muss auch erwähnen, dass im Perchtoldsdorfer Paktum vom 8. Oktober 1992 die Neuordnung der bundesstaatlichen Aufgabenverteilung, die Delegierung von Gesetzgebungsbefugnissen des Bundes an die Länder, eine Stärkung der Verfassungsautonomie der Länder und andere Punkte versprochen wurden. Dazu muss man aber wissen, dass das Perchtoldsdorfer Paktum im Zuge der innerösterreichischen Debatten um den EU-Beitritt erfolgte (und eigentlich eine kleine "Erpressung" der Länder war). Es wurde auch nie umgesetzt.
Die Frage ist: Wie kann ich dieses Dauerthema aus der Diskussionsphase in die Umsetzungsphase mit konkreten Änderungen bringen? Eine große Bundesstaatsreform wird nur gelingen, wenn wir alle dies wollen, genügend Druck in der Öffentlichkeit erzeugen und die Politiker zum Handeln zwingen. Politiker handeln nicht aus Einsicht oder Erkenntnis, sondern nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass Mehrheiten oder Wählerstimmen verloren gehen. Das Regierungsprogramm "Zusammen für Österreich" für 2017 bis 2022 spricht im ersten Kapitel "Verwaltungsreform und Verfassung" viele dieser Probleme an - jetzt kommt es darauf an, welche konkreten Taten (in Form von Gesetzen) dieser Analyse folgen werden.
Gedanken zur Zukunft des Föderalismus.
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