Durch die gestiegene Lebenserwartung leben heute mehr Angehörige unterschiedlicher Generationen zur gleichen Zeit als je zuvor. 78 Prozent aller Einwohner Öster- | reichs haben Angehörige aus mindestens zwei weiteren Generationen. Ein Fünftel der österreichischen Bevölkerung lebt sogar in vier- oder mehrgenerationalen Familienverbänden. Das heißt, wir leben im "Zeitalter der Großeltern". Es gibt heute so viele Großeltern wie nie zuvor. Die Wahrscheinlichkeit, einen Großvater oder eine Großmutter zu haben, ist deutlich gestiegen, die Rolle der Großeltern hat an Bedeutung gewonnen.
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Großeltern beantworten die Frage nach der eigenen Herkunft, nach dem persönlichen Hintergrund, nach der Familiengeschichte. Sie geben ein Wissen weiter, das exklusiven Charakter hat, es ist nirgendwo sonst erhältlich. Sie wissen Geschichten über die eigenen Eltern zu erzählen, die man von diesen vermutlich nie erfahren würde. Manchmal sind sie ein Regulativ, wenn es darum geht, Forderungen der Eltern zu umgehen und eigene durchzusetzen. Kinder stellen in Zeiten der Pubertät und der Selbstfindung oft unbequeme Fragen nach dem "Warum" und "Wozu" vieler Handlungsweisen. Eltern sind dann für Jugendliche oft viel "härtere" Gesprächspartner als die Großeltern, die ja neben der Entlastung von beruflicher Tätigkeit auch ein entspannteres Verhältnis zu den an sie herangetragenen Rollenerwartungen haben. Großeltern haben Zeit - eine Ressource, die sie für junge Menschen zu idealen Ansprechpartnern macht. Auch die finanziellen Transfers der Großeltern sind nicht unerheblich. Eine aktuelle Studie förderte zutage, dass mindestens zehn Prozent der Pensionen als Unterstützung der Enkel oder der eigenen Kinder an die jüngere Generation zurückfließen.
Der Fels in der Brandung. Die meisten Großeltern erleben das Zusammensein mit ihren Enkeln positiv und bereichernd. Man kann großzügig sein und ist für die Enkelkinder auch nicht unmittelbar verantwortlich. Mit pubertierenden Enkeln haben Großeltern erstaunlich wenig Konflikte, teilweise sind sie sogar ganz wichtige Gesprächspartner. In turbulenten Beziehungen der Eltern, bei Trennungen, Scheidungen und neuen Beziehungen sind Großeltern oft die einzigen verlässlichen Bezugspersonen. Nicht selten ist es den Großeltern zu verdanken, dass bei totalen Familienzusammenbrüchen Kinder nicht orientierungslos auf der Strecke bleiben und irgendwie wieder Tritt fassen können. Die emotionale Unterstützung der Großeltern wirkt da wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung.
Gesellschaftlicher Stellenwert. Da Ehepaare heute zumeist nur wenige Kinder haben, sind in einer wachsenden Zahl von Familien bereits mehr Großeltern als Enkelkinder anzutreffen. Unter Umständen können sich sogar vier Großeltern um die Aufmerksamkeit eines einzigen Enkelkindes bemühen. Familiäre Generationenbeziehungen sind aber nach wie vor meist durch Frauen geprägt. Es sind auch fast immer die weiblichen Familienangehörigen, die sich aktiv um verwandtschaftliche Beziehungen kümmern.
Nähe oder Entfernung. "Ich konnte meine Großmutterrolle erst dann wirklich ausfüllen, als ich in die Nähe meiner Tochter übersiedelt bin", meint Roswitha Brandner, heute 68 Jahre alt, im Hinblick auf ihre drei Enkelsöhne Philipp (22), Maximilian (20) und Nikolaus (16). "Da wir zu Ende meiner Berufstätigkeit und ab meiner Pensionierung im Jahre 1998 relativ nah zueinander wohnten, konnte ich meiner Tochter mit ihren drei Buben viel helfen. Babysitten, kochen, für die Kinder da sein, wenn die Eltern abwesend waren. Nach meiner Scheidung im Jahre 1972 haben mir die Nähe und die Aufgaben in der Familie meiner Tochter die Einsamkeit sehr erleichtert. Es war mir immer wichtig, gebraucht zu werden und das Heranwachsen der Jungen mitzuerleben. Natürlich unterscheiden sich die Wertvorstellungen der Jungen wesentlich von meinen. Aber ich habe gelernt, meine Wunschvorstellungen zurückzuschrauben. Heute sind Philipp, Maxi und Niki flügge und brauchen mich nicht mehr. Jetzt ist es wichtig, mir einen eigenen Freundeskreis zu schaffen und Aktivitäten für das weitere Leben zu finden. Da mein Sohn Michael in Deutschland lebt und einen heute elfjährigen Sohn hat, konzentriere ich mich als Oma jetzt auf die kurzen Phasen des Zusammenseins mit diesem Enkel. David, so heißt das deutsche Enkelkind, hat großes Zutrauen zu mir und wir verstehen uns auch in den kurzen Zeiten des Beisammenseins außerordentlich gut. Das ist beglückend und dafür bin ich dankbar."
Familienorientierte Großmütter. Dass die Familie, besser gesagt die Großfamilie, einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert hat, beweist das Beispiel von Hanna Bernthaler-Gárzuly (71), die von fünf Kindern 13 Enkelkinder hat. Der Kontakt zu Kindern und Enkelkindern war und ist in ihrem Haus sehr intensiv. Sämtliche Geburtstage und Feste wie Weihnachten und Ostern werden in ihrem Haus gefeiert. "Ich selbst stamme aus einer großen Familie, acht bis zehn Kinder waren bei uns keine Seltenheit. Für mich ist es wichtig, die Familie zusammenzuhalten, ich muss mich nicht selbst verwirklichen - die Freude über das Zusammensein mit Kindern und Enkelkindern macht mich glücklich. Es ist mir wichtig, dass meine Enkelkinder gute Manieren, einen festen Charakter und eine möglichst große Allgemeinbildung auf ihren Lebensweg mitbekommen. Von mir als Mutter und Großmutter bekommen sie ein Maximum an Liebe und Zuwendung. Unterstützt werde ich dabei durch meinen Mann, der mir tatkräftig zur Seite steht und bei dem ich auch emotional auftanken kann."
Großmutter-Sein entschädigt für vieles. "Ich habe mir Enkelkinder sehr gewünscht, vor allem deshalb, weil ich berufstätig war und von meinen beiden Kindern wenig gehabt habe", meint Gabriele Hoffmann, heute 77 Jahre alt und Großmutter von insgesamt sechs Enkelkindern. Ihre beiden Söhne Ernst und Paul wurden während ihrer Berufstätigkeit zehn Jahre hindurch von einer Kinderfrau betreut. Ehemann Kari war und ist zusätzliche Bezugsperson und natürliche Autorität im Hause Hoffmann. "Familie" spielt bei Hoffmanns eine große Rolle. Gabriele fühlt aber, dass ihre Leistungskraft nach mehreren gesundheitlichen Einbrüchen abnimmt. Die Kinder des älteren Sohnes Ernst waren bis zu ihrer Übersiedlung nach Tirol vor fünf Jahren mindestens einmal pro Woche in der Obhut der Großeltern, die zweijährige Tochter des jüngeren Sohnes Paul kommt wöchentlich zu Besuch, ganz "übernehmen" geht nicht mehr. Ein ganz wichtiger Aspekt in der Beziehung zu Enkelkindern ist für Gabriele die Vermittlung eigener Wertvorstellungen und der Aufbau von Vertrauen zwischen den Generationen. Für sich selbst hat Gabriele durch die Großmutterrolle eine ganz neue Sicht auf junge Menschen gewonnen. Dass sich der Umgang mit Enkelkindern heute anders gestaltet als der mit den eigenen Kindern, sieht sie gelassen. "Ich bin mit den Enkelkindern weniger apodiktisch und fühle mich ihnen gegenüber weitaus entspannter, als es mit meinen Kindern möglich war. Insgesamt erlebe ich meine Rolle als Großmutter als große Bereicherung."